Dienstag, 20. November 2012

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Bienvenue beim Weblog aus der Dolmetscherkabine! Ich dolmetsche Französisch in beide Richtungen sowie aus dem Englischen. Meine Arbeitsschwerpunkte sind Wirtschaft, Politik, Medien und Kultur. Wir Spracharbeiter müssen uns ständig in neue Arbeitsgebiete einarbeiten ... und uns immer wieder auf neue Situationen einstellen.

Wir betreten den Konfe­renz­raum. Ohne zu zögern setzen wir uns an die Schmal­seite des langen Tisches. Wir, das sind ein mittelständischer Unternehmer aus der französischsprachigen Schweiz und ich. Ihn zieht es aus Geschäftsgründen nach Berlin. Noch ist es mit seinen Deutschkenntnissen nicht sehr weit gediehen, deshalb wurde ich ihm empfohlen. Und jetzt gründen wir also in Berlin. Nein, er gründet, ich aber immer mit.

Wer in Berlin Arbeitsplätze schaffen will, wird hier mit offenen Armen empfangen, besonders dann, wenn er so etwas wie ein Patent mit­bringt.
Wir ließen uns beraten, suchten die kompetenten Stellen, Fachanwälte und Steuerbüro auf, schauten uns auch schon nach passenden Geschäftsräumen um.

Noch eine Station: Die Arbeitsagentur. Dort half uns ein Mitarbeiter mit den richtigen Fachtermini weiter. Dann erschien die Anzeige.

Das war vor über zwei Wochen. Zehn Tage später betreten wir also den Konferenzraum. Hier warten zwölf Menschen auf uns, die alle hoffen, dass sich ihr berufliches Schicksal heute wendet.

In meinem bisherigen beruflichen Leben habe ich nur wenig Bewerbungsphasen hinter mich gebracht ... oder aber viele. Als Freiberuflerin bewerbe ich mich ständig um Verträge, meistens kommen aber die Kunden auf mich zu, die Situation ist von vorneherein eine andere. Und auf Festanstellungen habe ich mich nur selten beworben. So eine Gruppenpräsentation (wie die erste Stufe eines kleinen Assessment Centers) kenne ich nur aus Erzählungen. Und jetzt sitze ich direkt auf der anderen Seite!

Verunsicherte Blicke erreichen mich. Mitgehangen, mitgefangen, denke ich und beobachte meine Körpersprache. Ich bin erschrocken, wie schnell ich mich ein­finde in diese Rolle. Ich übertrage, komoderiere, fasse auf Bitte des Schweizers zusammen, was zusammenzufassen ist, weil ich die Materie kenne. Nein, ich wirke nicht, als wäre ich hier "nur" die Dolmetscherin.

Zunächst muss ich prüfen, wer von den Angemeldeten erschienen ist. Auf die Lebensläufe hat die Genfer Mitarbeiterin die Anschreiben getackert, ich brauche immer ein paar Minuten, bis ich mich reingeblättert habe. Ich entschuldige mich für den Zeitverzug, sage, dass ich die Lebensläufe heute zum ersten Mal sehe: "Ich bin also nicht beeinflusst". Musste ich das jetzt sagen? Ich wundere mich selbst über mich, wie routiniert ich hier die Personalerin gebe. Auf der anderen Seite hat mich der Dolmetschkunde gebeten, mit ihm zusammen die Bewerber für die zweite Runde auszuwählen, die Einzelgespräche. Irgendwie will ich das zumindst andeuten.

Dann kündige an, dass sich nach einer Präsentation des unternehmerischen Pro­jekts heute noch alle vorstellen können ... und bin erleichtert, weil mir diese Sätze die Möglichkeit geben, selbst kurz zu sagen, wer ich bin. Damit wäre ich also nach einer guten Viertelstunde in meine eigene Identität zurückgekehrt!

Die Veranstaltung dauert den ganzen Nachmittag lang. In der Vorstellungsrunde habe ich komplett den Hut auf, frage, mache mir Notizen auch zu den Deutsch- und den Fremdsprachenkenntnissen der Bewerberinnen und Bewerber, überlege mir in Windeseile kleine Symbole und Stichworte, denn ich werde meine Eindrücke morgen rechtfertigen müssen.

Danach bin ich "durch". Die Idee, zuhause noch einmal die Lebensläufe durchzugehen, verwerfe ich sofort. Am näch­sten Morgen stehen weitere Termine an, ich plane andert­halb Stunden Besprech­ung der Bewerber ein.
Und genau das machen wir also anderntags ... Eindrücke zusammentragen und austauschen.

Mein Problem: Während ich dolmetsche, habe ich oft keine anderen Kanäle auf, die ganze Energie geht in die Sprache. Anfangs habe ich Mühen, diverse durchaus aufgenommene Eindrücke den Personen zuzuordnen. Mein Kunde hatte sich den Konferenztisch aufgemalt, notiert, wer wo saß, die Passbilder halfen auch ... und dann durfte ich in die Lebensläufe reinsehen.

Überrascht war ich am Ende, wie oft wir ein- und derselben Meinung waren. Wir sprachen sehr lang und ausführlich über jede/n Einzelne/n. In zwei Fällen wich mein Eindruck stark von dem des Kunden ab — und da sollen jetzt die Bewerber ihre Chance in der zweiten Runde bekommen.

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Fotos: C.E.

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