Freitag, 1. Januar 2021

COVIDiary (231)

Will­kom­men bei mei­nem Blog aus der Ar­beits­welt. Wie Dol­metscher und Über­setzer ar­beiten, ist oft nicht gut be­kannt. Seit die Pan­demie aus­ge­brochen ist, finden kaum noch Konferenzen statt (normalerweise arbeite ich mit den Sprachen Französisch und Englisch). Zum Glück arbeite ich auch für die Industrie, so dass ich einigermaßen klarkomme.

Das Wesenentliche
Alles Gute für das zweite Coronajahr wünsche ich: Glück, Gelassenheit und vi­ele, vie­le glückliche Mo­me­nte! Außerdem So­li­da­ri­tät, Bildungs­op­ti­mis­mus und Demut. 

Bei mir domi­niert derzeit lei­der der Sarkas­mus. Merry crisis and a happy new fear! stammt von 2008 und stimmt leider wieder. Dabei rufen alle derzeit nach Soli­darität.

Trotzdem sind nicht alle solidarisch, sonst wären die In­fek­tions­zah­len nicht auf ei­nem so hohen Niveau. Die grausamste un­so­li­da­ri­sche Ent­wick­lung ist die Art und Weise, wie wir an den Rändern Europas Men­schen in Zel­ten, Dreck und Kälte sich selbst überlassen. Das ist beschämend. Europa sollte den Friedens­no­belpreis zu­rück­ge­ben.

Wir haben in unseren Ländern ein massives Empathie- und Bildungsproblem. Wie­der­holt habe ich mit Maskenverweigerern und "Coronagegnern" diskutiert (ich bin übrigens auch gegen Corona, nur anders), und mir ist aufgefallen, dass eine große Menge Trotz aus ihnen spricht. Nein, nein, ich esse meine Suppe nicht, schrie der Suppenkasper, und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. 

Auf den Trotz­impuls folgt ein kruder Misch­masch aus Halbwahrheiten und Selbst­be­ob­ach­te­tem, aus impliziter Anschuldigung, man werde mit seinen Wahrne­hmungen nicht beachtet — "Ich komm' gut rum und kenne keinen, der mehr als zwei Tage Schnup­fen hatte" —, aus Verdrängung und Ausblendung und Umdichtung — "ja, die Oma im Nachbar­haus, sie war aber schon alt" —, woran auch dann noch fest­ge­hal­ten wird, wenn sich auf Nach­fragen herausstellt, dass die Oma erst letztes Jahr in Rente gegangen ist. (Im Neben­satz: "der Staat schleppt so viele Alte rum, Corona er­leich­tert ja die Renten­kassen, wobei die Oma im Hinterhaus erst letztes ...")

Informationen fehlen bis in die höchsten Kreise. Eine ältere Bekannte neulich im Skype-Chat zu mir: "Ihr hab's doch gut, habt gerade ein Jahr Urlaub hinter euch, seid abgesichert, der Staat hilft doch allen!"

Das zumindest sagen die Medien, Bazooka und so, "viel Geld in die Hand ge­nom­men" und dann wieder in den Safe gelegt für später, für die Tourismuskonzerne beispielsweise. Viele Freiberufler, Unter­nehmer, Künstler leben weiterhin von der Hand in den Mund, auf Pump, von den fürs Alter zurückgelegten Geldern. Ja, die Kanzlerin hat recht, dass in diesen Branchen Existenzangst herrscht

Dass diese Personengruppen in der ganz unverschuldeten Notlage nicht allein ge­las­sen worden seien, ist überall zu hören. Wer genau hinsieht, stellt fest, dass die staatliche Unterstützung oft dort nicht ankommt, weil die An­trags­be­din­gungen zu eng gefasst, wiederholt im Nach­­hinein verändert und nicht auf die Bedürfnisse der Grup­pen zugeschnitten worden sind, für die sie gedacht waren. Wenn derlei an­fangs einige Monate lang stotternd läuft, bucht das jeder gern als An­lauf­schwie­rig­keiten ab. In Deutsch­land ist es hingegen ein Grund­prinzip. Und am Ende werden letztlich vor allem die Steuer­berater und Anwälte profitieren.

Dabei braucht unsere Land Kunst und Kultur genauso wie die Wirtschaft hoch­spe­zia­li­sierte Freiberufler braucht, um voranzukommen. Auch der föderale Flicken­teppich ist hier ein Bremsklotz und verzerrt den Wett­bewerb (ich übersetze: die Überlebenschancen von Selbständigen): Die Digitalisie­rungsprämie, die in NRW letztes Jahr bereits Einzel­personen bean­tragen konnten, wird in Berlin wohl nicht einen Dolmetscher erreichen. Wir sind Einzelper­so­nen­un­ter­n­ehmen. Beantrags­be­rech­tigt sind in meinem Bundes­land Firmen ab zwei Personen. Es gilt der Stich­tag.

Ein Blick nach Österreich: Dort wird entgangener Gewinn plus betrieblicher Auf­wand erstat­tet, problemlos, schnell. Es geht also. Hier wünsche ich mir im Jahr 2021, dass die Verant­wort­­lichen vom hohen Ross ab­steigen und auf die Hinweise und Gesprächs­an­gebote der Branchen eingehen. Es könnte so leicht sein.

Edit: Die taz schreibt von Solidaritätskollaps.

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Foto:
C.E.

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