Freitagmittag hatte ich gerade den Schlusspunkt hinter die erste Fassung meines Artikels über die Neubeeidung von Dolmetschern in Berlin gesetzt und wollte in die Kantine aufbrechen, da klingelte das Telefon. Ein Makler war an der Strippe, der so klang, als sei Not am Mann: Er suchte für das Ende der Mittagspause eine Dolmetscherin. Es ginge um einen Kaufvertrag. Die Details seien dank eines Familienmitglieds im Wesentlichen geklärt, es müsse nur aus rechtlichen Gründen jemand für Rückfragen mit dabei sein, der nicht mit den Käufern oder Verkäufern verwandt ist.
Ich hakte trotzdem nach, bat um Einsichtnahme ins Dokument und nutzte die Zeit, in der er mit den künftigen Wohnungsbesitzern Rücksprache nahm, dazu, mich bei einem Anwalt über die Rolle von Notaren zu versichern: Anders als in Frankreich, handelt es sich in Deutschland um der Neutralität verpflichtete Personen, die darüber wachen müssen, dass keine der Parteien übervorteilt wird. Außerdem obliegt es ihnen, alles Unklare zu erklären.
Fünf Minuten später rief der Makler erneut an. Meine in den Raum geworfene Kosteneinschätzung war offensichtlich abgesegnet worden, oder aber er hatte gemerkt, dass das (ost)deutsche Sprichwort auch für das heutige Gesamtberlin gilt, denn "freitags nach eins macht jeder seins."
Kurz, wir wurden handelseinig, denn der Anwalt meines Vertrauens hatte mir zuvor auch noch mein ungefähres Wissen bestätigt, dass ich mich in solchen Fällen ad hoc beeidigen lassen kann.
Mir blieb gerade noch etwas Zeit, um ein Dutzend Vokabeln zu recherchieren und das Fachwörterbuch zu schnappen, dann brachte mich die BVG schon ins alte Westberlin. In der Nähe der Gedächtniskirche saßen wir wenig später um einen Holztisch herum und ich hatte die anstrengendsten vierzig Minuten dieses noch recht neuen Jahres. Denn natürlich wurden hier nicht nur Höflichkeiten ausgetauscht, sondern der Kaufvertrag wurde Paragraf für Paragraf gemeinsam durchgegangen.
Verträge stecken voller Fachtermini. Hier gab es Begriffe, die ich noch nie gehört habe, die auf Paragrafen und Rechtssprechungen verweisen, die ich nicht kennen kann. Nachdem wir die ersten Absätze gut hinter uns gebracht haben – es ging um einfache Dinge wie Wohnorte und eine grundsätzliche Absichtserklärung – wurde die Sache schon komplizierter. Der Notar, ein sehr freundlicher, ruhiger Mann, durfte mir danach alles vom juristischen Deutschen ins Normaldeutsche dolmetschen, worauf ich mehr erklärend als verdolmetschend Absatz für Absatz den französischen Käufern vortrug.
Normalerweise arbeite ich ganz und gar nicht so. Im Vertrauen, ich bin ... eher etwas kurz vor control freak, will im alles im Vorfeld wissen, bereite mich lieber zu gründlich vor. Aber hier war in der Tat Not am Mann/an der Frau gewesen. Die französischen Käufer sollten am folgenden Werktag wieder nach Hause fliegen, sie erwarben die Wohnung für ihre in Berlin lebende Tochter und das Enkelkind. Alle Beteiligten waren glücklich über meine sportliche Haltung, aus der Situation das Beste machen zu wollen, auch wenn ich permanent den Eindruck hatte, hier in einem Fach geprüft zu werden, das ich nie belegt habe.
Die schriftliche Fassung erarbeitet jetzt eine Fachübersetzerin für juristische Texte. Danach kann ich sie als Grundlage nutzen, um neue Vokabeln zu lernen. Den Inhalt kenne ich ja schon.
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Foto: C. Elias
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