Guten Tag! Als Dolmetscherin für Deutsch, Französisch (und mit Englisch als Ausgangssprache) verbinde ich Sprachkulturen und Menschen. Hier im Blog erfahren Sie mehr über meine Arbeit bei Konferenzen, in der Politik und in der Kultur. Sonntags werde ich privat.
Heute folgt eine kleine Sonntagseinlassung.
Cela n'engage que moi, heißt es auf Französisch, das ist meine private Meinung. Ich weiß aber, dass sie von immer mehr Menschen geteilt wird, die mit einer spirituellen oder religiösen Grundeinstellung unterwegs sind.
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| Gesehen in Berlin-Neukölln |
Wenn ich sehe, wie hoch die rechtsextremen Parteien in Meinungsumfragen "absanhnen", wird mir ganz blümerant (*). Da sind einerseits die wirklich Überzeugten, wo die Meinung von Großvater auf Mutter auf Kind überging, auf Französisch würden wir
de père en fils sagen, modernisiert
de père en fille. Gerade auf dem Territorium der früheren DDR hat sich vieles gehalten aus einem tiefliegenden Trotz gegen die oft übergriffige Regierungen heraus, die versucht haben, die Gemüter auch mit Grundüberzeugungen zu besiedeln, die als "wissenschaftlich" postuliert wurden.
Aus dieser Vergiftung speist sich bis heute in einem Teil der Gesellschaft die Ablehnung von Wissenschaft, so absurd das klingt.
Keiner von diesen Menschen zweifelt ernstlich die Schwerkraft an oder Forschungsergebnisse, die ihnen Computer, Internet oder Mobiltelefone gebracht haben. Aber "plötzlich" gegen Impfungen sein, die Forschung infrage stellen, die analysiert hat, wie der Raubbau an den Ressourcen und die Umweltverschmutzung unser Klima und jegliche Diversität in Flora und Fauna angreifen, das ist ebenso unlogisch wie inkonsequent!
Das Gros dieser Leute scheint mir indes „nur“ irrational und ungebildet zu sein. (Die
Leader sind es meistens nicht; viele sind hochgebildet und schlagen aus der Volksverführung Macht und Kapital.)
Auch im Westen des Landes hat diese „Partei“ immer mehr Zulauf, darunter neben den Benachteiligten vor allem jene, die Angst haben, ihre Mittelklassevorteile zu verlieren.
Das wiegt angesichts der vielen Baustellen, die dieses Land hat, schwer: Explosion der Preise für Wohnen (vor allem Mieten. Eigentum lässt sich nicht mehr ohne ein Erbe erwerben, Modernisierung hat sich ebenfalls überproportional verteuert), Lebenshaltungskosten (Energie, Lebensmittel, Fernverkehr), Lebenshaltung im Alter, vor allem Pflegekosten, Bürokratieaufwuchs, Stagnation der Modernisierung der Bildungskonzepte bei gleichzeitigem Verfall der Gebäude, oft mit bloßem Auge erkennbares Zerbröseln der öffentlichen Infrastruktur, ich nenne stellvertretend nur die Bahn, Stagnation der Demokratie, die längst angepasst werden müsste, Rückstand im Bereich Digitalisierung, was mit der Glasfaser losgeht, die viele Gegenden bis heute nicht erreicht, Energie, Mikroplastik in Böden, Luft, Wasser, Nicht-Nachhaltigkeit der industriellen Landwirtschaft (Raubbau an den Böden), zunehmende Konzentration von Firmen in den Händen weniger, wachsende Ungleichverteilung des Volksvermögens ... (Liste unvollständig).
Und dann gibt es noch einen Aspekt, der mich unverändert irritiert. Wir erleben seit Jahren, dass die Politik der "konservativen" Parteien massiv dazu beiträgt, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Ich habe hier wiederholt darüber geschrieben. Mit Lebensgrundlagen meine ich unseren schönen Heimatplaneten und, in der Sprache der Kirche, sämtliche Mitgeschöpfe, von Pflanzen über den Springschwanz und der Assel im Komposthaufen bis hin zum Elefanten und Eisbären in für uns entlegenen Regionen und so vielen anderen Wundern, deren Teil wir sein dürfen.
Das Wort „konservativ“ reimt sich oft mit „christlich“, was historisch gewachsen ist.
Fast die Hälfte der Bevölkerung in der EU bezeichnet sich selbst als bekennend christlich (katholisch oder protestantisch). Minister und Regierungschefs halten nicht selten die Hand auf die Bibel, wenn sie vereidigt werden, und sagen etwas in der Art wie „So wahr mir Gott helfe!“ ... Wie konnte es so weit kommen, dass sich Parteien mit einem christlichen Selbstverständnis so weit entfernt haben von Grundfesten dieses Glaubens, als da wären Nächsten- und Fremdenliebe, Fürsorge, Solidarität und Versöhnung?
Wo finden sich diese Werte derzeit in der Sozialpolitik, in den Bereichen Migration und Asyl wieder? In Sonntagsreden ist viel vom Schutz der Familie und der Freiheit, von Respekt und Verantwortung für andere die Rede.
Allein: In der Politik sehe ich das nicht. Wie wäre es mal, wenn die echten Christinnen und Christen bei ihren Vertreter:innen stärker das einfordern würden, was ihren Glauben zentral auszeichnet?
Das würde natürlich auch bedeuten, auf die „Ausgemusterten“ zuzugehen (was Zeit und Geld kostet)! Konsequentes demokratisches Handeln, von den Hassern, Lügenbaroninnen und Einpeitschern den Wind aus den Segeln nehmen.
Das war’s, mein heutiges Wort zum Sonntag!
(*) blümerant, kommt von
bleu mourant, wörtlich „sterbendes Blau“, also blassblaue Farbe wie das Gesicht von Menschen, die kurz davor sind, in Ohnmacht zu fallen. Umgangssprachlich bedeutet der Ausdruck, dass es einem schwindelig oder speiübel ist.
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Foto: C.E.