Mittwoch, 3. September 2025

KI und digitaler Krieg

Wie Über­set­ze­rin­nen und Übersetzer, Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier im 19. Jahr. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch; mei­ne Bü­ro­kol­le­gin ar­bei­tet als Über­set­ze­rin, al­so schrift­lich, mit Eng­lisch als Ziel­spra­che. Heu­te: KI-Mitt­woch.

Nicht nur mon­tags zur di­gi­ta­len Tea Time sit­ze ich am Com­pu­ter, ich finde im Netz auch Quel­len, Re­den, Stu­dien und Kon­tak­te in Be­rufs­netz­wer­ken. Wir ver­mit­teln bei Be­darf auch Kol­le­g:in­nen für an­de­re Spra­chen, das ge­schieht nicht blind, son­dern durch Co­op­ta­tion, also Ab­stim­mung und spie­gelt ge­machte Er­fahr­rungen. Aber oh­ne das Netz wä­re das sehr auf­wän­dig.

Manch­mal bin ich auch bei den „a­so­zia­len Me­dien“ un­ter­wegs. Die ha­ben die­sen Be­griff längst mehr als ver­dient, auch wenn mei­ne „Bub­ble“ sehr ver­nünf­tig und ei­gent­lich an­ge­nehm zu le­sen ist.

Es kommt aber vor, dass Freun­de und Be­kann­te dort das Ta­ges­ge­sche­hen kom­men­tie­ren. Sie stel­len dann ir­gend­wel­che Per­so­nen des Zeit­ge­sche­hens in den Mit­tel­punkt ih­res Nach­den­kens. Es ist wun­der­lich, was für ein Stuss so raus­po­saunt und von er­wach­se­nen Zeit­ge­nos­sen ge­glaubt wer­den kann. Da ist vie­les auf dem Le­vel von Orange face, der in der Pan­de­mie öf­fent­lich über die in­tra­ve­nö­se Ga­be von De­sin­fek­ti­ons­mit­tel ge­gen Co­vid-19 fa­bu­liert hat. Ge­sicht und Kör­per­spra­che sei­ner Be­ra­te­rin, ei­ner Ärz­tin, die da­ne­ben­saß, sind un­ver­gesTa­ges­ge­sche­hensen. Da­mals ha­be ich nicht ah­nen kön­nen, dass die­ser An­blick ein Schlag­licht auf die Zu­kunft sein wür­de.

Am Rechner: Mensch mit bedrolicher Robotermaske
Hinter den Bots steckt böse Absicht
Denn im­mer mehr Men­schen tö­nen im ver­meint­li­chen Voll­be­sitz ih­rer geis­ti­gen Kräf­te Din­ge her­aus, die ich freund­lich un­ter Ho­kus­po­kus, me­di­en­wis­sen­schaft­lich un­ter De­sin­for­ma­ti­on und tak­tisch un­ter Pro­pa­gan­da ver­or­ten muss.

Frü­her ha­be ich ger­ne in die Kom­men­tar­spal­te rein­ge­schaut, auf der Su­che nach Vox Po­pu­li. Wir müs­sen in Kon­fe­ren­zen ja auch Dis­kus­sio­nen mit dem Pub­li­kum ver­dol­met­schen, und ich bin im­mer auf Ide­en- und Wör­ter­su­che. 

Sol­che Ein­blic­ke sind heut­zu­ta­ge kom­plett ab­surd. Ge­fühlt 50, 60 Pro­zent der „Stim­men“ dort stam­men von wü­ten­den Bots, die Schwach­köp­fe imi­tie­ren. Sie kü­beln und pö­beln, schie­ßen ein­mal kurz zu­rück … und blei­ben dann stumm. Men­schen wä­ren nach qua­li­fi­zier­ten, di­plo­ma­ti­schen, fein­füh­li­gen Ant­wor­ten ent­we­der 1. über­zeugt oder 2. wei­ter auf­ge­bracht und laut. Aber Schwei­gen im Wal­de?

