Montag, 12. November 2012

laut und leise

Bonjour, guten Tag, Sie sind (zufällig oder absichtlich) auf meinem Notizblo|ck|g gelandet! Als Spracharbeiterin schreibe ich hier regelmäßig über das, was Dolmetscher und Übersetzer machen, und zwar in Berlin, Paris, München und Lyon. Dabei beschreibe ich allgemeine und besondere sprachliche Aspekte des Berufslebens, stets unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse.

Hochfloriger Teppichboden, weiche Sitzgarnitur, bilderbuchhafter Gartenblick: Wir sitzen in der Botschaft eines Staates, der in Berlin akkreditiert ist. Entsprechend gedämpft sind die Gespräche der Herren, die ich dolmetsche. Eine Mitarbeiterin serviert Getränke.

Spiralblock und Füller, im Hintergrund sind Couchtisch mit Tassen und Getränken und Sitzgelegenheiten auf tiefrotem Teppichboden zu sehen.Dann betritt die Botschafterin den Raum. Händeschütteln. Ich stehe als vorletzte in der Reihe, reiche meine Hand, die Botschafterin hatte mich aber schon übersehen und sich ihrem Mitarbeiter zugewandt, der an letzter Stelle stand. Sie sieht mich, die Hand, lacht, "die Dame zuerst", schüttelt mir die Hand, dann ist ihr Mitarbeiter dran.

Mich durchläuft es heiß und kalt. War ich zu schnell? Hätte ich warten müssen, bis der Handgebeimpuls von ihr ausgeht? Oder war das eventuell bereits ein Fauxpax auf diplomatischem |Parkett| Hochflor in Tiefrot?

Die Sitzrunde sitzt in einer weichen Couchgarnitur. Nur ein niederrangiger Mitarbeiter (exakt jener, welcher die Hand ...) und ich hocken daneben auf Stühlen wie die Hühnchen auf der Stange. Nach dem Austausch von viel Höflichkeit, die Franzosen sagen zu derlei manchmal ironisch faire des Salamaleiks, geht es zur Sache. Ich dolmetsche simultan, spreche laut, um Entfernungen zu überbrücken, mir raucht schnell der Schädel.

Die Botschafterin geht bald wieder, nachdem sie ihre Anweisungen gegeben hat. Ihr Platz bleibt frei. Ich sitze weiterhin in weitestmöglicher Entfernung zu meinen Klienten und spreche weiterhin auffallend laut. Aber ohne vorherige Einladung ergreife ich jetzt keine Initiative mehr! Nein, ich setze mich jetzt nicht auf den freien Sessel! Vielleicht ist Madame ja auch nur kurz raus.

In meinen Nachdenkpausen, die immer nur sekundenlang dauern, höre ich traumhafte Stille. Uns trennt eine Doppeltür vom Nebenraum. In meinem Kopf sind die Gedanken trotzdem laut vor möglichen Variationen der Verdolmetschung.

Weitere Elemente zur Definition des Dolmetscherberufs: Sie (also wir) sind in doppeltürbewehrten Hinterzimmern der Politik tätig, sprechen meistens eher leise, sitzen in schallisolierten Kisten, die wie Kleiderschränke aussehen ... oder auf Stühlchen neben Sitzgruppen — und bei Podiumsgesprächen haben sie (bzw. wir) kein Namensschild. Sie (wir) bestehen nur aus Stimme und Vokabeln, ansonsten handelt es sich um identitäts- und körperlose Wesen.

Das hier ist keine Klage, nur eine Feststellung, ich hatte es so gewollt (den Beruf). Ein Glück, dass |den| meinen (!) Stimmbändern ein Tässchen Tee angeboten wurde.

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Foto: C.E.

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