Donnerstag, 25. September 2025

Beim Warten

Hel­lo, bon­jour, gu­ten Tag! Als Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin für Deutsch, Fran­zö­sisch und Eng­lisch ar­bei­te ich dort, wo kla­re Kom­mu­ni­ka­ti­on über Er­folg ent­schei­det: bei in­ter­na­ti­o­na­len Kon­fe­ren­zen, in der Po­li­tik und bei Dreh­ar­bei­ten. Hier im Blog gibt’s den Blick hin­ter die Ku­lis­sen.

Gleich kommt ein Pres­se­team, wir be­rei­ten In­ter­views zum The­ma Kli­ma vor, die ich dol­met­schen werde. Ich warte. Die Kaf­fee­ta­fel ist ge­deckt, in ih­rer Mit­te steht der Ku­chen aus rei­fen Bio­ba­na­nen, auf der Dienst­rei­se am Stra­ßen­rand ge­fun­de­nen Fall­äpfeln, selbst ge­mix­ter Dat­tel­creme und ge­mah­le­nen Wal­nüs­sen- Ki­cher­erb­sen­mehl und Voll­korn­grieß run­den das ve­ga­ne Re­zept ab. Wie­der so ein gro­ßer Ku­chen! Den Rest wer­de ich ei­ner Nach­ba­rin brin­gen, die ges­tern Abend, als ich nach­hau­se ge­kom­men bin, im Flur so be­drückt aus­ge­sehen hat.

Tassen, Teller, Servietten, Kuchen, Blumen
Schön ge­deck­te Kaf­fee­ta­fel
Ihr Sohn ist Tee­nager. Eben hat er in der Schule das The­ma Kli­ma­ka­tas­tro­phe durch­ge­nom­men. Er ist tief nie­der­ge­schla­gen. Mein Patenz­­ieh­sohn trägt die­selbe Schwe­re. Die klei­nen Fräu­leins, was mei­ne Nich­ten sind, drei und sechs Jah­re alt, sprin­gen noch un­be­schwert auf dem Gart­en­tram­polin und wis­sen nichts von den Zah­len, auf die sich un­se­re Welt zu­be­wegt.
Am Mor­gen ha­be ich die neue Stu­die des Pots­dam-In­sti­tut für Kli­ma­fol­gen­for­schung ge­le­sen, die bis zum Jahr 2050 mehr als drei Grad Erd­er­wär­mung pro­gno­sti­ziert.

Drei Grad ge­gen­über dem vor­in­dus­tri­el­len Ni­veau! Lan­ge wur­de diese Zahl erst für das Jahr 2100 ge­schätzt (oder für ir­gend­ei­ne an­de­re un­schar­fe Zu­kunft).

Da­bei wis­sen wir, dass die Luft pro zu­sät­z­li­chem Grad rund sie­ben Pro­zent mehr Was­ser auf­neh­men kann. Das be­deu­tet mehr Ver­duns­tung, der schwä­cheln­de Golf­strom, ein an­derer Aspekt der Pro­blem­la­ge, führt zu lang an­hal­ten­den Wet­ter­la­gen, zu län­ge­ren Dürre­pe­ri­oden, bis sie von Ex­trem­wet­ter­la­gen mit zu viel Re­gen in kur­zen Pha­sen un­ter­bro­chen wer­den. In Deutsch­land könnte der Jah­res­durch­schnitt um 3,4 bis 4,7 °C an­stei­gen, ita­lie­nisches Wet­ter al­so.

Was heißt das kon­kret? Böden trock­nen aus, dann rei­ßen Ge­wit­ter Lö­cher in die Land­schaft, wert­voller Hu­mus wird von Äc­kern in die Flüs­se ge­spült. Trink- und Nutz­was­ser wird knap­per, für Men­schen, Land­wirt­schaft und In­dus­trie; Tur­binen, Lauf­kraft­wer­ke, Kühl­ung wer­den zum Pro­blem. Flüsse fal­len tro­cken, nach­dem die Ba­lan­ce ihrer Öko­sys­teme schon län­ger be­droht wa­ren.

Die Ern­ten schrump­fen, denn vie­le eu­ro­päi­sche Kul­tur­pflan­zen er­tra­gen, an­ders als Reis, kein ste­hen­des Was­ser. Es wird al­so zu tief­grei­fen­den Än­de­rung­en in der Land­wirt­schaft kom­men müs­sen, ne­ben den Er­trags­ver­lus­ten ste­hen Mehr­aus­ga­ben für an­ge­pass­te Sys­teme, die Prei­se stei­gen. Die in­du­stri­elle Land­wirt­schaft greift be­reits heu­te öf­ter auf schwin­den­de Grund­was­ser­re­ser­ven zu­rück; je tie­fer ihr Spie­gel fällt, desto mehr Bäu­me ge­ra­ten in Not.

