Dienstag, 22. Dezember 2015

Best of 2015 (II)

Guten Tag oder guten Abend! Sie lesen im ersten deutschen Blog aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Ich ar­be­ite und lebe in Paris, Berlin und dort, wo Sie mich brauchen. Heute geht es mit der neuen Kategorie weiter: Was mich dieses Jahr am meisten gewundert hat.
 
Ein potentieller Kunde ruft an und möchte, dass ich für ihn arbeite. Er bietet mir einen viel zu geringen Satz an. (Ich denke: If you pay peanuts, you will get mon­keys.) Ruhig erkläre ich, wie lange wir studieren, ein Teil der Einnahmen sind Kom­pen­sa­tion für diese Zeit sowie Rücklagen fürs Alter, was für einen Aufwand es dar­stellt, sein eigenes Büro zu betreiben, und der Rest wäre dann Gewinn.

Kurz: Der Kunde hatte anfangs im Grunde nur fürs Büro bezahlen wollen. Ich weiß nicht, wie wir auf das Thema gekommen sind, aber wir landeten mitten in der Adventszeit im Problem der überforderten Verwaltungen angesichts der vielen Asylsuchenden. Ich habe erwähnt, dass ich im ablaufenden Jahr jede siebente Dol­metsch­stun­de gratis im Bereich der psychologischen Kri­sen­in­ter­ven­tion für ge­flüch­te­te Frauen geleistet hatte.

Wandmalerei: Viele Tränen
Helfen bei Leid
Denn wer es über Wochen schon nicht schafft, sich bei Behörden anzumelden, ist erst recht nicht kran­ken­ver­si­chert. Seelische Not fragt allerdings nicht nach dem Ver­sich­er­ungs­sta­tus.
Ich sage etwas à la "ich finde es wichtig, Ehrenamt und Geld­ver­die­nen zu tren­nen, damit mir die be­zahl­ten Aufträge das Ehren­amt er­mög­li­chen."

Jetzt muss ich erwähnen, dass ich am Morgen ein wenig husten musste. Keine gro­ße Sache, mein Körper hat gegen die Virencocktails angearbeitet, die der Berliner öffentliche Nahverkehr derzeit so bietet. Meine Stimme war auch eine Spur rauer als sonst. Mitten im Gespräch musste ich dann auch noch niesen. Diese zweite De­zem­ber­hälf­te 2015 bietet den wärmsten Winteranfang seit Menschengedenken, ich liebe offene Balkontüren und heize gerade nur abends ein wenig.

Schlagfertig versuche ich einen Witz, auch wenn das einer unbekannten Person ge­gen­über gewagt ist. Und ich lasse ein: "Sie hören es ja, das Geld zum Heizen ist knapp, deshalb schaue ich bei den Honoraraufträgen eben aufs Geld" fallen.

Erst stutzt er, dann lachen wir beide. (Mein Lachen macht ihm hoffentlich klar, dass das ein Scherz war.) Kurz: Ich kriege den Auftrag — und zwar zu meinen Kon­di­tio­nen.

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Foto: C.E. (Archiv)

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