Sonntag, 28. September 2025

Achtung, Baustelle!

Gu­ten Tag! Als Dol­met­sche­rin für Deutsch, Fran­zö­sisch (und mit Eng­lisch als Aus­gangs­spra­che) ver­bin­de ich Sprach­kul­tu­ren und Men­schen. Hier im Blog er­fah­ren Sie mehr über mei­ne Ar­beit bei Kon­fe­ren­zen, in der Po­li­tik und in der Kul­tur. Sonn­tags wer­de ich pri­vat.

Heu­te folgt ei­ne klei­ne Sonn­tags­ein­las­sung. Cela n'en­gage que moi, heißt es auf Fran­zö­sisch, das ist mei­ne pri­va­te Mei­nung. Ich weiß aber, dass sie von im­mer mehr Men­schen ge­teilt wird, die mit ei­ner spi­ri­tu­el­len oder re­li­giö­sen Grund­ein­stel­lung un­ter­wegs sind.

Street Art: eine Maus und ein Fingerabdruck liegen einander in den Armen und tanzen Blues
Gesehen in Berlin-Neukölln
Wenn ich se­he, wie hoch die rechts­extre­men Par­tei­en in Mei­nungs­um­fra­gen "ab­sa­nhnen", wird mir ganz blü­me­rant (*). Da sind ei­ner­seits die wirk­lich Über­zeug­ten, wo die Mei­nung von Groß­va­ter auf Mut­ter auf Kind über­ging, auf Fran­zösisch würden wir de père en fils sagen, modernisiert de père en fille. Ge­ra­de auf dem Ter­ri­to­ri­um der frü­he­ren DDR hat sich vie­les ge­hal­ten aus ei­nem tief­lie­gen­den Trotz ge­gen die oft über­grif­fi­ge Re­gie­rungen her­aus, die ver­sucht haben, die Ge­mü­ter auch mit Grund­über­zeu­gun­gen zu be­sie­deln, die als "wis­sen­schaft­lich" pos­tu­liert wur­den.
Aus die­ser Ver­gif­tung speist sich bis heu­te in ei­nem Teil der Ge­sell­schaft die Ab­leh­nung von Wis­sen­schaft, so ab­surd das klingt.

Kei­ner von die­sen Men­schen zwei­felt ernst­lich die Schwer­kraft an oder For­schungs­er­geb­nis­se, die ih­nen Com­pu­ter, In­ter­net oder Mo­bil­te­le­fo­ne ge­bracht ha­ben. Aber "plötz­lich" ge­gen Imp­fun­gen sein, die For­schung in­fra­ge stel­len, die ana­ly­siert hat, wie der Raub­bau an den Res­sour­cen und die Um­welt­ver­schmut­zung un­ser Kli­ma und jeg­li­che Di­ver­si­tät in Flo­ra und Fau­na an­grei­fen, das ist eben­so un­lo­gisch wie in­kon­se­quent!

Das Gros die­ser Leu­te scheint mir indes „nur“ ir­ra­tio­nal und un­ge­bil­det zu sein. (Die Lea­der sind es meis­tens nicht; vie­le sind hoch­ge­bil­det und schla­gen aus der Volks­ver­füh­rung Macht und Ka­pi­tal.)

Auch im Wes­ten des Lan­des hat diese „Par­tei“ im­mer mehr Zu­lauf, da­run­ter ne­ben den Be­nach­tei­lig­ten vor al­lem je­ne, die Angst ha­ben, ih­re Mit­tel­klas­se­vor­tei­le zu ver­lie­ren.

