Mittwoch, 16. April 2025

Notariatsdolmetschen mit KI

Was Dol­met­scherin­nen und Über­set­zerin­nen tag­ein, tag­aus be­schäf­tigt, wie wir ar­bei­ten, kön­nen Sie hier mit­le­sen — das gilt na­tür­lich auch für die Herren im Be­ruf. Ich be­ob­ach­te von Be­rufs we­gen un­se­re Zeit sehr ge­nau. Heu­te ist wie­der ein KI-Mitt­woch.

Besprechungsraum im Notariat
Bei­spiel­bild: Be­spre­chungs­raum
Im Be­rufsa­ll­tag ma­che ich wi­der­sprüch­li­che Er­fah­run­gen mit der KI. Ein- und der­sel­be Ort, zwei glei­che Ter­mi­ne, et­was mehr als ein Jahr Zeit­ab­stand: Ich dol­metsche si­mul­ta­n vom Blatt weg, ei­nen von mir mi­nu­tiös vor­be­rei­te­ten Ver­trag, in der Sprach­rich­tung Deutsch → Fran­zö­sisch, The­ma: Woh­nungs­ver­kauf.

Früh­jahr 2024: Ein Pa­pa kauft sei­ner Toch­ter in Ber­lin ei­ne Woh­nung für ih­re Stu­di­en­jah­re. Der Miet­markt ist ka­putt und er­for­dert krea­ti­ve Lö­sun­gen. Das hier ist ei­ne (die aber nur we­ni­gen mög­lich ist). Die No­ta­rin legt dem fran­zö­sisch­spra­chi­gen Man­da­nten ei­ne Über­setz­ung auf den Platz, ich be­kom­me auch ei­nen Aus­druck.
Ich ma­che gro­ße Au­gen. "Dass das Gan­ze schon über­setzt wur­de, war mir im Vor­feld lei­der nicht ge­sagt wor­den ... nun, dann sind wir hier schnel­ler durch!", sage ich und den­ke: Dann be­kom­me ich we­ni­ger Geld für ei­ne ei­gen­tlich un­nöt­i­ge, lang­wie­ri­ge Vor­be­reit­ung! Das ist nicht fair!

Die No­ta­rin: "Das ist nur ei­ne 'DeepL-Ver­sion', kei­ne be­glau­big­te Über­setz­ung." Mein Kopf: Gut, al­so doch nicht für die Tonne ge­ar­bei­tet!

Ich habe mei­ne Va­ri­an­te im Rech­ner, sie ist das Er­geb­nis von Machine Translation, mit Lö­sungs­vor­schlä­gen dank ei­ner ins Sys­tem ein­ge­pfleg­ten Ter­mi­no­logie­lis­te, sie spie­gelt die Vor­er­fah­rung, plus drei Stun­den Schlei­fen per Hand, das Fach­lek­to­rat. Trotz­dem bleibt es ei­ne Ar­beits­fas­sung, die letz­ten Kor­rek­tur­stu­fen feh­len. Ich be­rei­te mich ger­ne gründ­lich vor. Mein In­te­res­se ist näm­lich nicht, dass der Ter­min län­ger als nö­tig dauert. Ich ha­be am Nach­mit­tag ei­nen Au­gen­arzt­ter­min.

Die No­ta­rin liest, ich dol­met­sche vom Blatt, aus­ge­hend von mei­ner zwei­sprachi­gen Va­ri­an­te. Ei­ni­ge Ma­le wirft die Da­me mir fra­gen­de Blicke zu, im­mer dann, wenn mein Ge­hirn an ei­nem Satz noch ein we­nig rum­feilt, bevor ich ihn aus­spreche. Spä­ter sagt sie: "Le­sen Sie doch ein­fach ab ..." und zeigt auf den DeepL-Aus­druck.
Ich da­rauf: "Das darf ich nicht!" Sie rollt mit den Au­gen.

