Kamerafahrt, die Dolmetscherin geht, einen Bücherstapel unter dem Arm, lesend den Gehweg einer Straße mit durchschnittlich erhaltenen Gründerzeithäusern entlang. Sie kommt von einer Freundin, der sie Bücher gebracht hat.
Neuköllner Pflaster |
Tausch statt Neukauf lautet in diesen Tagen die Parole. An den Sockeln der Gebäude, den Türen und Jalousien fällt die explosionsartige Zunahme an vielfarbigen "Tags" auf, Buchstabenfolgen ohne Sinn, flüchtiger als die geritzten Initialen an Monumenten.
Am Straßenrand parken viele ältere Autos, zwischendurch auch das eine oder andere Gefährt, dem man den hohen Preis erst auf den zweiten Blick ansieht.
Hier haben die Autos früher eng auf eng gestanden, die Hälfte ist an der einen Seite übriggeblieben, dort sind vielleicht 60 Prozent. Cornonavirus plus Feiertage, lässt sich hier ablesen. Einige Schritte weiter liegt ein Haufen wild entsorgte Kleidung, etwas weiter stehen Abraummulden mit Bauschutt, da drüben Paletten. Es ist einer der letzten Tage des Jahres. Der Himmel strahlt mit dem Widerschein der Sonne auf den Dachfirsten um die Wette. Im Winter steht die Sonne tief, seit Mitte Dezember trifft mit einem Einfallwinkel von 14 Grad auf die kalte Stadt. Die engen Berliner Straßen erreicht außer an Plätzen und Kreuzungen nur dort ein Sonnenstrahl, wo gegenüber ein früheres Ruinengrundstück zum Spielplatz wurde.
Vor einem Kiosk liegen auf den Paletten weitere Paletten, und auf ihnen hockt mit großen Abständen zueinander eine Gruppe junger, dick eingemummelter Frauen mit Pappbechern in der Hand, aus denen sie dampfenden Kaffee nippen. Andere haben Thermoskannen und Becher dabei. Sie wiederholen medizinischen Prüfungsstoff.
Im Fenster einer Ladenwohnung |
Vor einem Haus, die Schaufenster im Erdgeschoss sind mit Zeitungen zugeklebt, stehen vier Männer, alle irgendwas zwischen Mitte 30 und Mitte vierzig, casual look in Jeans und Parka, einer trägt Jackett und Schal, sie sind eher groß, kräftig, straßenköterblond bis dunkelhaarig, nur ein Semmelblonder ist schlank und zart.
Sie halten den Abstand mustergültig ein.
"Den Handschlag lassen wir jetzt mal sein, Corona, aber einig sind wir uns. Das is'n guter Preis. Und drei Monate mietfrei, dann geht's wieder los! Is' 'ne kommende Lage hier."
Die Dolmetscherin geht weiter. Sogar ihr, für die Autos nur Blechkisten mit Rädern und Motor sind, fällt auf, dass in der Straße die Mittelklasselimousinen fehlen, die Autos mit Münchener und Wiesbadener Kennzeichen, die Mietwagenflotte. Hinter einem abgestellten, alten Wohnwagen sitzt in einer Parklücke ein alter Mann im Smoking auf einem Campingstuhl an einem Campingtisch und isst in Zeitlupe Kuchen. Er sieht aus, als hätte ihn nicht erst das Jahr 2020 ziemlich durchgeschüttelt. Zu seinen Füßen liegt ein Rucksack, bei dem nicht zu erkennen ist, ob einst eine Färbung oder später der Staub den Stoff schlammgrau gemacht hat. Daneben eine Abraummulde mit altem Hausrat.
Termine nur mit dem Holzhändler |
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Fotos: C.E.
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