Ihre „Pro­fi­le“ be­stehen aus zwei, drei Freund:in­nen, da­zu drei Fo­tos von Haus­tie­ren oder tä­to­wier­ten Mus­keln, di­cken zwei­rä­dri­gen Ma­schi­nen und manch­mal auch frag­wür­di­gen Flag­gen. Ich ha­be mich ein­ge­le­sen, die La­ge stich­pro­ben­ar­tig be­ob­ach­tet, als Lin­gu­is­tin die Spra­che der "Mei­nun­gen" ana­ly­siert.

Die Ant­wort ist ein­fach: Of­fen­sicht­lich sind es es kei­ne Men­schen, son­dern KI-ge­steu­er­te Fake­sei­ten, die au­to­ma­ti­siert ih­re Het­ze aus­kot­zen oder blind­wü­tig nur ei­ne ein­zi­ge (blaue) Lö­sung rüh­men. Nur ver­ein­zelt füh­len sich Dumm­dreis­te zum Mit­ma­chen auf­ge­for­dert, was ja das Ziel des Gan­zen ist. Ich spre­che hier auch von Straf­ta­ten, die an­ge­droht wer­den, und von Volks­ver­het­zung. Sie sol­len sich nicht al­lein füh­len, son­dern be­stärkt in ih­rer Mei­nung. So wer­den Men­schen mit Ideo­lo­gie ge­tränkt und auf­ge­hetzt.

Das ist Teil des In­for­ma­ti­ons­krie­ges, Mei­nungs- und Stim­mungs­ma­che aus Russ­land, Chi­na, ei­ner „Par­tei“ und von an­de­ren Grüpp­chen mit wi­der­li­cher Ge­sin­nung.

War­um rö­deln nicht die gan­ze Zeit die „Ge­gen­bots“ und räu­men da auf? War­um wird das lau­fen­ge­las­sen? Ge­gen­wehr, al­so sys­te­ma­ti­sche Ge­gen­bot-Ein­sät­ze, müss­te es längst ge­ben. Tech­nisch dürf­te das kein Pro­blem sein. Wenn die KI das ei­ne kann, so kann sie auch das an­de­re.

Die Ab­we­sen­heit ei­ner gro­ßen ge­sell­schaft­li­chen De­bat­te macht mich stut­zig. Die­ser Punkt ge­hört längst in die Ge­set­ze auf­ge­nom­men. Und da, wo be­stehen­de Ge­set­ze aus­rei­chen — ich sa­ge nur Volks­ver­het­zung, Be­lei­di­gung, An­dro­hung von oder Auf­ruf zum Mord —, müs­sen die Straf­ta­ten ver­folgt wer­den.

Die Ge­set­ze müs­sen nach­ge­schärft und Be­trei­ber sol­cher Sei­ten zum Ein­satz von KI ge­nö­tigt wer­den, um den Spuk zu be­en­den. Der Be­griff passt nicht, es ist mehr als Spuk.

Das Glei­che gilt für Hacking­an­grif­fe auf Un­ter­neh­men und Ins­ti­tu­tio­nen, den Flug­ver­kehr und an­de­re At­ta­cken. Der di­gi­ta­le Krieg ist längst im Gan­ge, und hier feh­len drin­gend nö­ti­ge In­vest­ments.

Das Gan­ze be­droht die Grund­fes­ten un­se­rer Zi­vi­li­sa­ti­on.

EDIT: Oben habe ich den sicht­ba­ren Teil des Di­lem­mas be­schrie­ben. Es gibt noch ei­nen un­sicht­ba­ren, und ich bin si­cher, dass er bis heu­te wirk­sam ist.

