Mittwoch, 7. Juli 2010

Hirnnebel *AKTUALISIERT*

Mein Kopf könnte jetzt ein Cumulonimbus sein, eine Formation aus Wassertröpfchen, fetten Regenwolken, Hagelkörnern und Eiskristallen. Diese Wolke zeichnet sich durch ihre gestaute Form mit unscharfen Umrissen aus. Genauso unscharf und kompaktifiziert fühlt sich mein Oberstübchen jetzt an, nur eins stimmt nicht: Die Kühle. Mir ist heiß. Also träume ich lieber von Schneeflocken und Regentröpfchen ...

Nach vier Stunden als Solo-Dolmetscherin sendet mir das dominierende Steuerorgan diffuse Botschaften. Viele Gedanken führt es gar nicht mehr zuende, es vermischen sich Sprachfetzen mit wieder einsetzenden Selbstwahrnehmungen - diese Ebene war während des Dolmetschens deutlich gemindert bis nahezu abwesend. Die Gedankenfetzen gehen in alle Richtungen, aber am Ende immer im Kreise. Es vermischen sich die Sprachen, nicht immer passen die Worte zum eben Verdolmetschten, nicht immer ist das, was mir als Übersetzung eines Wortes einleuchten möchte, beim näheren Hinhören wirklich die anderssprachliche Entsprechung.

Ich fühle mich ein wenig, als riskierte ich gerade einen fetten Sprung in der Schüssel, eine cerebrale Fraktur allererster Güte. Schnell etwas essen im beschatteten Hof, während es draußen siedendheiß ist, dann Siesta für das geplagte Haupt: Zum Glück findet die Veranstaltung dort statt, wo auch unsere Zimmer gebucht sind. Und zum Glück ist die nächste Veranstaltung erst am frühen Abend.

Während mein Kopf um ein- und denselben Begriff frei assoziiert, Hinbruch, bicephale Hernie, Knacks inne Birne, kapitale Schädeldivision ... nehme ich meine Umwelt wie durch einen Schleier wahr.

Der Hirnnebel verzieht sich spätestens nach der Siesta und damit auch die bedrohliche Wolkenformation. Altocumulus, Stratocumulus, Cirrostratus ...


P.S. (Juli 2011): Natürlich arbeiten wir Dolmetscherinnen immer zu zweit. Hier aber bin ich zuallererst als Dozentin dabei, denn ich unterrichte seit Jahren an diversen Hochschulen französische Filmkulturen und Filmwirtschaft. Wir empfehlen gute Fremdsprachenkenntnisse als Voraussetzung zur Teilnahme, setzen diese aber nicht zwingend voraus. Das gleiche gilt für die Seminare und Delegationsreisen mit Menschen aus sozialen Brennpunkten. So dass es dann immer wieder Leute gibt, die kaum Englisch oder Deutsch bzw. Französisch sprechen und für die ich dann einspringe, immer mit viel Pausen und halben freien Tagen. Ein derart intensives Arbeiten ist nur deshalb möglich, weil ich seit Jahren in diesen Bereichen arbeite und mir die Inhalte vertraut sind. (Ich arbeite "von der Festplatte" und nicht "aus dem Arbeitsspeicher heraus", was einen großen Unterschied darstellt.)
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Foto (kein Cumulonimbus): J. Straßburg

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der Gentleman genießt und schweigt! Und kriegt sich ob der kleinen Wolkenkunde vor Freude nicht mehr ein.

caro_berlin hat gesagt…

Naja, wir Dolmetschinen lernen schon gerne mal eine Runde. Und diese Verbindung der Begriffe liegt ja nahe, wie wir letztens am Telefon feststellten! Bises ... von dem einen ans andre Meer! C.