Sonntag, 25. November 2012

Novembersonntag

Willkommen beim Dolmetscherweblog aus Berlin. Hier schreibe ich regelmäßig über meinen Berufsalltag als Dolmetscherin, Übersetzerin und Autorin. Als Spracharbeiterin erhole ich mich mit Musik, Natur und Kino. Sonntags werde ich hier privat. — Letzten Freitag war der Himmel blau, wir saßen arbeitsbedingt viel im Taxi. Was für ein Kontrast zu heute!

Filmstreifen: Taxifahrerin mit Schleier, Bewag-Haus, Bendlerblock
M
ütter drängen ihre Kinder zur Eile, denn langsam bricht die Nacht herein. Leichter Wind kommt auf, Spaziergänger schlagen ihre Mantelkrägen hoch. Der feuchte Weg fühlt sich unter den Füßen besonders an, meine Augen können ihn aber nicht mehr als solchen erkennen. Vor mir gehen zwei schnellen Schritts nach Hause.

Heute ist Totensonntag. Ich muss mich noch bewegen, auch bei schwindendem Licht. Die letzten Tage saß ich viel in Besprechungen mit Dolmetschkunden sowie in Klausur mit anderen meines Berufsverbandes. Wir waren zwar an See und Wald, sahen beides aber nur durch die Fenster. Die Tagesordnung war kompakt. Ich habe wieder mitgetippt fürs Protokoll, 73.297 Anschläge in anderthalb Tagen. Nur gestern Abend sind wir zu dritt durch den Nebel marschiert, eine kurze halbe Stunde, einmal die Köpfe kurz vor dem Abendessen durchlüften. Es roch nach verrottenden Blättern und frisch und sauber zugleich.

Sonntagnachmittag, nach der Rückkehr von der Klausurtagung, zieht es mich also in die Natur. In meinen mp3-Player ist ein Radio integriert, so höre ich auf dem Weg eine meiner Lieblingssendungen auf Kulturradio vom rbb, eine Stunde der Reihe "Interpretationen", die musikalischen Werken gewidmet ist. Heute geht es um Alban Bergs Violinkonzert aus dem Jahr 1935, sein letztes Violinkonzert, in das er als Zitat einen Bach-Choral einbaute. (Leider gibt es das Programm nicht als Podcast.)

Am alten Hafen hockt eine Frau auf einem Stein, ihr ist wohl nicht kalt, sie sieht aus wie eine Statue. Die Trauerweide über ihr verliert dieser Tage ihre Blätter. Auf der anderen Seite, im Kranken(hoch)haus der Urban-Klinik, gehen immer mehr Lichter an. Der Fotoapparat hat eine Funktion, mit der sich Sternenhimmel fotografieren lassen. Fünfzehn Sekunden lang öffne ich den Verschluss und nehme Unschärfen in Kauf. Und ich denke an meine Großmütter, an meine Freundin Natascha aus der Grundschulzeit und an einige andere, die nicht mehr auf der Welt sind.

Ein Bild wie mit einer Lochkamera aufgenommen: Alles ist unscharf und die Farben sind verwaschen: Krankenhaus, Wasser, Licht, Herbstlaub ...
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Fotos: C.E.

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