Gleich kommt ein Presseteam, wir bereiten Interviews zum Thema Klima vor, die ich dolmetschen werde. Ich warte. Die Kaffeetafel ist gedeckt, in ihrer Mitte steht der Kuchen aus reifen Biobananen, auf der Dienstreise am Straßenrand gefundenen Falläpfeln, selbst gemixter Dattelcreme und gemahlenen Walnüssen- Kichererbsenmehl und Vollkorngrieß runden das vegane Rezept ab. Wieder so ein großer Kuchen! Den Rest werde ich einer Nachbarin bringen, die gestern Abend, als ich nachhause gekommen bin, im Flur so bedrückt ausgesehen hat.
![]() |
| Schön gedeckte Kaffeetafel |
Am Morgen habe ich die neue Studie des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gelesen, die bis zum Jahr 2050 mehr als drei Grad Erderwärmung prognostiziert.
Drei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau! Lange wurde diese Zahl erst für das Jahr 2100 geschätzt (oder für irgendeine andere unscharfe Zukunft).
Dabei wissen wir, dass die Luft pro zusätzlichem Grad rund sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen kann. Das bedeutet mehr Verdunstung, der schwächelnde Golfstrom, ein anderer Aspekt der Problemlage, führt zu lang anhaltenden Wetterlagen, zu längeren Dürreperioden, bis sie von Extremwetterlagen mit zu viel Regen in kurzen Phasen unterbrochen werden. In Deutschland könnte der Jahresdurchschnitt um 3,4 bis 4,7 °C ansteigen, italienisches Wetter also.
Was heißt das konkret? Böden trocknen aus, dann reißen Gewitter Löcher in die Landschaft, wertvoller Humus wird von Äckern in die Flüsse gespült. Trink- und Nutzwasser wird knapper, für Menschen, Landwirtschaft und Industrie; Turbinen, Laufkraftwerke, Kühlung werden zum Problem. Flüsse fallen trocken, nachdem die Balance ihrer Ökosysteme schon länger bedroht waren.
Die Ernten schrumpfen, denn viele europäische Kulturpflanzen ertragen, anders als Reis, kein stehendes Wasser. Es wird also zu tiefgreifenden Änderungen in der Landwirtschaft kommen müssen, neben den Ertragsverlusten stehen Mehrausgaben für angepasste Systeme, die Preise steigen. Die industrielle Landwirtschaft greift bereits heute öfter auf schwindende Grundwasserreserven zurück; je tiefer ihr Spiegel fällt, desto mehr Bäume geraten in Not.
Das Tempo des Wandels macht den Unterschied. Flora und Fauna kommen bei dem Tempo nicht mit. Wanderwege für Tiere und Pflanzen sind blockiert, die Urbanisierung bremst die biologische Migration aus. Artensterben beschleunigt sich.
Gleichzeitig wandern invasive, tropische Insekten nach Norden, oft ohne ihre natürlichen Fressfeinde. Sie bringen neue Krankheitsrisiken oder verbreiten Bekanntes in neuen Kontexten. Ein Aufenthalt „im Grünen“ kann plötzlich anders wahrgenommen werden: nicht mehr als Zuflucht, sondern als Risiko. Eine pastorale Szene wie „Frühstück auf dem Lande“ droht in ein dystopisches Zerrbild zu kippen. Die Idylle fehlt die Sicherheit, die sie einst versprach, die Natur als Ruhepol wird bedrohlich wahrgenommen werden, der Stress der Menschen steigt, Herz- und Kreislauferkrankungen nehmen zu.
Die Forscherinnen und Forscher sagen klar, was hilft: Emissionen radikal senken, natürliche Senken wie Wälder und Moore wiederherstellen, Raumplanung neu denken, z. B. Rückzug aus tieferlegenden Küstenregionen, Äcker verkleinern, Blühstreifen oder „Knicks“ aus Hecken und Bäumen einbauen, auf Agroforstwirtschaft und Permakultur setzen, die Städte durch Schwammstadtkonzepte ertüchtigen, den Überkonsum einschränken, Verkehre auf die Schiene verlagern, Gebäude ertüchtigen, lokale und regionale Energie- und Lebensmittelproduktion fördern. Es gibt viele Ansätze.
Doch ist derzeit in der Politik kein Plan erkennbar. Orange Face hat erst diese Woche die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimakatastrophe als „größten Betrug aller Zeiten“ verleumdet. (Mit Naturgesetzen verhandelt niemand, nicht einmal „Ihro geschwätzige Selbstüberschätzigkeit“.)
Die Menschheit muss jetzt möglichst gemeinsam die Konsequenzen ziehen, sonst werden die Prognosen zu erlebtem Verlust. Es gibt Auswege, viele, wir müssen nur endlich weitermachen mit dem Anfang.
Ich sage das der Nachbarin, dem Teenager, meinem Ziehsohn. Die Fräuleins möchte ich gerne in eine Zukunft begleiten, in der eine wissenschaftlich fundierte Politik und die Natur nicht als Risiko dargestellt werden. Die Angst darf bleiben, sofern sie uns aktiviert. Sonst gewinnt die Befürchtung, dass ländliche Szenen künftig als ein Albtraum interpretiert werden.
Ich sage das der Nachbarin, dem Teenager, meinem Ziehsohn. Die Fräuleins möchte ich gerne in eine Zukunft begleiten, in der eine wissenschaftlich fundierte Politik und die Natur nicht als Risiko dargestellt werden. Die Angst darf bleiben, sofern sie uns aktiviert. Sonst gewinnt die Befürchtung, dass ländliche Szenen künftig als ein Albtraum interpretiert werden.
Vokabelliste
Kipppunkt — point de basculement — tipping point
Positive Rückkopplung(sschleife) — réaction positive, cercle vertueux — positive feedback
Kohlenstoffsenke — puits de carbone — carbon sink
Thermohaline Zirkulation — circulation thermo-haline — thermohaline circulation
Tauen von Permafrost — dégel du pergélisol — permafrost thaw
______________________________
Foto: Bildarchiv Elias Lossow

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen