Irritation ist heute mein dominierendes Gefühl, und ich gebe mir Mühe, mit Gelassenheit zu kontern. Die Veränderung der Sitten durch das Internet hatte ich hier wiederholt beklagt, vielmehr: Wie sehr der Eindruck des nachgerade "simultanen" Zugriffs auf alles und alle manche Kunden nicht nur dazu verleitet, unsereinen erst kurz vor knapp zu bestellen, sondern dass diese (aufgrund welcher Quellen?) auch besser zu wissen glauben, was unsere
Die Hitparade der Spontaneinsätze führte bislang eine nicht näher bezeichnete französische staatliche Institution an, die mich auf der Berlinale per Mail morgens um vier (also nach Rückkehr der Verantwortlichen von der Party) für den direkt folgenden Vormittag um elf Uhr einbestellt hatte. Nun wieder ein Franzose, von einer Institution in Berlin, der brachte es neulich auf den großartigen Buchungsvorlauf von sage und schreibe 50 Minuten! Ich kam zum Glück gerade schön aufgewärmt vom diplomatischen Frühstückstermin und ging dann eben nicht nach Hause, sondern stieg geistesgegenwärtig in den Bus ein, der gerade um die Ecke bog.
Berlin ist bekanntlich intra muros neunmal so groß wie Paris innerhalb der Stadtautobahn périphérique, zehn Minuten vor dem Einsatz kam ich also am Arbeitsort an. Man bot mir 50 % mehr Honorar für den Spontaneinsatz an. Wenigstens das. Vorbereitet hätte ich mich trotzdem gerne. Leider war der Stress plötzlich wieder der ganz alte, wie bei meiner allerersten Pressekonferenz ...
Und wie gehen wir mit einer Absage um, die 18 Stunden vor Einsatz ins Haus flattert? Erstmal suche ich den französischen Begriff für Ausfallhonorar, mir fällt nur das englische cancellation fee ein. Diverse Wörterbücher bleiben stumm. Ich suche weiter und beziehe dazu die sozialen Netzwerke ein, hier hat die neue Zeit dann doch ihr Gutes. Twitter, der Nachrichtendienst mit den Kurzmeldungen, ist ein Ort, an dem sich nicht nur Kaffeeküchentratsch und Lesetipps, sondern auch Teile von Wortfeldern austauschen lassen. Kill fee kennt Martina_Der, derzeit London, auch aus frankophonem Kontext. Klingt etwas martialisch, und was ist da jetzt der Unterschied, also im Englischen? Ich frage und fasse das Ergebnis wenig später für de Kollegen zusammen:
18 Stunden! Bei einer derart kurzfristigen Absage, ein Privatkunde aus Kanada möchte die Versorgungslage seiner Tochter klären, die gerade in Berlin ihr erstes Kind bekommen hat, wird strenggenommen trotzdem 100 % Ausfallhonorar fällig, denn der Tag ist reserviert, ein Ersatzauftrag so schnell nicht zu beschaffen. Ich muss ihm also meine Lage erklären ...
Die sozialen Netzwerke sind schon prima, wenn man sie richtig zu nutzen weiß. Mit Alexander aus Brüssel diskutierte ich da neulich über Lexiken und digitale "Vokabeldienste", jetzt erhielt ich den Hinweis auf eine Französischkolumne, den mein langjähriger Kunde Radio Canada veröffentlicht, das ist der québecer öffentlich-rechtlicher Sender. Und der internationale Dolmetscherverband aiic weist uns gleich auch noch auf das zugehörige Quiz hin. Ach ja, "so muss das!" (Redewendung von Menschen, die als "cool" gelten möchten, erstmals Anfang der zehner Jahre des 20. Jahrhunderts beobachtet.)
Zwischendurch versucht der Kunde mit den 50 Minuten Vorlauf, die eilige französische Pressekonferenz, die von ihm selbsttätig angebotene Honorarerhöhung wieder rückgängig zu machen, Tenor: Ich hätte es doch gar nicht nötig, ich wäre doch gut im Geschäft. Erstens bleibe ich (aufgrund meiner oft armen Dokumentarfilmkunden) ständig deutlich unterhalb dessen, was ich einen Arbeitgeber in Festanstellung kosten würde (inklusive NK wie Büro, Sozialabgaben und Fortbildungen), zweitens geht den das überhaupt nichts an. Ich bleibe freundlich und hart und denke mir meinen Teil, zitiere in Gedanken eine Kollegin: Am Erfolg anderer stören sich immer nur die Mittelmäßigen.
Wie zur Bestechung sendet der fast-schon-Auftragsstalker einen Lektoratsauftrag mit ... und lobt "kleines Geld" als Lesehonorar aus. Um es so gestelzt zu sagen, wie ich es neulich im Sprecherkabinentext eines bekannten Kultursenders gefunden habe: "für einen Apfel und ein Ei". Für sowas arbeite ich ungern. Ich lese die Sache an. Liest sich, wie von der Praktikantin verfasst (oder von einem automatischen Übersetzerdienst übertragen).
Meine Antwort ist wieder verbindlich, freundlich, fest: Ich sende ein Kostenangebot (und gehe auf andere Ansinnen nicht ein). Und gebe eine Knacknuss mit, lese eine halbe Stunde Probe, also totalement gratis, denn ich muss ja einschätzen können, wieviel Arbeit ich insgesamt veranschlagen muss, und verstecke an einer Stelle im Kommentar das hübsche Wort "Kleinknüselkram", weil es inhaltlich dorthin passt und weil, naja, es geht hier um Nuancen.
Nein, ich will keine "Arbeit für Erdnüsse", um es original computerübersetzt zu sagen ... Als ich mich gerade daran mache, endlich mal wieder das Arbeitszimmerfenster zu putzen, ist wirklich höchste Zeit, macht es "plopp!" im elektronischen Briefkasten. Meine Argumente in Sachen Ausfallhonorar, Stichwort "18 Stunden", waren wohl überzeugend. Super, am Ende begleite ich doch den frischgebackenen Opa aus Québec, der in Berlin schon zu Lebzeiten mit seinem Vermögen die Existenzgrundlage von Tochter und Enkelin verbessern möchte, denn das Schul- und Hochschuldeutsch von Monsieur ... (hier verpflichten mich Höflichkeit, interkulturelle awareness und mein berufliches Schweigegelübde dazu, den Schnabel zu halten). Mal sehen, was Mister fifty minutes noch so bringt.
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P.S.: Wie immer, Stichwort Kundenschutz, liegen
die Ereignisse etwas zurück und auch leicht anders.
Der Tenor ist aber zu 100 % original. Leider.
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