Was er denn machen würde, wenn "der Russe" käme, wird Yves Saint-Laurent im gleichnamigen Film von Jalil Laspert gefragt. "Einfach weitermachen", sagt er darauf: "Kleider gestalten und Blaumänner und Kittel, ja, Kittel ... Kittel" — des blouses, des blouses — lässt Schauspieler und Regisseur Laspert seinen Hauptdarsteller Pierre Niney ebenso verträumt wie untergründig ironisch antworten.
Leider haben wir nie einen Kittel aus der Hand von YSL gesehen, dessen aus den Initialen gebautes Firmenlogo, das fiel mir erst im Film auf, durch leicht grotesk verlängerte Vertikalen von Y und L stark an das Dollarzeichen erinnert.
Was ich aber sofort sehe: Nach einem Film über den Modeschöpfer Yves Saint-Laurent sieht die Berlinale anders aus. Noch restverschlafen stolpere ich, es ist noch nicht einmal später Vormittag, über den Potsdamer Platz und diverse Austragungsorte des einzigen deutschen A-Festivals. So staune ich über allerlei Mitmenschen, eingemummelt in engmaschige Winterware, dabei führt das Berlinwetter die zweiten Frühlingsprobe dieses Winters auf. (Später komme ich an einem Thermometer vorbei und sehe 14° C. wie an einem kühlen Sommertag.)
Und für einen kurzen Weg von der Pressevorführung zum Hotel, in dem die Pressekonferenzen stattfinden, sehe ich plötzlich die Passanten mit den Augen eines Modeschöpfers. Mir fallen auf: Dunkle Farben (die mit der Schattierung der Augenringe konkurrieren, dabei ist das erst der 2. Berlinaletag), wieder mehr tintenblaue amerikanische Arbeiterhosen als andere Beinkleidvarianten, über langen Hosen Jerseykleidstoffe, die an die 70-er Jahre gemahnen, das heißt jetzt "Vintage", und zurückgekehrte (Second Hand?)-Pelzmäntel. Außerdem ein Kapuzenshirt unter dem Boss-Jackett, dazu passende unifarbene Stiefel, die entfernt an einen Cowboystiefelschnitt gemahnen.
Das Kapuzenshirt scheint ein wichtiges Kleidungsstück der Zehnerjahremitte zu sein, das ideale Dauermöbel für die spätpubertierenden Kulturschaffenden, -kritiker und andere Festivalhipster. Es eignet sich hervorragend als mittlere Kleidungsschicht, denn an normalen Berlinalemorgenden scheinen alle in zunehmend geräumigere Roben nach dem Zwiebelprinzip gehüllt, besonders, wenn es februartypisch kalt ist und die Leute in Daunenschlafsäcken auf die Straße gehen. Das mit den schlafsackartigen Daunensteppmänteln ist zudem sehr praktisch für jene, die sich morgens zu einer langen Schlange an der Kinokasse in den Arkaden zusammengefunden haben; sie wirken ohnehin so, als hätten sie die Nacht vor Ort verbracht. (Das war mir schon vor dem Film aufgefallen, als ich zur Stunde des Hahnenschreis ins Kino eilte.)
Lasse ich meinen Blick über die Alte Potsdamer Straße schweifen, fallen mir auf jeden Fall zu viele bunte Schals und Mützen auf und zu wenig Eleganz, zu wenig schöne Formen, kaum interessantes, hochwertiges Material, von der Verarbeitung ganz zu schweigen. Der Darsteller des Pierre Bergé, Lebens- und Geschäftspartner des Modeschöpfers, sagt an einer Stelle des Films einmal: "Wir liefern keine Zeichnungen, wir liefern Kleider. Die Qualität der Verarbeitung ist es, die zählt." Ja, so war das damals.
