Samstag, 13. September 2025

Mitleid und Mitgefühl

 Bon­jour oder bon­soir auf den Sei­ten ei­ner Sprach­ar­bei­te­rin. In die­sem di­gi­ta­len Ta­ge­buch kön­nen Sie an ei­ni­gen Ta­gen der Wo­che mit­le­sen, wie Dol­met­sche­rin­nen und Über­set­ze­rin­nen, Über­set­zer und Dol­met­scher ar­bei­ten. Der Link der Wo­che ohne Links. Wo­rü­ber ich schrei­be, steht der­zeit in je­der Zei­tung.

I can't stand the word em­pa­thy, hat er wie­der­holt ge­sagt. I think em­pa­thy is a made-up, new age term that does a lot of da­mage.

Auch wenn Charie Kirk das nicht ge­wollt zu ha­ben scheint, so ha­be ich Mit­ge­fühl mit sei­ner Frau und sei­nen zwei klei­nen Kin­dern. Nie­mand soll­te sei­nen Mann und Va­ter an ei­nen At­ten­tä­ter ver­lie­ren müs­sen.

Umarmung
Mitgefühl (frei nach Matisse) 
Wir müs­sen zwi­schen sym­pathy und em­pathy un­ter­schei­den. Sym­pathy ent­spricht eher Mit­leid: ein Blick von oben her­ab, der sich für Be­trof­fe­ne wie Her­ab­las­sung an­füh­len kann. Em­pathy da­ge­gen be­deu­tet, kurz die Per­spek­ti­ve des an­de­ren zu über­neh­men, damit das Schick­sal des Ge­gen­übers als mög­li­ches ei­ge­nes zu den­ken. Ich spre­che von Mit­ge­fühl

Das ist ei­ne Hal­tung der Nächs­ten­lie­be, des Tei­lens, des Be­glei­tens und Stär­kens.

Das At­ten­tats­op­fer be­trieb nicht nur aso­zia­le Me­dien­ka­nä­le: Hin­ter ihm stand ein gan­zes Netz aus Bü­ros und Do­ku­men­ta­ti­ons­stel­len an Hoch­schu­len, die als Ver­brei­tungs­ka­nal für sei­ne Bot­schaft fun­gier­ten. Von die­sen Stel­len aus wur­den men­schen­feind­li­che Kam­pa­gnen ge­steu­ert, Ju­gend­ak­ti­vi­tä­ten or­ga­ni­siert und Kon­tak­te zu Stu­den­ten ge­knüpft.

All das trug da­zu bei, dass er für den Prä­si­den­ten sei­nes Hei­mat­lan­des Stim­men mo­bi­li­sie­ren konn­te, vor al­lem bei jun­gen Wäh­lern. Ne­ben sei­nen Auf­trit­ten als Red­ner, war er vor allem Or­ga­ni­sa­tor ei­ner Po­li­tik, die auf Ängs­te setz­te, die zu die­sem Zweck ge­schürt wur­den. Da­bei agier­te er mit frem­den- und frau­en­feind­li­chen Dis­kur­sen, äu­ßer­te sich ho­mo­phob und ras­sis­tisch.

Im aka­de­mi­schen Kon­text hät­te der Kon­trast auf­fal­len müs­sen: Wis­sen und For­schung ar­bei­ten nach Prü­f­bar­keit und Be­leg; Mei­nung und „ge­fühl­te Fak­ten“, wie es die Po­pu­lis­ten ver­brei­ten, be­ru­hen meist auf Na­rrati­ven, die an Emo­tio­nen an­ge­dockt wurde, die Prob­le­me näh­ren, statt sie zu lö­sen.

Die­se „ge­fühl­ten Fak­ten“ wer­den wie Wahr­hei­ten ver­brei­tet und kom­men viel­fach an, weil sie Pflicht­ge­fühl, Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit und Iden­ti­täts­suche an­spre­chen. Das ist kein Zu­fall: Wut schafft Ge­mein­schaft, Wis­sen schafft Dif­fe­ren­zie­rung und Dif­fe­renz.

Die von Kirk ge­führ­te so­ge­nann­te Pro­fes­sor Watch­list war ein prak­ti­sches Bei­spiel da­für, wie Wis­sen­schafts­feind­lich­keit funk­tio­niert. Auf ihr wur­den For­schen­de als Feind­bil­der dar­ge­stellt, be­son­ders Frau­en, Schwar­ze und quee­re Ak­teu­re. Das Ziel war klar: In­sti­tu­tio­nen un­ter Druck set­zen, Kar­rie­ren be­en­den, die öf­fent­li­che De­bat­te ver­knap­pen. Aus mei­ner Sicht er­zeugt das ein Klima, in dem For­schungs­fra­gen nicht mehr sau­ber ver­han­delt wer­den, son­dern per Ver­leum­dung und Mob­bing ver­drängt wer­den.

Rech­te Ex­trem­is­ten pro­fi­tie­ren da­von, wenn Un­si­cher­heit die Lei­tung über­nimmt. Die Fol­ge ist eine Po­li­tik, die nicht mehr auf die Kor­rek­tur von Irr­tü­mern und Sach­po­li­tik zielt, son­dern auf den Er­halt von Macht durch die Ver­tei­di­gung ge­fühl­ter Wahr­hei­ten.

Als Dol­met­sche­rin ist Wis­sens­ver­mitt­lung mein Kern­ge­schäft: Ich er­mög­li­che, dass Fak­ten, Kon­tex­te und For­schungs­ergeb­nis­se Gehör fin­den, prä­zi­se, trans­pa­rent und ver­ständ­lich. Das ist auch ein ak­ti­ver Schutz ge­gen die Ver­ein­fa­chung, die Angst pro­du­ziert. Empa­thie hilft mir, Ge­sprächs­part­ner zu er­fas­sen; Wis­sen gibt mir die Be­grif­fe, um nicht in pa­the­ti­sche oder po­le­mi­sche Ver­ein­fa­chun­gen zu rut­schen.

Wir müs­sen zwei Din­ge gleich­zei­tig tun: Mit­ge­fühl zei­gen, auch für die Fa­mi­lie des Op­fers, und gleich­zei­tig das Ge­füge schüt­zen, das fak­ten­ba­sier­te De­bat­ten er­mög­licht. Sonst ge­winnt am En­de nicht nur ein Ein­zel­ner; son­dern Po­pu­lis­ten, die Wis­sen ver­ach­ten.

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Bild: Um­ar­mung im Stil von Ma­tis­se (Dal­l:e)

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