Mittwoch, 12. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Hirnlüften

Als Dol­met­scher­in und Über­setzer­in be­ob­achte ich das einzige deut­sche A-Fes­ti­val unter den Film­fes­ti­vals, die Berlinale. Vorgestern akquiriert, gestern erwähnt, die Folgen sind klar: Hausarrest! Ich übersetze einen Film­ko­pro­duk­tions­ver­trag, der dringend fertig werden muss. Daher: Rückblende!

Dolmetscherkritzelei
Interviews dolmetschen ist Hirnmarathon. Immer genau sein, nichts vergessen beim Übertragen der Antworten, die Antworten gleichen den­jenigen, die schon gegeben worden sind, weil auch die Fragen einander nicht selten gleichen, das macht eine be­son­dere Auf­merk­sam­keit nötig. Wenn diese Einsätze Stunden dau­ern, freue ich mich über jeden, der Fran­­zö­­sisch spricht oder versteht. Meistens haben die PR-Agenten, unsere Schutzengel, diese kurzen "Pausen" wunderbar zwischen zu verdolmetschende Interviews gestreut.
Also darf ich meinen Geist manchmal wan­dern lassen, damit ich mich auch von den oft sehr schnell gesprochenen Worten er­holen kann.

Die graue Hirnsubstanz wird dieser Tage als Hochleistungsorgan besonders ge­for­dert. Deshalb entspanne ich gerne bewusst die beanspruchten Hirnregionen, u.a. das Broca-Areal. Das ma­che ich, indem ich andere Regionen anspreche. Und ich denke, dass sich eine Ab­len­kung auch auf andere Bereiche des Zentralorgans aus­wirkt wie die limbische Schleife, die das Gedächtnis, aber auch Gefühle steuert. Soduko wäre jetzt gut — oder auch nicht, denn mit einem Ohr muss ich immer dem Geschehen folgen. Seit Jahren fotografiere ich zur Entspannung.

Fit sein ist die halbe Miete auf der Berlinale, die auf die Zielgerade zusteuert. Jetzt zeigt zum Glück nur mein Fotoapparat Ermüdungserscheinungen. Aber Jobs fo­to­gra­fie­ren ist ohnehin delikat. In den letzten Jahren sind die Optiken der Ka­me­ras sehr viel lichtstärker geworden, und bei Filmaufnahmen fürs TV steht nur noch eine kleine Leuchte da. Anders als noch vor x Jahren, ist der Drehort nicht mehr in gleißendes Licht getaucht. Ich traue mich erst nicht, die Kamera aus der Tasche zu nehmen, denn der Autofocus sendet kurz ein Lichtlein aus, um den Abstand zu messen. Ist dieser auf Sprechende gerichtet, die dabei gefilmt werden, sehen die Zuschauer später möglicherweise eine kleine Veränderung im Bild.

Also knipse ich nur, während die Interviewgäste aufstehen, sich verabschieden und neue hinzukommen, wenn das Gerät mitmacht, wobei das Aufnehmen gerade nicht das große Problem ist, meistens hapert es am Überspielen. Ver­ab­schie­dungs- und Begrüßungsmomente gibt es oft an so einem Tag. Ein Interviewtermin für Print­leute dauert 20 Minuten, der "Slot" für die TV-Aufnahmen nur acht Minuten. Eine Aufnahmeleiterin sitzt mitten im Raum und sagt die Zeit an.

Das Broca-Areal ist das zentrale Sprachzentrum
Und so zeichne ich mal wie­der. Wie gut, dass ich den Lieb­lings­fül­ler dabei habe. Vor mir sitzt eine Journalistin mit schönen langen Haaren und Brille, um sie herum das Kamerateam, das die Pres­se­agen­tur an­ge­stellt hat. Am Ende erhalten die Presseleute ihre Daten ausgehändigt, nie­mand kommt mehr mit Team, das ist wie ein großer Was­ser­durch­lauf­er­hitzer.

Jalil Lespert ("Yves Saint-Laurent") nennt am Samstag diese Übung "Ma­schi­nen­ge­wehr­re­den": Man bemühe sich um ein normales Tempo, spreche aber alles andere als normal, einfach viel zu schnell. Ich sage nicht direkt "Ja", das verbietet die Höf­lich­keit, sondern etwas mit on essaie de courir derrière, "unsereiner bemüht sich, hinterherzurennen".

Ohne zwischenzeitiges gutes Durchlüften der grauen Masse wäre das nicht möglich. Einmal kündigt mir die Aufnahmeleiterin wieder einen fran­zö­sisch­spra­chi­gen Pres­se­ver­tre­ter an. Ich bleibe trotzdem auf meinem Platz sitzen, falls Nachfragen sind, schalte aber geistig auf Pause um und setze meine Zeichnung fort. Der Journalist stellt seine Frage auf Deutsch: "Was hat Sie an der Figur Yves Saint-Laurent ge­reizt?" Ich verstehe sie, klar, die Sprache kann ich einigermaßen, realisiere aber nicht gleich, dass ich jetzt entgegen der Ankündigung doch dran bin. Alle Augen sind auf mich gerichtet, der Regisseur schaut mir direkt auf den Block. Ich zucke zusammen und bitte um Entschuldigung, spule im Geiste zurück, dol­met­sche, alle lachen. Was hat ihn denn nun an der Figur Saint-Laurent gereizt? Jalil Lespert feixt, schaut von meinem Block auf und beginnt seine Antwort mit: Le rapport au dessin! (Die Beziehung zum Zeich­nen.)

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Illustrationen: C.E. und Wikicommons

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