Samstag, 20. September 2008

Idiomatisches und Sprachalltag

Beim Übersetzen von Drehbüchern sind besonders gute Kenntnisse der Muttersprache gefragt. Und mehr noch: Ich muss etwas schreiben, das oft zur gesprochenen Sprache zählt, Begriffe also, die ich durch die schreibende Bewegung meiner Hände kaum verfestigt habe. Außerdem suche ich stets Worte, die typisch deutsch sind, damit es nicht auch nur ahnungshalber nach Übersetzung klingt. So fallen mir selten gebrauchte Vokabeln wie "Klavierstunde" für den 'Klavierunterricht' wieder ein. Wenn ich wie eben samstags aus dem Laden komme, werden "die Einkäufe verstaut" (und nicht 'die Lebensmittel weggepackt'). Diese, einer Sprache ureigensten Begriffe und Redewendungen und Ausdrücke, heißen 'idoimatisch', sie gehören fest zu der jeweiligen Sprache, dem Idiom.

Für mich ist die Suche nach diesen auch nur selten zu lesenden Sprachschätzen immer amüsant und abenteuerlich. Worte sind Zugtickets in alte Gefühlswelten, die ich beim Übersetzen und Schreiben mit einsetze. Und noch etwas ist lustig: ich muss immer alles sofort festhalten. In Zeiten, in denen ich mit Sprache kreativ bin, notiere ich deutsche Vokabeln auf Einkaufszettel, Kassenbons und Abgabescheine von Reinigung und Schneiderin. (Meine Dienstleister kennen das schon und versuchen nicht mehr, diese vermeintlichen 'Botschaften' zu entziffern.)

Und ich fühle mich durch das Suchen nach Ausdrücken in den entlegendsten Hirnwindungen außerdem noch an alte Zeiten erinnert, die gar nicht so lange zurück liegen. Es war "vor meinem halben Leben" (ich weiß, das sagt man nicht so, aber ich sag' das jetzt so). Also ich war etwa halb so alt wie heute und lebte junge Studentin in Paris. Damals - und jetzt kommt es mir doch so vor, als läg' das alles sehr, sehr lang zurück - gab es in Ostberlin ein politisches Erdbeben. Und aus der Studentin, die gerade eine Hausarbeit über den Theatermann Heiner Müller geschrieben hatte, wurde die Regieassistentin und Set-Dolmetscherin, denn in Berlin fiel die Mauer. "Right place, right moment" ... und "right girl" für die französischen Redaktionen, denn ich war damals wohl die einzige meines Jahrgangs in Paris, die Rolf Schneider und Peter Schneider einordnen konnte, die wusste, wer Heiner Carow und was die DEFA war. Problematisch war nur, dass ich erstmal einen Knoten in der Zunge hatte. Dass ich mich damals schon in DDR-Kultur ganz gut auskannte, lag einfach daran, dass mein Vater aus Sachsen stammt und wir alle großen Ferien in seiner alten Heimat verbrachten. Meine gleichaltrigen Cousins und Freundinnen vermittelten mir in diesen Wochen ihre Welt.

Dass ich darüber in der Wendezeit zunächst auf Französisch kaum einen Satz flüssig herausbrachte, ist rasch erklärt: In Frankreich wollte damals über die DDR kaum einer etwas wissen. Genauso und keinen Deut anders erging es mir in Westdeutschland. Wovon ich "auf Westdeutsch" kaum gesprochen hatte, war nun auf Französisch gar nicht so leicht zu erzählen.

Die "Sprechbarriere" riss ich schon in der ersten Drehwoche ein. Verewigt ist sie noch auf den BETA-SP-Bändern von France 2 (damals "Antenne 2"): das Stottern haben die Kollegen später bei der Musterdurchsicht (dérushage) und im Schnitt (montage) zu meinem großen Leidwesen gerne augenzwinkernd kommentiert ...

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Foto: Wenn ich hier schon mal sehr persönlich werde,
dann richtig. Wenig später nahm ich die Vokabelrecherche
beim Spielfilm auf und sammelte Filmbegriffe - in
Babelsberg am Set. Wie das? Als Journalistin, ich schrieb
damals u.a. für die "Cahiers du Cinéma" und als Komparsin,
ein Casting-Foto als Beweis ...

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