Dolmetschen ist Leistungssport. Und unsereiner ist wie ein hochnervöses Rennpferd, was mir immer dann auffällt, wenn das Kraftfutter oder der Stall nicht stimmen und auch die Transportkiste eigentlich nicht für Powermaschinen wie uns ausgelegt ist.
Ich nehme jetzt mit Humor, was mich gerade ganz schön niederbügelt. Schade, anstatt heute frisch an ein neues Werk zu gehen, erlebe ich einen unerfreulichen Nachklapp eines hochinteressanten Einsatzes, bei dem aber die Rahmenbedingungen nicht gestimmt hatten.
Ich liebe die Vielfalt meiner Kunden und finde es wichtig, auch bei spannenden Projekten mitzuwirken, die sich keine Profi-Dolmetscherin leisten können. Doch ärgert mich dabei, dass meine Arbeit dann zu oft für selbstverständlich genommen wird. Und zwar für derart selbstverständlich, dass der Rahmen, den ich brauche, um leistungsfähig zu sein, vernachlässigt wird.
Das kann losgehen mit irgendwelchen Kämmerlein ohne Sicht auf die Redenden, in denen ich arbeiten soll, wird gesteigert durch zugige Flure, in die ich zum Zwecke der sauberen Filmtonaufnahme verbannt werde, endet leider nicht in lärmigen Hotels oder mit Nachbarn, die nächtelang durchfeiern und die damit ohne, dass sie dies beabsichtigen, mir die zwingend notwendige Regeneration vereiteln. Oder aber das halbe Hotel ist eine Baustelle, und auch wenn es morgens erst um 10.00 Uhr losgeht, so endet doch der letzte Einsatz um 23.00 Uhr und die Presslufthammer starten früh um sieben ...
Ich hab jetzt hier mal einige
worst-case-Szenarien zusammengestellt. Schlimm ist es, wenn zwei oder drei Faktoren zusammenkommen. Denn diese mobilen Dolmetschereinsätze finden in der Regel ohne Kabine statt. Das allein fordert noch mehr geistige und körperliche Energie, als die ohnehin anstrengende Sprachmittlertätigkeit. Ein mobiles Dolmetschsystem liefert den Teilnehmern meinen Ton bequem via Kopfhörer auf die Lauscher — nur ich muss meinen Ausgangston aus der allgemeinen Atmo herausnesteln, und die kann eben mitunter stark von Nebengeräuschen belastet sein.
Okay, den einen Gospel-Gottesdienst im Konferenzraum neben dem Tagungsort kann unsereiner noch wegfiltern, schlimmer ist es, wenn es dauernd irgendwo schlechte Akustiken gibt
und die Ruhe- und Nachtzeiten nicht gesichert sind. Denn beim mobilen Einsatz spitze ich den ganzen Tag das Öhrchen, um das Wesentliche zu verstehen, und abends hört das Ohr einfach nicht auf damit ...
Wenn mich Veranstalter oder Team vor solchen Rahmenbedingungen nicht schützen und ein Projekt mehr als zwei Tage dauert, fahre ich eine derartige Müdigkeit ein, dass das Leben nicht mehr schön ist. Das Arbeiten aber auch nicht. Dann bräuchte ich im Grunde jemanden, der mich vor mir selbst schützen: vor meinem Idealismus und vor meiner Professionalität. Job abbrechen? Kommt irgendwie nicht infrage. Leute hängen lassen? Ebenso wenig. Und wenn ich dann alle Energie zusammenreiße, um meine Einsätze hinzukriegen (bei kleinen Drehs, Delegationsreisen, Arbeitstreffen oder Begegnungen als Solo-Dolmetscherin), dann fehlt mir jegliche Power zur Selbstverteidigung. Schlimmer noch: Mein Habitus ist stärker als ich, ich muss Ruhe und Konzentration bewahren, um arbeitsfähig zu sein.
Dabei werden offensichtlich warnende Worte nicht verstanden, wenn ich sie in der üblichen Freundlichkeit vortrage. Auch die gehört zum Habitus. Und umschalten, vielleicht sogar eine Szene machen, würde Energie kosten, die nicht da ist!
Das habe ich in unterschiedlicher Gewichtung dieses Jahr leider wiederholt in unterschiedlichem Ausmaß
|erlebt| erlitten und merke, wie ich weiter Kraft dadurch verliere, mich im Nachhinein verteidigen zu müssen, wenn ich als Voraussetzung für die Fortsetzung der Zusammenarbeit die Einhaltung ganz banaler Regeln einfordere, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Als da wären: Ein von mir ausgewähltes, zur Not selbst importiertes, gesundes Frühstück und Snacks (bei Allergien und Gewöhnung an Bioprodukte), gesunde Mahlzeiten, ein ruhiges Zimmer mit ausreichend Frischluftzufuhr, genügend Ruhezeiten und Pausen ... und am liebsten auch noch Reisebedingungen, die nicht stressen, zum Beispiel einen Schlafwagen nutzen zu dürfen, anstatt fliegen und übermüdet umsteigen zu müssen.
Ich möchte Sie bitten, liebe Leserin, lieber Leser, falls Sie selbst mal im Team mit einem Sprachmittler zu tun haben, sehr genau auf ihre/seine Ruhezeiten zu achten, wozu auch gehört, ihr/ihm rechtzeitig Redemanuskripte oder Konzepte zur Verfügung zu stellen und nicht nach dem festlichen Umtrunk sagen wir mal um 23.00 Uhr noch was für den Folgetag, 9.30 Uhr, aus der Tasche zu ziehen.
Und bitte lassen Sie im Anschluss an die Tatsache, dass sie/er einen Preisrabatt anbietet, keine Abwertung der Person Ihres Dolmetschers zu und sei es auch nur dadurch, dass Sie oder eine dritte Person die Arbeitsbedingungen des/der Betreffenden nicht mehr überwachen bzw. diese grundlegenden Dinge nicht gewährleisten. (Komisch, immer dann, wenn ich richtig teuer bin, begegnet man mir mit viel Respekt. Warum muss ich den aber so oft einfordern, wenn ich zu sozialen Tarifen soziale Projekte unterstütze??)
Die Sache ist einfach. Jeder, der uns "verheizt", läuft sonst Gefahr, dass nicht nur das eigene Projekt beim nächsten Mal ohne Dolmetschprofi auskommen muss, sondern auch andere unterfinanzierte Filmdrehs, Städtepartnerschaften oder Berufsfortbildungen, die uns möglicherweise vielleicht besser behandelt hätten.
Denn meine Hochleistungsmaschine "Mundwerk" muss ich schützen, um auch die Zeit nach diesen Einsätzen voll arbeitsfähig zu sein.
Nach dem letzten und für mich wirklich allerletzten Katastropheneinsatz war ich zwei Wochen krank. Und es war wirklich der letzte: Sollte sich etwas mit einer vergleichbaren Anhäufung von Störfaktoren noch mal ereignen, reise ich nach schriftlicher Vorwarnung und 48-Stunden-Frist ab.
Meine Wut ist groß genug. Die reicht jetzt.
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Foto: In Strasbourg, Association Répliques.
Und wie immer: Kundenschutz! Das Bild steht
mit dem Beschriebenen in keinem Zusammenhang.