Donnerstag, 10. April 2025

Agent Orange

Wie Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zer, Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, be­schrei­be ich hier im 19. Jahr. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch; mei­ne Bü­ro­kol­le­gin ar­bei­tet als Über­set­ze­rin, al­so schrift­lich, mit Eng­lisch als Ziel­spra­che. Als Lin­guis­tin schaue ich den Leu­ten aufs Maul.

Mandarine
Die be­droh­li­che Man­da­ri­ne
Fra­ge an Frau Knig­ge: "Müs­sen wir re­spekt­lo­se Men­schen re­spektie­ren?" In ih­ren Men­schen­rechten, natü­rlich, da stellt sich die Fra­ge nicht! Grund­sätz­lich ist es im­mer bes­ser, sich nicht auf die Ebe­ne von Ge­mein­hei­ten her­ab­zu­las­sen, die ei­nem an­de­re vor­ge­ben.

Die­se Zei­len sind rein theo­re­tisch und sprach­wis­sen­schaft­lich-do­ku­men­ta­risch. Un­se­rei­ner liest in­tensiv Zeit­ung, denn die Ken­ntnis des Welt­ge­sche­hens ist un­ab­ding­bar für gu­te Ar­beit. So pro­to­kol­lie­re ich auch ein we­nig un­se­re Zeit.

Zei­tung­le­sen ist im­mer sel­te­ner ver­gnüg­lich. Da ist ein Men­sch, der seit Mo­na­ten die Ti­tel­sei­ten der Pres­se be­stimmt und mit Wahn­sinns­ideen vom We­sent­li­chen ab­lenkt, von der Über­macht der Fos­sil­in­dus­trien, dem Ar­ten­ster­ben und der Kli­ma­ka­tas­tro­phe, die­ser Opa also wäre in ei­ner be­treu­ten Se­nio­ren­resi­denz si­cher bes­ser auf­ge­ho­ben.

Ges­tern hat er Im­por­te aus al­ler Welt mit "Straf­zöl­len" be­legt, sie dann im letz­ten Mo­ment für Chi­na noch von 125 auf 145 Pro­zent er­hö­ht, die Bör­sen fie­len welt­weit, und kurz da­rauf die­sel­ben Zöl­le für 90 Ta­ge aus­geset­zt, au­ßer für Chi­na. Die Bör­sen nor­ma­li­sie­rten sich wieder. Es ist an­zu­neh­men, dass er und sei­ne Ba­gage in die­ser Zeit ein­ig­es an Fi­nanz­vo­lu­men ver­scho­ben und gro­ße Ge­win­ne ge­macht haben dürf­ten. In­sider­ge­schäf­te nennt sich so et­was, ist ver­bote­n. Er und sei­ne Ba­gage ge­hö­ren auf den zwei­ten Blick in den Knast.

Da sich der hier na­mentlich Un­ge­nann­te selbst ständig her­vo­r­tut mit verächt­lich­ma­chen­den Spitz­nam­en sei­ner po­li­ti­schen Ge­g­ner, hier zur Do­ku­men­ta­tion mei­ne klei­ne un­voll­stän­di­ge Lis­te.

Also: Stroh­tou­pet, blon­die­rter Hams­ter, Oran­ge face, Tram­pel­tier/Rum­pel­tier, the fake, Selbst­bräu­ner, durch­ge­knall­te Ka­rot­te, oran­ge­far­be­ner Ele­fant, Impo­tus, Kat­zen­fres­ser, Agent oran­ge, Lüg­enfres­se, Adolf Twitt­ler, Kurz­fin­ger, Man­da­rin me­nace ...

Er ist mit seinen Mi­ni­hän­den eben kein "Kurz­finger", son­dern ein vor­be­straf­ter Lang­finger. Ich hof­fe, dass wir nicht vier Jah­re brau­chen, um ab­schließ­end da­rü­ber lach­en zu kön­nen. Mö­ge sein Ab­tre­ten und dass sei­ner Räu­ber­ban­de schnel­ler ge­hen.

