Wir zählen nicht zum Team Abraummulde. Dabei haben wir nicht nur in Etappen ein Haus aufgelöst, sondern Zeitschichten abgetragen und sortiert. Zum Glück konnten wir uns Zeit lassen. Am Morgen startet die Landpartie mit dem Kastenwagen.
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| Im Stroh- und Heckengäu |
An diesem letzten Tag fanden sich in Vaters Schreibtischschublade alte Scherben an. Einer der Brüder: „Kann das weg?“ Ich: „Vielleicht Mittelalter. Vorhin hab ich einen Zettel gesehen, auf dem stand: ‚Fundstücke Acker Ensingen‘, und ihn nicht verstanden.“
Ein anderer: „Hätte er sie für älter eingeschätzt und für selten, wären die Scherben jetzt im Museum und nicht hier!“ Der Zettel ist im Müll, nicht mehr auffindbar, wird neu geschrieben. Leider waren keine weiteren Angaben dabei wie Jahr oder Längen- und Breitengrade (letzteres ist erst im Smartphonezeitalter möglich).
Unser Vater ist nicht mehr dabei, aber irgendwie ist er es doch. Die Scherben kommen in die Museumskiste zum historischen Kirschkernentsteiner, zu den alten Lampen mit nicht mehr vertriebenen Energiequellen, alten Klöppelspitzen und zu den Backformen.
Das Gedächtnis ist ein wunderlicher Ort. Es dauert nur wenige Sekunden und ich weiß wieder, was damit gebacken wird: „Wolfszähne“! Im noch existierenden Haus der Ahnen wird sich eines Tages das Rezept anfinden.
Später füttere ich eine Suchmaschine mit dem Begriff und erfahre, dass das Rezept aus Frankreich bzw. dem Elsass stammt, klassisches Weihnachtsgebäck ist, les dents de loup, vermutlich ein Mitbringsel vom Ur-Urgroßvater aus Frankreich. Also doch nicht Museumskiste! Dann werde ich die Teile mal säubern und sie mit den Fräuleins zusammen nutzen, was meine kleinen Nichten sind. Ich erinnere mich an einen Backtag zusammen mit meinem Lieblingscousin und unter der Anleitung der westsächsischen Oma.
Auch alte Lederwaren finden sich an, von denen einige Markenzeichen oder Widmungen auf Herstellungs- oder Nutzungsorte hinweisen. Ich werde restaurieren (abgesegnet von und mit den Methoden der Profis) und sie dann Museen anbieten.
Bitte nicht missverstehen, meine Einleitung zum Blogpost ist keine Verurteilung der Literatentochter. Wir hatten Glück, und zwar mehrfach: Wir sind vier Geschwister und es gibt keine drückenden Sorgen, die uns zu schnellem Handeln genötigt hätten. Wir hatten so den Luxus, uns entspannt und ohne Wut von dem Haus zu verabschieden, das unsere Mutter, Enkelin eines ostpreußischen Gutsherren mit Schloss und Pferdezucht, immer zärtlich „die Hütte“ genannt hat.
Auf der anderen Seite weiß ich, dass auch Entrümpler teuer sind. Und weil wir uns Zeit gelassen haben, kamen auch die neuen Mieter zu uns.
Es sind noch einige Bücher zu verteilen, von denen viele schon in viele dankbare Hände gewandert sind. Es fehlen noch einige Meter Regal bei mir für eine Buchauswahl, dann werde ich mit Zeit noch das Archiv der Eltern ausdünnen und mir dabei Gedanken über die verflossene Zeit machen, Schwerpunkt 20. Jahrhundert. Aber das ist ein anderes Thema.
Statistik: 1009 Kilometer und 111 Stockwerke werden am Ende dieses zweitägigen Einsatzes auf dem Mietwagen- und meinem Fußgängertacho stehen haben.
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Fotos: C.E.

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