Das Tem­po des Wan­dels macht den Un­ter­schied. Flo­ra und Fau­na kom­men bei dem Tem­po nicht mit. Wan­der­we­ge für Tie­re und Pflan­zen sind blo­ckiert, die Ur­ba­ni­sie­rung bremst die bio­lo­gi­sche Migra­ti­on aus. Ar­ten­ster­ben be­schleu­nigt sich.

Glei­ch­zei­tig wan­dern in­va­sive, tro­pi­sche In­sek­ten nach Nor­den, oft oh­ne ihre na­tür­lichen Fressfei­nde. Sie brin­gen neue Krank­heits­ri­siken oder ver­brei­ten Be­kann­tes in neu­en Kon­tex­ten. Ein Auf­enthalt „im Grü­nen“ kann plötz­lich an­ders wahr­ge­nom­men wer­den: nicht mehr als Zu­flucht, son­dern als Ri­siko. Eine pas­to­rale Sze­ne wie „Früh­stück auf dem Lan­de“ droht in ein dys­to­pi­sches Zerr­bild zu kippen. Die Idyll­e fehlt die Si­cher­heit, die sie einst ver­sprach, die Na­tur als Ru­he­pol wird be­droh­lich wahr­ge­nom­men wer­den, der Stress der Men­schen steigt, Herz- und Kreis­lauf­er­kran­kun­gen neh­men zu.

Die For­scherin­nen und For­scher sa­gen klar, was hilft: Emis­sio­nen ra­di­kal sen­ken, na­tür­liche Sen­ken wie Wäl­der und Moo­re wie­der­her­stel­len, Raum­pla­nung neu den­ken, z. B. Rück­zug aus tie­fer­le­genden Küsten­re­gio­nen, Äcker ver­klei­nern, Blüh­strei­fen oder „Knicks“ aus Hecken und Bäu­men ein­bau­en, auf Agro­forst­wirt­schaft und Per­ma­kultur set­zen, die Städ­te durch Schwamm­stadt­kon­zepte er­tücht­igen, den Über­kon­sum ein­schrän­ken, Ver­keh­re auf die Schiene ver­la­gern, Ge­bäu­de er­tüch­ti­gen, lo­ka­le und re­gio­nale Ener­gie- und Le­bens­mit­tel­pro­duk­tion för­dern. Es gibt vie­le An­sätze.

Doch ist der­zeit in der Po­li­tik kein Plan er­kenn­bar. Oran­ge Face hat erst die­se W­oche die wis­sen­schaft­lichen Er­kennt­nis­se zur Kli­ma­ka­tas­trophe als „größ­ten Be­trug al­ler Zei­ten“ ver­leum­det. (Mit Na­tur­ge­set­zen ver­han­delt nie­mand, nicht ein­mal „Ih­ro ge­schwätz­ige Selbst­über­schät­zig­keit“.)

Die Mensch­heit muss jetzt mög­lichst ge­mein­sam die Kon­se­quen­zen zie­hen, son­st wer­den die Prog­no­sen zu er­leb­tem Ver­lust. Es gibt Aus­wege, vie­le, wir müs­sen nur end­lich wei­ter­ma­chen mit dem An­fang.

Ich sa­ge das der Nach­ba­rin, dem Tee­nager, mei­nem Zieh­sohn. Die Fräu­leins möch­te ich ge­rne in ei­ne Zu­kunft be­glei­ten, in der eine wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Po­li­tik und die Na­tur nicht als Ri­si­ko dargestellt wer­den. Die Angst darf blei­ben, so­fern sie uns ak­ti­viert. Sonst ge­winnt die Be­fürch­tung, dass länd­liche Sze­nen künf­tig als ein Alb­traum in­ter­pre­tiert wer­den.

Vo­kabelliste
Kipp­punkt — point de bas­cu­le­ment — tip­ping point
Po­sit­ive Rück­kop­plung(sschlei­fe) — ré­ac­tion po­si­tive, cer­cle ver­tu­eux — po­si­ti­ve feed­back
Koh­len­stoff­sen­ke — puits de car­bone — carbon sink
Ther­mohal­ine Zir­ku­la­tion — cir­cu­la­tion ther­mo-ha­line — ther­mo­ha­line cir­cu­la­tion
Tau­en von Per­ma­frost­ — dé­gel du per­géli­sol — per­ma­frost thaw

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Foto: Bild­ar­chiv Elias Los­sow

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