Donnerstag, 1. November 2012

A wie Autsch!

Willkommen! Sie lesen gerade in meinem digitalen Arbeitstagebuch. Ich bin Übersetzerin und Dolmetscherin, meine zweite Sprache ist Französisch, die dritte Englisch. Wie Sie mich buchen können, steht rechts.

Eine Tafel mit Spitzendecke und Kristallgläsern, auf der die Sonne ruht. Um den Tisch herum stehen alte Holzstühle, auf dem Boden liegt ein Perserteppich.
In den Herbstferien war wenig zu tun, ich machte Urlaub ... zuhause und mit Besuch. Zwischendurch hatte ich zwei kleine Einsätze, in beiden Fällen kamen diese über Dolmetschagenturen rein, für die ich normalerweise nur selten arbeite.

Die Agenturbetreiber und ihre Mitarbeiter fragen mich nur vereinzelt an. Ich kann mir vorstellen, dass diese mit einer im Netz präsenten Einzelunternehmerin, die Teil eines Netzwerks ist, schon aus ethischen Gründen ihre Probleme haben.

Und ich mit ihnen. 

Der gleiche Tisch wie eben, nur bunt ... Nun traf es sich, dass die beiden Anfragen gut zu meinen sonstigen Arbeitsbereichen passten: Architektur, einmal im Bereich energieoptimierter Bauweisen, einmal zum Thema Innenarchitektur. Viel Zeit zur Vorbereitung war also nicht zu investieren, die Einsätze waren kurz, einmal waren drei Stunden angesetzt, das andere Mal 1,5 ... ich hatte es als "Taschengeld" verbucht.

Das Bild in ausgewaschenen Farben ...Oha, was für ein Fehler. Ich öffne eine Klammer: Dass Dolmetschagenturen zum Teil extrem präsent im Netz sind (sowie auf klassischen Werbeträgern), ist Teil ihrer Strategie und verändert den Markt. Leider legen manche seltsame Geschäftsgebaren an den Tag. Eine dieser Firmen hat mal unsere Kundenliste abtelefoniert und einen Schwung Kunden "abgeworben". Ach ja, und sicher gibt es auch irgendwo die Agenturen, die super, freundlich, professionell, zuvorkommend ... arbeiten und ihre Mitarbeiter leistungsgerecht entlohnen. Nur habe ich sie noch nicht gefunden. Vorab Dank für Hinweise. Ende der Klammer.

Das Bild mit Reliefstruktur ...Der erste Einsatz lief richtig super, also die energieoptimierten Um- und Neubauten. Das Honorar ... naja. Der Berliner Architekt, der seine Auftraggeber aus der Schweiz über die Baustellen begleitete, rühmte am Ende meiner Kollegin und meine Verdolmetschungen. Er habe, sagte er, noch nie das Gefühl gehabt, selbst Französisch zu sprechen, und hier sei der Dialog ja nachgerade zeitgleich geschehen. So kam es, dass er uns stante pede für die nächste Baustellenbegehung buchen wollte und um unsere Visitenkarten bat.

Das Bild auf seine Kontraste reduziert ...Wir winkten ab. Kundenschutz! Vor der Veranstaltung hatten wir beide ein 13-seitiges Dokument unterzeichnet, in dem wir versprachen, die kommenden 12 Monate nicht direkt für den Kunden zu arbeiten. Versprechen ist ein Wort, wir verpflichteten uns angesichts der Androhung hoher Konventionalstrafen dazu.

Der Architekt insistierte. Wir schlugen vor, er könne seine Dolmetscher doch bei der Agentur in der Teambesetzung von heute bestellen, wir würden es einzurichten versuchen. Nun, die Herbstferien sind inzwischen Geschichte, von der Agentur kam nicht einmal ein Dankeschön geschweige denn eine zweite Anfrage.