Und nein, wir Dol­met­sche­r:in­nen füh­ren sonst kei­ne der­ar­ti­gen Lis­ten. Den Grund er­klä­re ich schnell: Wir ar­bei­ten ge­wis­ser­ma­ßen "aus dem Rüc­ken­mark her­aus", so äu­ßer­te sich mein ge­schätz­ter Kol­lege Vin­cent von Wro­blews­ky mal vor Jah­ren. Das be­deu­tet, dass wir sehr spon­tan mit spre­chen und in der Dol­metsch­situ­ation so man­che Fil­ter her­unter­fah­ren müs­sen.

Leid­er las­sen sich Fil­ter nicht se­lek­tiv her­unter­fa­hren, so ist das in im Ge­fühls­le­ben von Men­schen. Da­mit sind Fil­ter ge­meint, die auch den Um­gang mit die­ser Un­ge­heuer­lich­keit be­tref­fen, die es für woh­ler­zo­ge­ne Men­schen be­deu­tet, an­de­ren stän­dig ins Wort zu fal­len. (In der Ka­bine fal­len wir den Leu­ten natür­lich nicht ins Wort, son­dern lie­fern die zwei­te Ton­spur, was aber für das schlich­te hu­ma­noi­de Ge­hirn ein we­nig zu kom­pli­ziert ist.)

Ein wei­terer Mo­ment, der durch das Her­unter­drücken der Fil­ter mi­ni­miert wird, ist die Selbst­kri­tik. Wer sind wir, dass wir hier im Na­men von Be­rühmt­hei­ten spre­chen? Für wen hal­ten wir uns? Wel­che Art von Hoch­sta­pelei liegt hier vor?

Das soll nur ei­nen klei­nen Eindruck dar­über ver­schaf­fen, wel­cher hoch­kom­plexen Ge­men­ge­lage Berufs­an­fän­ger­in­nen und Berufs­an­fän­ger aus­ge­setzt sind. Der Grund für die Ab­we­sen­heit sol­cher Spitz­na­men­lis­ten für al­le ist klar: Wir könn­ten uns in der Vo­ka­bel­lis­te "ver­grei­fen" in ei­nem Mo­ment, in dem wir von der Si­tu­ation ge­stresst und kom­plett auf den Sprach­trans­fer kon­zen­triert sind.

In Über­see wer­den sich die Prei­se trotz­dem stark ver­teu­ern, und zwar an­ti­zi­pa­to­risch, Ge­schäf­ts­leu­te le­gen Geld zu­rück für nicht ab­seh­ba­re Un­bil­den und ver­mut­lich auch, um aus­ge­lagerte Fab­ri­ka­tions­stät­ten wie­der in den USA auf­zu­bau­en. Das wird das wirtschaft­liche Le­ben wei­ter ab­wür­gen, weil auch die Kund­:­in­nen (so­fern sie es sich lei­sten kön­nen) eher zu­rück­hal­tend kon­su­mieren wer­den.


Vo­ka­beln aus die­sem Kon­text

droits de dou­ane — Zöl­le
con­sé­quen­ces d'en­chaî­ne­ment — Do­mi­noef­fek­te
c'est af­fli­geant — es ist beun­ruhig­end
sur le de­vant de scène — im Rampen­licht (wör­tlich: auf der Vor­der­büh­ne)
gé­rer un pa­nier à crabes — ei­nen zer­strit­tenen Hau­fen zu­sam­men­hal­ten, ein Hai­fisch­becken ver­wal­ten (wör­tlich: ei­nen Krab­ben­korb ma­nagen)
se­mer la zi­za­nie (Zwi­e­tracht sä­hen) / créer le dés­or­dre (Un­ord­nung schaf­en) — Cha­os stif­ten

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Bild: pixlr.com (Zu­falls­fund)

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