Samstag, 8. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Von Fähnchen und Schlafsäcken

Hallo auf den Blogseiten einer Fran­zö­sisch­dol­met­scherin aus Berlin. Den zweiten Berlinaletag habe ich im Kino begonnen. Außerdem muss in den Vorspann, dass ich aus einer Textildynastie abstamme, das Gen für gute Stoffe also im Körper trage.

Was er denn machen würde, wenn "der Russe" käme, wird Yves Saint-Laurent im gleichnamigen Film von Jalil Laspert gefragt. "Einfach weitermachen", sagt er da­rauf: "Kleider gestalten und Blaumänner und Kittel, ja, Kittel ... Kittel" — des blou­ses, des blouses — lässt Schauspieler und Regisseur Laspert seinen Haupt­dar­stel­ler Pierre Niney ebenso verträumt wie untergründig ironisch antworten.

Leider haben wir nie einen Kittel aus der Hand von YSL gesehen, dessen aus den Initialen gebautes Firmenlogo, das fiel mir erst im Film auf, durch leicht grotesk verlängerte Vertikalen von Y und L stark an das Dollarzeichen erinnert.

Was ich aber sofort sehe: Nach einem Film über den Modeschöpfer Yves Saint-Lau­rent sieht die Berlinale anders aus. Noch restverschlafen stolpere ich, es ist noch nicht einmal später Vormittag, über den Potsdamer Platz und diverse Aus­tragungs­or­te des einzigen deutschen A-Festivals. So staune ich über allerlei Mitmenschen, eingemummelt in engmaschige Winterware, dabei führt das Berlinwetter die zwei­ten Frühlingsprobe dieses Winters auf. (Später komme ich an einem Thermometer vorbei und sehe 14° C. wie an einem kühlen Sommertag.)

Und für einen kurzen Weg von der Pressevorführung zum Hotel, in dem die Pres­se­kon­fe­ren­zen stattfinden, sehe ich plötzlich die Passanten mit den Augen eines Mo­de­schöpfers. Mir fallen auf: Dunkle Farben (die mit der Schattierung der Au­gen­rin­ge konkurrieren, dabei ist das erst der 2. Berlinaletag), wieder mehr tintenblaue amerikanische Arbeiterhosen als andere Beinkleidvarianten, über langen Hosen Jerseykleidstoffe, die an die 70-er Jahre gemahnen, das heißt jetzt "Vintage", und zurückgekehrte (Second Hand?)-Pelzmäntel. Außerdem ein Kapuzenshirt unter dem Boss-Jackett, dazu passende unifarbene Stiefel, die entfernt an einen Cow­boy­stie­fel­schnitt gemahnen.

Das Kapuzenshirt scheint ein wichtiges Kleidungsstück der Zehnerjahremitte zu sein, das ideale Dauermöbel für die spätpubertierenden Kulturschaffenden, -kri­ti­ker und andere Festivalhipster. Es eignet sich hervorragend als mittlere Klei­dungs­schicht, denn an normalen Berlinalemorgenden scheinen alle in zunehmend ge­räu­mi­ge­re Roben nach dem Zwiebelprinzip gehüllt, besonders, wenn es feb­ru­ar­ty­pisch kalt ist und die Leute in Daunenschlafsäcken auf die Straße gehen. Das mit den schlafsackartigen Daunensteppmänteln ist zudem sehr praktisch für jene, die sich morgens zu einer langen Schlange an der Kinokasse in den Arkaden zu­sam­men­ge­fun­den haben; sie wirken ohnehin so, als hätten sie die Nacht vor Ort verbracht. (Das war mir schon vor dem Film aufgefallen, als ich zur Stunde des Hahnenschreis ins Kino eilte.)

Lasse ich meinen Blick über die Alte Potsdamer Straße schweifen, fallen mir auf je­den Fall zu viele bunte Schals und Mützen auf und zu wenig Eleganz, zu wenig schöne Formen, kaum interessantes, hochwertiges Material, von der Verarbeitung ganz zu schweigen. Der Darsteller des Pierre Bergé, Lebens- und Geschäftspartner des Modeschöpfers, sagt an einer Stelle des Films einmal: "Wir liefern keine Zeich­nungen, wir liefern Kleider. Die Qualität der Verarbeitung ist es, die zählt." Ja, so war das damals.

