Montag, 28. Dezember 2015

Best of 2015 (V)

Hello, bon­jour, guten Tag! Hier bloggt eine Sprach­ar­bei­ter­in aus der Dol­met­scher­ka­bi­ne oder vom Übersetzerschreibtisch. Ich arbeite mit den Sprachen Fran­zö­sisch, Deutsch und Englisch (C-Sprache) in Paris, Berlin und dort, wo Sie mich brauchen. Hier die vorletzte Episode meiner subjektiven Rückschau auf das Jahr 2015.

Blick durch viele Brote hindurch in Richtung Backofen
Handwerklich gefertigtes Brot
Kurz vor sechs flitze ich zum Bäcker, noch rasch ein Brot holen. Ab und zu kaufe ich mein Brot backfrisch im Nachbarhaus, wenn ich oft auch gerne etwas weiter ge­he für das bekömmlichere Vortagsbrot. Aber mir knurrt der Magen und die An­ge­bo­te sind auch unterschiedlich.

Die helleren Sorten der "Bread Station" gibt's quasi im Haus, die dunkleren Brote in der "Neuköllner Backstube" um die Ecke. (Ich liebe beide Bäckereien.) Beim Haus­bäcker, der noch im Aufbau ist, der Ca­fé­be­reich entsteht ge­ra­de, stapeln sich ne­ben den Holzzuschnitten die Pakete, die Kurierdienste dort für das halbe Ufer ab­ge­stellt haben.

Mich rührt so viel Freundlichkeit, denn als hätten sie mit dem Ausbau nicht schon genug zu tun, tun sie sich auch noch eine Slalomstrecke an.


Als ich reinkomme, sind vor mir zwei Männer dran, ich bekomme nur mit, dass sie eine Frage haben. Wie genau die Über­set­zer­in heiße, wisse sie nicht, ant­wor­tet die Backverkäuferin, aber sie wohne gleich nebenan. Wie im Theater hatte ich also aufs Stichwort die Bühne be­tre­ten. Alle strahlen.

Ich erkläre rasch, dass ich keine Lauf­kund­schaft habe, meistens in Dol­met­scher­ka­bi­nen oder bei Presseinterviews arbeite, daher auch kein Firmenschild un­ten am Haus hängt.

Für den Mann von der Straße arbeite ich eher selten, aber es kann vorkommen. Die beiden Herren haben eine Seite Handelskorrespondenz dabei, die zu übersetzen ist. Ohne Text­be­ar­bei­tung soll ich den Preis schätzen. Ich komme auf 50 Euro. Der Preis scheint OK zu sein.

Dann stehen wir vor der Ladentür und plaudern über den Hintergrund des Briefs. Einer der Herren spricht Französisch als Zweitsprache, nur kann er keine fran­­zö­si­schen Texte schreiben. Er beglückwünscht mich erst zu meinen Deutsch-, dann (nach meinem Ein­wand) zu meinen Französischkenntnissen. Ich überschlage und komme auf etwa zehn Jahre, die ich in meinem Leben in Frankreich gelebt habe, Studium inklusive.

Trotzdem hatten sie wohl mit einem geringeren Preis gerechnet. Sie fragen vor­sich­tig nach. Ich bin froh, dass wir zuvor über Frankreich gesprochen haben. Ich erzähle, dass unsereiner natürlich im Studium und den ersten Berufsjahren nichts oder nur sehr wenig verdient und dass wir daher in den aktiven Jahren diesen Le­bens­ein­kom­mens­rück­stand aufholen müssen.

Er nickt sofort, na klar, komplett logisch. Ich freue mich über den unverhofften Auf­trag, den ich gleich wunderbar einschieben kann. Und ich stelle für mich ir­ri­tiert fest, dass der Mann von der Straße so viel gesunden Menschenverstand hat, während wir (Mit-)Akademikern gegenüber oder den blöden BWL-Absolventen, die mal eben einen Sprachmakler (alias Agentur) simulieren, echte argumentative Geschütze auffahren müssen.

Da ich denke, dass gesunder Menschenverstand gleichmäßig auf al­le Be­völ­ke­rungs­grup­pen verteilt ist, muss ich eigentlich bei den Letztgenannten von Bos­ar­tig­keit und der Absicht der Übervorteilung ausgehen. Schnell wieder ver­ges­sen, den Ge­dan­ken, sonst kann ich demnächst nicht mehr entspannt verhandeln.

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Foto: C.E.

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