Das Bild mit bunten Farbflächen ...Zweites Moment. Auch hier wieder ein Vertrag vorab, acht Seiten diesmal. Das Honorar, so die Dolmetschagentur im Vorfeld, sei leider, leider nicht so hoch, Auftrag für eine Privatperson eben. Eine Dame aus Québec sei im Gespräch mit ihrem Innenarchitekten zu verdolmetschen. Sie und ihr Gatte wollten sich für den Ruhestand in seiner Geburtsstadt niederlassen, in der inzwischen auch Tochter und Enkel lebten. Man bot mir 200 Euro an, die Sache werde wie gesagt in anderthalb Stunden zu erledigen sein. Ich schaffte es, den Preis auf 300 Euro hochzuverhandeln. Und dann solle ich noch eine Bescheinigung ausdrucken, um sie anschließend von der Kundin unterschreiben zu lassen, hieß es.

Das Bild, grünstichig und bunt ...Die Wohnung war in Kudamm-Nähe, ich kenne derlei nur von exklusiven Berlinaleparties. Es war die einstige Heimstätte einer der sprichwörtlichen Wilmerdsorfer Witwen (➔ Linie 1), acht Zimmer inklusive Plüschchen, Rüschchen und Ameublemang. (Letzteres sollte noch ein Trödler vom Orte entfernen.) Wir waren drei spannende Stunden vor Ort. Kurz vor dem Gehen merkte ich, dass ich das Formular zur Auftragsbestätigung im Büro vergessen hatte, weil ich nochmal zurückgeeilt war, um einen Brief auszuwiegen. Pech halt.

Das Bild als sepiafarbene Aufnahme ...Da zog Madame ihre Auftragsbestätigung aus der Tasche und meinte, ich könne doch auf ihrem Papier abzeichnen. Was ich tat. Dabei fiel mein Auge auf den Preis meiner Dienstleistung: 980 Euro ... für, ich habe genau hingesehen, einen einzigen Einsatz. Wo fängt etwas an, sittenwidrig zu sein?

Ich hab der Dolmetschagentur keck den doppelten Honorarsatz in Rechnung gestellt, war ja schließlich auch die doppelte Zeit. In einem knappen Vierteljahr weiß ich, ob sie zahlt. Sie selbst hat nämlich das Zahlungsziel auf 90 Tage festgelegt (was an sich schon eine Sch...erei ist).

Das Bild als Wärmebild ...Merke: Eine Dolmetschagentur verdient ihr Geld, indem sie Dolmetscher vermittelt.
Ein Dolmetscher/eine Dolmetscherin verdient sein/ihr Geld, indem er/sie dolmetscht.
Das Bild mit Weichzeichner und Lichteffekten ...Da wir oft auch für größere Veranstaltungen angefragt werden, arbeiten wir als loses Netzwerk zusammen. Netzwerke sind Zusammenschlüsse von Spracharbeitern, die einander aus der Arbeit kennen und ausschließlich Kollegen empfehlen, deren Qualität sie selbst (oder die eigenen Gewährsleute) einschätzen können. Dolmeschagenturen achten natürlich auch bei der Auswahl derer, an die sie die Aufträge weitervergeben, auf gewisse Kriterien wie Studienabschluss und Erfahrung, kennen aber zumeist "ihre" Pferdchen nicht persönlich bzw. haben, da sie selbst oft nicht vom Fach sind, nicht immer die Möglichkeit, sie einzuschätzen.

A wie Agentur: Dolmetschagenturen stehen leider schon allein aufgrund des ersten Buchstabens in vielen Verzeichnissen ganz oben. Die Arbeitsweise mancher gemahnt an digitale Wegelagerei.
Unser Einkommen auf Taschengeldniveau zu reduzieren, ist einfach eine Unverschämtheit und vielleicht sogar, der Gedanke sei mir hier erlaubt, kriminell, denn sie weisen uns einen Platz am Katzentisch zu, obwohl wir doch die qualifizierte Arbeit machen.

Ich werde den Anwalt meines Vertrauens fragen. Blogposts wie dieser sind keine Jammerei, sondern einfach nur Feststellungen. Und wir müssen unsere werte Kundschaft informieren.

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Fotos: C.E.

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