Ich erlebe ein déjà vu, denn den Effekt mit den schönen Kleidern und der uninspiriert gewandeten Mitwelt habe ich am Potsdamer Platz schon einmal erlebt. Etwa 2002 durfte ich im Kino Arsenal David Teboul dolmetschen, der seinen Dokumentarfilm "5, avenue Marceau" über Leben und Arbeit von YSL in Berlin vorstellte. Doch heute ist der Kontrast zwischen Tagespragmatik und der hohen Eleganz bei Berlinale-Abendveranstaltungen viel größer.
Neulich auf der Berlinale |
Seitdem bedarf es vor allem für uns Damen einiger logistischer Kapriolen, wenn wir die eine oder andere Soirée mit der ihr gebührenden Eleganz verbringen möchten. Als da wären: Skiunterwäsche unter dem luftigen Abendkleidchen (als YSL jung war, sagte man "Fähnchen" dazu), Moonboots an der Garderobe und immer genug Kleingeld in der Tasche für das Nachttaxi bei (gefühlten) bis zu minus 20 Grad.
Bei der Berlinale fand es es immer schwierig, an vielen Abenden zu Empfängen oder Parties zu gehen. Die Herren sind mit ihren (möglicherweise eben erst fertiggewordenen) Maßanzügen immer passend gekleidet, während von uns jeden Abend ein anderes Outfit erwartet wird. Weil ich schon in den 1990-er Jahren das Festival als Journalistin besucht habe, hängt bei mir jetzt Abendmode aus knapp 20 Jahren im Schrank. Theoretisch wäre das also kein Problem, ich könnte wieder von vorne anfangen.
Aber ich verhalte mich in Sachen Aufrüschung durchaus antizyklisch. Einstmals, als nur Damen wie Tilda Swinton, Meret Becker und ich uns aufstylten, die anderen aber in Jeans und dem kleinen Bruder des Kapuzenshirts, dem Schlabbberpulli, in die Filmpremieren latschten, hatte ich Zeit dafür und Lust daran, mich in Roben oder enge Perlenbustiers zu hüllen und zu Schühchen, Täschchen und Puderdöschen zu greifen. Heute, wo vor dem Festivalpalast normalerweise armfreie Roben bei Minusgraden über den roten Teppich getragen werden, setze ich die Tarnkappe auf. Was ich anziehe, muss praktisch sein, auch nach einem langen Arbeitstag noch elegant und bloß nicht zu sichtbar.
Der Grund dafür ist einfach benannt. Wir Sprachmittler treten oft einen Schritt hinter die Protagonisten zurück und neigen vestimentär zu der uns eigenen Verhuschtheit. (Als Anwohnerin des "Türkenmarktes" am Maybachufer kenne ich das sonst nur von den anatolischen Muttchen mit Kopftuch, die nicht selten alleine den Einkauf tragen dürfen.)
Unser aller Festivalchef, Mein-Freund-Dieter Kosslick, soll ja für die Festivaltage seine Rote-Schal-Kollektion zentral in einen Hotelkleiderschrank gehängt haben. Das wär's! Für die Berlinale im Herzen Berlins Quartier beziehen und sich, wie es einer Dame von Stand vor hundert Jahren noch gebührt hat, mehrmals täglich umziehen.
Oder das Gegenteil: Noch mehr Tarnung. Tilda Swinton erzählte neulich, sie kenne die Berlinale ja schon aus allen möglichen Perspektiven, sie müsse einmal als Putzfrau kommen und sehen, wie sich das anfühle. Klasse Idee. Dear Tilda, ich freue mich darauf. Aber bitte im Kittel aus der Hand eines talentierten Modeschöpfers.
______________________________
Foto: privat
3 Kommentare:
Wie "neulich" ist denn das Neulich?
Gruß, Th.
Rate mal!
Also ich schätze mal 10 Jahre!
Übrigens, meine Süße, liegt nicht der P'Platz in der Mitte Berlins, sondern Du! Also Deine Wohngegend, schau hier:
Spremberger Straße Nähe Maybachufer
Caro, Caro, stell' nur ja Dein Licht nicht unter'n Scheffel! Und schöne Berlinaleoutfits wünscht Dir mit Gruß:
das kleine Julchen
Kommentar veröffentlichen