Freitag, 4. Dezember 2015

Vier-Augen-Prinzip

Will­kom­men auf den Sei­ten mei­nes di­gi­ta­len Ar­­beits­­ta­­ge­­bu­ches. Ich bin Dol­met­sche­rin und Über­set­ze­rin und ar­bei­te in Pa­ris, Ber­lin, Mün­chen und dort, wo Sie mich brau­chen. Am Ende der Kon­gress­sai­son über­set­zen wir wie­der häu­fi­ger.

S/W-Foto aus den 1930-er (?) Jahren des letzten Jahrhunderts, rund um einen Schreibtisch mit vielen Schreibmaschinen darauf sitzen Damen und lächeln in die Kamera.
Das gut gelaunte Freitagsbüro
"Freitags nach eins macht jeder seins!", den Spruch kenne ich aus Ostberlin, in­zwi­schen ist er wohl ge­samt­deutsch gültig.
Blick ins Freitagsbüro ... die Damen sind gutgelaunt, die Arbeit ist fast erledigt. Vor dem Gang in die Kantine sto­ßen wir mit ei­nem Gläs­chen Schaum­wein an (nach dem Fo­to­gra­fiert­wer­den).

Ich muss mich noch erholen von einem Kolleginnentelefonat. Ein Über­set­zungs­kun­de hat im letzten Moment noch einige Passagen geändert, eine französische Kol­le­gin und ich gehen die Punkte durch. Die Französin war in den letzten Tagen unsere Chefkorrektorin. Wir arbeiten schon seit einigen Jahren zusammen.

Die Über­setzungen gehen in beide Richtungen, Ziel­sprachen sind Französisch und Deutsch. Wenn es eng wird mit den FR-Mutter­sprachlern und es sich um Fach­texte handelt, über­set­ze auch ich ins Franzö­sische. Das war dieses Mal auch der Fall. Wir freuen uns zwi­schen­durch aufs bevorstehende Wochenende. Ich sage der Text­chefin, dass mein letztes Werkchen gleich auch von der Kor­rek­to­rin zurückkommt, dass sich auch für mich das Wochen­ende abzeichnet. Sie stutzt. Im Scherz fragt sie: „Wirst du jetzt untreu?“

Ich sage: "Meine Mutter liest den Text schnell gegen, sie ist vom Fach." Pause. Und ergänze: "Zielsprache Deutsch." Pause. Dann erkläre ich: "Deutsch ist ihre Mut­ter­spra­che." Pause. "Meine übrigens auch."

Noch immer Schweigen. Offenbar habe ich eine kleine Kaskade von Über­ra­schun­gen ausgelöst. Am anderen Ende der Telefonleitung sortiert die Kol­le­gin ihre Ge­dan­ken, murmelt etwas, un­ter­­bricht sich, prustet dann laut lachend los: “Streich' das eben Gesagte. Jetzt hast Du mich kalt erwischt. Darauf wäre ich nicht ge­kom­men!"

OK. Ich muss an meinem Image arbeiten. Nicht dass sich noch die Absagen nach Aus­­schrei­bun­gen mehren wie von der potentiellen Neu­kundin neulich. Sie hatte mich bei der Eröffnung eines Film­festivals dolmetschen gehört und mir für meine fehlerfreie Aussprache gratuliert. Dann ging es um die Über­setzung eines neuen Projekts aus Paris. Sie schrieb: "Nach interner Beratung haben wir uns für eine Deutsch-Muttersprachlerin entschieden."

Résumé für die Schnellleser: Als Dolmet­scherin arbeite ich bilateral und aus dem Englischen, als Überset­zerin überwiegend ins Deutsche, im Team überset­zen wir auch ins Franzö­sische. In allen Fällen gilt das Vier-Augen-Prinzip, in komplexen Fällen sind sogar drei Profis an den Überset­zungen beteiligt.

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Foto: Eigenes Archiv/© C.E.

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