Das wiegt an­ge­sichts der vie­len Bau­stel­len, die die­ses Land hat, schwer: Ex­plo­si­on der Prei­se für Woh­nen (vor al­lem Mie­ten. Ei­gen­tum lässt sich nicht mehr oh­ne ein Er­be er­wer­ben, Mo­der­ni­sie­rung hat sich eben­falls über­pro­por­tio­nal ver­teu­ert), Le­bens­hal­tungs­kos­ten (Energie, Le­bens­mit­tel, Fern­ver­kehr), Le­bens­hal­tung im Al­ter, vor al­lem Pfle­ge­kos­ten, Büro­kra­tie­auf­wuchs, Sta­gna­ti­on der Mo­der­ni­sie­rung der Bil­dungs­kon­zep­te bei gleich­zei­ti­gem Ver­fall der Ge­bäu­de, oft mit blo­ßem Au­ge er­kenn­ba­res Zer­brö­seln der öf­fent­li­chen In­fra­struk­tur, ich nen­ne stell­ver­tre­tend nur die Bahn, Sta­gna­ti­on der De­mo­kra­tie, die längst an­ge­passt wer­den müss­te, Rück­stand im Be­reich Di­gi­ta­li­sie­rung, was mit der Glas­fa­ser los­geht, die vie­le Ge­gen­den bis heu­te nicht er­reicht, Ener­gie, Mikroplastik in Böden, Luft, Wasser, Nicht-Nach­hal­tig­keit der in­dus­triel­len Land­wirt­schaft (Raub­bau an den Bö­den), zu­neh­men­de Kon­zen­tra­ti­on von Fir­men in den Hän­den we­ni­ger, wach­sen­de Un­gleich­ver­tei­lung des Volks­ver­mö­gens ... (Lis­te un­voll­stän­dig).

Und dann gibt es noch ei­nen As­pekt, der mich un­ver­än­dert ir­ri­tiert. Wir er­le­ben seit Jah­ren, dass die Po­li­tik der "kon­ser­va­ti­ven" Par­tei­en mas­siv da­zu bei­trägt, un­se­re Le­bens­grund­la­gen zu zer­stö­ren. Ich ha­be hier wie­der­holt dar­über ge­schrie­ben. Mit Le­bens­grund­la­gen mei­ne ich un­seren schö­nen Hei­mat­pla­ne­ten und, in der Spra­che der Kir­che, sämt­li­che Mit­ge­schöp­fe, von Pflan­zen über den Springs­chwanz und der As­sel im Kom­post­hau­fen bis hin zum Ele­fan­ten und Eis­bä­ren in für uns ent­le­ge­nen Re­gio­nen und so vie­len an­de­ren Wun­dern, de­ren Teil wir sein dür­fen.

Das Wort „kon­ser­va­tiv“ reimt sich oft mit „christ­lich“, was his­to­risch ge­wach­sen ist.

Fast die Hälf­te der Be­völ­ke­rung in der EU be­zeich­net sich selbst als be­ken­nend christ­lich (ka­tho­lisch oder pro­tes­tan­tisch). Mi­nis­ter und Re­gie­rungs­chefs hal­ten nicht sel­ten die Hand auf die Bi­bel, wenn sie ver­ei­digt wer­den, und sa­gen et­was in der Art wie „So wahr mir Gott hel­fe!“ ... Wie konn­te es so weit kom­men, dass sich Par­tei­en mit ei­nem christ­li­chen Selbst­ver­ständ­nis so weit ent­fernt ha­ben von Grund­fes­ten die­ses Glau­bens, als da wä­ren Nächs­ten- und Frem­den­lie­be, Für­sor­ge, So­li­da­ri­tät und Ver­söh­nung?

Wo fin­den sich die­se Wer­te der­zeit in der So­zi­al­po­li­tik, in den Be­rei­chen Mi­gra­ti­on und Asyl wie­der? In Sonn­tags­re­den ist viel vom Schutz der Fa­mi­lie und der Frei­heit, von Re­spekt und Ver­ant­wor­tung für an­de­re die Re­de.

Al­lein: In der Po­li­tik se­he ich das nicht. Wie wä­re es mal, wenn die ech­ten Chris­tin­nen und Chris­ten bei ih­ren Ver­tre­ter:in­nen stär­ker das ein­for­dern wür­den, was ih­ren Glau­ben zen­tral aus­zeich­net?

Das wür­de na­tür­lich auch be­deu­ten, auf die „Aus­ge­mus­ter­ten“ zu­zu­ge­hen (was Zeit und Geld kos­tet)! Kon­se­quen­tes de­mo­kra­ti­sches Han­deln, von den Has­sern, Lü­gen­ba­ro­nin­nen und Ein­peit­schern den Wind aus den Se­geln neh­men.

Das war’s, mein heu­ti­ges Wort zum Sonn­tag!

(*) blü­me­rant, kommt von bleu mourant, wört­lich „ster­ben­des Blau“, al­so blass­blaue Far­be wie das Ge­sicht von Men­schen, die kurz da­vor sind, in Ohn­macht zu fal­len. Um­gangs­sprach­lich be­deu­tet der Aus­druck, dass es ei­nem schwin­de­lig oder spei­übel ist.

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Foto: C.E.

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