Der Kun­de war bei die­sem Aus­tausch kurz drau­ßen. Spä­ter stutzt er ei­ni­ge Ma­le, un­ter­bricht mich und sagt auf Fran­zö­sisch: "Hier steht das aber an­ders!" Er weist auf den DeepL-Text. Ich er­klä­re ihr, dass DeepL manch­mal schon ganz gut sei, aber nur ei­ne Ar­beits­fas­sung aus­werfe und mit den Un­ter­schie­den des deut­schen und fran­zö­sischen Im­mo­bi­li­en­rechts nicht viel an­fan­gen kön­ne, vor al­lem der Be­sitz­über­gang ist an­ders und auch die Na­tur von Ver­trä­gen bzw. Vor­verträ­gen (pro­messe de ven­te).

Die No­ta­rin er­bit­tet die Ver­dol­met­schung un­se­res Aus­tauschs. Sie kennt das fran­zö­si­sche Recht nicht. Ich wie­der­ho­le mei­ne Er­klä­rung auf Deutsch. Sie scheint leicht un­ge­hal­ten, möch­te auch schnel­ler fer­tig wer­den. Sie wird nach Auf­trags­vo­lu­men be­zahlt, ich nach der Zeit, die ich aus mei­nem Bü­ro fort bin. Aber sie lässt mich ma­chen. (Ihr bleibt auch kei­ne an­dre Wahl.)

Ich bit­te sie dann da­rum, et­was ver­ständ­lich­er zu le­sen. Ver­ständ­lich­er heißt hier: lang­sam­er. Sie spult al­les seit Jahr­zehn­ten ab und nu­schelt mit 200-pro­zen­ti­ger Ge­schwin­dig­keit, nicht im­mer ist al­les leicht zu er­ken­nen, zu­mal sie bei den Er­klä­run­gen, die sie gibt, im Text springt.

Ein Jahr spä­ter. Der Ver­trags­ent­wurf ist mir ei­ne Woche vor Te­rmin zu­ge­gan­gen und nicht erst in den Mit­tags­stun­den des Vor­tags (wie beim ers­ten Mal). Als wir an­kom­men, liegt nichts auf dem Tisch von Man­da­nt und mir. Ich ma­che ent­spannt mei­ne Ar­beit, kei­ne Irri­ta­ti­onen ent­ste­hen aufsei­ten des Paars aus Fran­kreich, das im Al­ter zu Kin­dern und En­keln zie­hen möch­te, kein Au­gen­rol­len von ihr.

Nächs­te Pin­kelpau­se: Ich fra­ge nach ih­ren Er­fahrun­gen mit DeepL. Sie: "Die­se Fas­sun­gen sind nicht rechts­sich­er und Feh­ler, die das Sys­tem auto­ma­tisch macht, kön­nen ganz schön teu­er wer­den!" Vor­sich­tig ver­su­che ich zu er­kun­den, ob der Satz auf ei­g­ener Er­fah­rung be­ruht oder nicht. Sie nickt auf ei­ne offe­ne Fra­ge, schaut be­tre­ten drein. In die­sem Mo­ment kom­men die bei­den zu­rück, es geht wei­ter.

Die Er­fol­ge der KI mit ih­rer Text­si­mula­tion wur­den und wer­den groß he­raus­po­saunt, ih­nen wer­den Ti­tel­sei­ten ge­wid­met, al­les in gro­ßen Let­tern, mit dem Te­nor: "Es ist nichts Ger­ing­eres als die zwei­te gro­ße Re­vo­lu­tion seit der Er­fin­dung des Buch­drucks!" oder "Bald er­ledigt sich die Ar­beit wie von Zau­ber­hand ganz al­lein!"

Die Mis­ser­fol­ge der KI aber, die nichts als ein Werk­zeug ist für Men­schen­hand, ver­lo­re­ne Re­gress­pro­ze­sse, teu­ere Miss­ver­ständ­nis­se al­so auch zum Preis ei­ner hölz­ernen Sprache, die ab­stößt, wer­den in der Re­gel ge­pflegt be­schwie­gen.

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Il­lus­tra­tion: pixlr.com (Zu­falls­fund)
#KI #AI

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