Wie ge­nau ma­ni­pu­liert wird, dürf­te den meis­ten von uns im Um­feld des Bre­xit klar­ge­wor­den sein, wo ei­ne Fir­ma na­mens Cam­bridge Ana­ly­ti­ca ge­zielt Men­schen, die Face­book nutz­ten, mit ein­sei­ti­ger, oft fal­scher In­for­ma­ti­on ver­sorgt ha­ben, um sie in ih­rer Ent­schei­dung zu be­ein­flus­sen. Das Fach­wort da­für ist „Mi­cro­tar­ge­ting“, das be­wusst die psy­chi­schen Be­find­lich­kei­ten der Men­schen, ih­re Be­dürf­nis­se und Ängs­te, ins Vi­sier nimmt.

Dem muss na­tür­lich das Sam­meln und Ana­ly­sie­ren von Da­ten vor­aus­ge­gan­gen sein. Die Fir­ma, die es nicht mehr gibt, soll un­recht­mä­ßig Da­ten­sät­ze auch aus ei­nem "Spiel" er­wor­ben ha­ben, bei dem Nut­zer:in­nen frei­wil­lig ih­re Da­ten und wei­te­re In­for­ma­tio­nen preis­ge­ge­ben ha­ben. (Ich for­mu­lie­re das hier vor­sich­tig, weil ich nicht weiß, wie jus­ti­zi­el sol­che Zei­len mög­li­cher­wei­se sind; auf Kon­fe­ren­zen ha­be ich al­ler­dings ge­hört, dass am Vor­gang kein Zwei­fel mehr herr­schen soll.) Ei­ne gu­te Zu­sam­men­fas­sung hier: Main­zer Me­dien­ins­ti­tut.

Der Kern­satz: „Cam­bridge Ana­ly­ti­ca hat da­mit ge­wor­ben, mit­hil­fe von Big Da­ta und psy­cho­me­tri­scher Ana­ly­sen das Wahl­ver­hal­ten von Men­schen be­ein­flus­sen zu kön­nen.“ Das Un­ter­neh­men hat sich re­gel­mä­ßig ge­rühmt, auch für die ers­te Wahl des US-ame­ri­ka­ni­schen XXX [zen­siert] im Jahr 2016 ver­ant­wort­lich ge­we­sen zu sein: (W)ha­te­ver we think this tar­get pro­fi­le would be re­cep­ti­ve to we would cre­ate con­tent on the in­ter­net for them to find — un­til they come to think some­thing dif­fe­rent­ly.

Man­che Men­schen be­zeich­nen die­ses „Werk­zeug zur psy­cho­lo­gi­schen Kriegs­füh­rung“ als Mar­ke­ting. Ich hal­te das für Ab­len­kung. Die In­vest­ments spre­chen ei­ne an­de­re Spra­che.

Auch die deut­sche Exe­ku­ti­ve setzt auf Da­ten­aus­wer­tung. Ers­te Bun­des­län­der ha­ben ein Pro­gramm des rechts­ex­tre­men Pe­ter Thiel für die Nut­zung im Po­li­zei­be­reich ge­kauft und nut­zen es be­reits. Link zu Thiel: Die Thiel-Sto­ry (WDR-Podcast).

Zwei­te Ana­ly­se­e­be­ne: Die deut­schen Be­hör­den öff­nen derzeit frei­wil­lig den Bad Guys aus Über­see Tü­re und To­re, statt da­ten­recht­lich sau­be­r ar­bei­ten­de An­bie­ter aus Eu­ro­pa mit eu­ro­pä­i­schem Geld zu fi­nan­zie­ren, und sie ver­hal­ten sich so, als wür­den sie die Ge­fah­ren des di­gi­ta­len Kriegs nicht se­hen. Zwei Mög­lich­kei­ten: Na­ivi­tät oder Be­rech­nung. Es dürf­te, wie im­mer, ein Drit­tes sein: Ei­ne Mi­schung aus bei­dem.

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Grafik: pixlr.com (Zu­falls­fund)

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