Willkommen bei meinem Blog aus der Arbeitswelt. Wie Dolmetscher und
Übersetzer arbeiten, ist oft nicht gut bekannt. Seit die Pandemie
ausgebrochen ist, finden kaum noch Konferenzen statt (normalerweise arbeite ich mit den Sprachen Französisch und Englisch). Zum Glück arbeite ich auch für die Industrie, so dass ich einigermaßen klarkomme.
Das Wesenentliche |
Bei mir dominiert derzeit leider der Sarkasmus. Merry crisis and a happy new fear! stammt von 2008 und stimmt leider wieder. Dabei rufen alle derzeit nach Solidarität.
Trotzdem sind nicht alle solidarisch, sonst wären die Infektionszahlen nicht auf einem so hohen Niveau. Die grausamste unsolidarische Entwicklung ist die Art und Weise, wie wir an den Rändern Europas Menschen in Zelten, Dreck und Kälte sich selbst überlassen. Das ist beschämend. Europa sollte den Friedensnobelpreis zurückgeben.
Wir haben in unseren Ländern ein massives Empathie- und Bildungsproblem. Wiederholt habe ich mit Maskenverweigerern und "Coronagegnern" diskutiert (ich bin übrigens auch gegen Corona, nur anders), und mir ist aufgefallen, dass eine große Menge Trotz aus ihnen spricht. Nein, nein, ich esse meine Suppe nicht, schrie der Suppenkasper, und stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
Auf den Trotzimpuls folgt ein kruder Mischmasch aus Halbwahrheiten und Selbstbeobachtetem, aus impliziter Anschuldigung, man werde mit seinen Wahrnehmungen nicht beachtet — "Ich komm' gut rum und kenne keinen, der mehr als zwei Tage Schnupfen hatte" —, aus Verdrängung und Ausblendung und Umdichtung — "ja, die Oma im Nachbarhaus, sie war aber schon alt" —, woran auch dann noch festgehalten wird, wenn sich auf Nachfragen herausstellt, dass die Oma erst letztes Jahr in Rente gegangen ist. (Im Nebensatz: "der Staat schleppt so viele Alte rum, Corona erleichtert ja die Rentenkassen, wobei die Oma im Hinterhaus erst letztes ...")
Informationen fehlen bis in die höchsten Kreise. Eine ältere Bekannte neulich im Skype-Chat zu mir: "Ihr hab's doch gut, habt gerade ein Jahr Urlaub hinter euch, seid abgesichert, der Staat hilft doch allen!"
Das zumindest sagen die Medien, Bazooka und so, "viel Geld in die Hand genommen" und dann wieder in den Safe gelegt für später, für die Tourismuskonzerne beispielsweise. Viele Freiberufler, Unternehmer, Künstler leben weiterhin von der Hand in den Mund, auf Pump, von den fürs Alter zurückgelegten Geldern. Ja, die Kanzlerin hat recht, dass in diesen Branchen Existenzangst herrscht.
Dass diese Personengruppen in der ganz unverschuldeten Notlage nicht allein gelassen worden seien, ist überall zu hören. Wer genau hinsieht, stellt fest, dass die staatliche Unterstützung oft dort nicht ankommt, weil die Antragsbedingungen zu eng gefasst, wiederholt im Nachhinein verändert und nicht auf die Bedürfnisse der Gruppen zugeschnitten worden sind, für die sie gedacht waren. Wenn derlei anfangs einige Monate lang stotternd läuft, bucht das jeder gern als Anlaufschwierigkeiten ab. In Deutschland ist es hingegen ein Grundprinzip. Und am Ende werden letztlich vor allem die Steuerberater und Anwälte profitieren.
Dabei braucht unsere Land Kunst und Kultur genauso wie die Wirtschaft hochspezialisierte Freiberufler braucht, um voranzukommen. Auch der föderale Flickenteppich ist hier ein Bremsklotz und verzerrt den Wettbewerb (ich übersetze: die Überlebenschancen von Selbständigen): Die Digitalisierungsprämie, die in NRW letztes Jahr bereits Einzelpersonen beantragen konnten, wird in Berlin wohl nicht einen Dolmetscher erreichen. Wir sind Einzelpersonenunternehmen. Beantragsberechtigt sind in meinem Bundesland Firmen ab zwei Personen. Es gilt der Stichtag.
Ein Blick nach Österreich: Dort wird entgangener Gewinn plus betrieblicher Aufwand erstattet, problemlos, schnell. Es geht also. Hier wünsche ich mir im Jahr 2021, dass die Verantwortlichen vom hohen Ross absteigen und auf die Hinweise und Gesprächsangebote der Branchen eingehen. Es könnte so leicht sein.
Edit: Die taz schreibt von Solidaritätskollaps.
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Foto: C.E.
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