Ich erlebe ein déjà vu, denn den Effekt mit den schönen Kleidern und der un­in­spi­riert gewandeten Mitwelt habe ich am Potsdamer Platz schon einmal erlebt. Etwa 2002 durfte ich im Kino Arsenal David Teboul dolmetschen, der seinen Do­ku­men­tar­film "5, avenue Marceau" über Leben und Arbeit von YSL in Berlin vorstellte. Doch heute ist der Kontrast zwischen Tagespragmatik und der hohen Eleganz bei Berlinale-Abendveranstaltungen viel größer.

Die Autorin dieser Zeilen, geschminkt und im Perlenbustier
Neulich auf der Berlinale
Das liegt an der Jahreszeit. Berlinalewetter kann richtig grausam sein. Das gilt aber erst für die Neuzeit, also seit 1977, davor fand das Festival im Sommer statt, in den Festi­val­ka­len­der eingeklemmt zwischen Cannes und Ve­ne­dig.

Seitdem bedarf es vor allem für uns Damen ei­ni­ger logistischer Kapriolen, wenn wir die eine oder andere Soirée mit der ihr ge­büh­ren­den Eleganz verbringen möchten. Als da wä­ren: Skiunterwäsche unter dem luftigen Abend­kleid­chen (als YSL jung war, sagte man "Fähn­chen" dazu), Moonboots an der Gar­de­robe und immer genug Kleingeld in der Tasche für das Nachttaxi bei (gefühlten) bis zu minus 20 Grad.

Bei der Berlinale fand es es immer schwierig, an vielen Abenden zu Empfängen oder Parties zu gehen. Die Herren sind mit ihren (möglicherweise eben erst fer­tig­ge­wor­de­nen) Maßanzügen immer passend gekleidet, während von uns jeden Abend ein anderes Outfit erwartet wird. Weil ich schon in den 1990-er Jahren das Festival als Jour­nalistin besucht ha­be, hängt bei mir jetzt Abendmode aus knapp 20 Jahren im Schrank. The­o­re­tisch wäre das also kein Problem, ich könnte wieder von vorne anfangen.

Aber ich verhalte mich in Sachen Aufrüschung durchaus antizyklisch. Einstmals, als nur Damen wie Tilda Swinton, Meret Becker und ich uns aufstylten, die anderen aber in Jeans und dem kleinen Bruder des Kapuzenshirts, dem Schlabbberpulli, in die Filmpremieren latschten, hatte ich Zeit dafür und Lust daran, mich in Roben oder enge Perlenbustiers zu hüllen und zu Schühchen, Täschchen und Pu­der­dös­chen zu greifen. Heute, wo vor dem Festivalpalast normalerweise armfreie Roben bei Mi­nus­gra­den über den roten Teppich getragen werden, setze ich die Tarn­kap­pe auf. Was ich anziehe, muss praktisch sein, auch nach einem langen Arbeitstag noch elegant und bloß nicht zu sichtbar.

Der Grund dafür ist einfach benannt. Wir Sprachmittler treten oft einen Schritt hinter die Protagonisten zurück und neigen vestimentär zu der uns eigenen Ver­huscht­heit. (Als Anwohnerin des "Türkenmarktes" am Maybachufer kenne ich das sonst nur von den anatolischen Muttchen mit Kopftuch, die nicht selten alleine den Ein­kauf tragen dürfen.)

Unser aller Festivalchef, Mein-Freund-Dieter Kosslick, soll ja für die Festivaltage seine Rote-Schal-Kol­lektion zentral in einen Hotelkleiderschrank gehängt haben. Das wär's! Für die Berlinale im Herzen Berlins Quartier beziehen und sich, wie es einer Dame von Stand vor hundert Jahren noch gebührt hat, mehrmals täglich umziehen.

Oder das Gegenteil: Noch mehr Tarnung. Tilda Swinton erzählte neulich, sie kenne die Berlinale ja schon aus allen möglichen Perspektiven, sie müsse einmal als Putz­frau kommen und sehen, wie sich das anfühle. Klasse Idee. Dear Tilda, ich freu­e mich darauf. Aber bitte im Kittel aus der Hand eines talentierten Mode­schöpfers.

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Foto: privat

3 Kommentare:

Th. hat gesagt…

Wie "neulich" ist denn das Neulich?
Gruß, Th.

caro_berlin hat gesagt…

Rate mal!

Julie hat gesagt…

Also ich schätze mal 10 Jahre!

Übrigens, meine Süße, liegt nicht der P'Platz in der Mitte Berlins, sondern Du! Also Deine Wohngegend, schau hier:

Spremberger Straße Nähe Maybachufer

Caro, Caro, stell' nur ja Dein Licht nicht unter'n Scheffel! Und schöne Berlinaleoutfits wünscht Dir mit Gruß:

das kleine Julchen