Dienstag, 12. August 2025

Autumnus ante portas

Den Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­scherin fin­den Sie auf die­sen Sei­ten skiz­ziert. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch, die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Der Herbst steht vor der Tür!

Man­che Be­ru­fe nö­ti­gen ei­nen zu viel bis sehr viel Pla­nung. Ent­spre­chend über­rascht war ich der­ma­leinst, als mein Le­bens­part­ner schon im März bei­läu­fig fal­len ließ: „Das Jahr ist zu­en­de!"

Das Dol­metsch­jahr 2025 ist noch nicht fer­tig ver­plant, und nach der Pla­nung folgt ab Sep­tem­ber das Abar­bei­ten der Pro­jek­te. Die The­men Bio-Land­bau, Win­d­ener­gie, Was­ser und Fake News ste­hen be­reits auf dem Zet­tel.

Wir Dol­met­scher:in­nen sind die­je­ni­gen, die bei Kon­fe­ren­zen, De­le­ga­ti­ons­rei­sen und Fach­ge­sprä­chen da­für sor­gen, dass nicht wort­wört­lich „rü­ber­ge­schubs­te“ Wör­ter an­kom­men, son­dern mög­lichst ge­nau vor al­lem Sinn und Be­deu­tung in der rich­ti­gen Spra­che in den je­weils rich­ti­gen Oh­ren lan­den.

Ich selbst feie­re die­sen Herbst mein 20-jäh­ri­ges Be­rufs­ju­bi­lä­um als haupt­be­ruf­lich tä­ti­ge Kon­fe­renz­dol­met­scherin. Mei­ne Ar­beit be­steht zu 80 Pro­zent aus Vor­be­rei­tung. Das ist oft ent­beh­rungs­reich. Auch au­ßer­halb der Sai­son muss ich am Ball blei­ben. Dol­met­schen ist mehr als ein Be­ruf, es ist ein Le­bens­stil. (Oder über­trei­be ich, lie­be Kol­le­g:in­nen?)

Caroline Elias in der Dolmetschkabine
In der Kabine
Wie Sport­ler:in­nen müs­sen wir stän­dig trai­nie­ren, schnell re­agie­ren, kul­tu­rel­le Hin­ter­grün­de ken­nen und auch mit Hu­mor und Sprich­wör­tern um­ge­hen kön­nen. Das ist nicht im­mer leicht.

Ei­ner mei­ner Lieb­lings­mo­men­te aus 20 Be­rufs­jah­ren ist der hier: Vor et­li­chen Jah­ren saß ich in der Ka­bi­ne, als ein Mo­de­ra­tor sag­te: „Wer schreibt, der bleibt“ und mit ei­nem Buch in der Hand dem Pu­bli­kum zu­wink­te. Ich war mit dem Dol­met­schen ins Fran­zö­si­sche dran. Die Kol­le­gin ne­ben mir, ei­ne Fran­zö­sisch-Mut­ter­sprach­le­rin, sah mit auf­ge­ris­se­nen Au­gen zu mir und deu­te­te ein Au­gen­rol­len an. Da sprach der Schreck über die be­son­de­re Her­aus­for­de­rung stumm aus ihr.

Wit­ze, lan­ge Ori­gi­nal­zi­ta­te, die be­son­de­ren Na­men von Schlach­ten und in­ter­na­tio­na­len Ver­trä­gen, re­li­giö­se Be­grif­fe und Zi­ta­te so­wie Sprich­wör­ter sind im­mer der Mo­ment, in dem wir am liebs­ten kurz die Zeit an­hal­ten möch­ten, um et­was im In­ter­net zu su­chen. Ge­ra­de Sprich­wör­ter las­sen sich sel­ten eins zu eins über­tra­gen. In die­sem Mo­ment hör­te ich mich völ­lig ge­las­sen spre­chen, erst den An­fang: Celui qui écrit ... — Lip­pen und Kopf mach­ten ei­ne Pau­se, dann pur­zel­te es wie von al­lei­ne aus mir her­aus: reste dans les esprits.

Das ist ei­ne For­mu­lie­rung, die sich nicht nur reimt, son­dern so ver­traut klingt, als wä­re sie schon im­mer Teil der fran­zö­si­schen Spra­che ge­we­sen: Die Kol­le­gin mach­te ihr zwei­tes Über­ra­schungs­ge­sicht an­ge­sichts die­ses Glücks­tref­fers, bei dem das un­glei­che Paar For­tu­na und Mi­hály Csík­s­zent­mi­há­lyi, der Er­fin­der des „Flow“, ge­mein­sam Pa­te ge­stan­den ha­ben. (Sie mur­mel­te spä­ter et­was von, die­se Re­de­wen­dung ha­be sie auf Fran­zö­sisch noch nicht ge­hört, und sie be­glück­wünsch­te mich zu mei­nen her­vor­ra­gen­den Sprach­kennt­nis­sen.)

Ad­re­na­lin und der Ge­nius lo­ci wa­ren auch be­tei­ligt. Die Ar­beit in der Box macht uns klü­ger, als wir sonst sind. Es ist, als ar­bei­te noch et­was an­de­res mit. Das ist so wie beim Ma­len, wenn der Pin­sel den Weg kennt, oder in der Fo­to­gra­fie, wenn das Licht im ent­schei­den­den Mo­ment passt und der Wind auch noch mit­ar­bei­tet.

Im kom­men­den Herbst wer­de ich wie­der sol­che Ein­sät­ze ha­ben und hof­fe auf die­se be­son­de­re Wa­ch­heit, die sich nicht er­zwin­gen lässt. Die Eu­pho­rie, die an­schlie­ßend ent­steht, ist ei­ne gro­ße Be­loh­nung und Kom­pen­sa­ti­on für die müh­sa­me, klein­tei­li­ge Vor­be­rei­tung auf die Ein­sät­ze.

Ein biss­chen eit­le Hoff­nung auf Welt­ruhm ist bei mei­ner Be­schrei­bung die­ses eben­so un­schein­ba­ren wie glor­rei­chen Mo­ments mit da­bei, das ge­be ich ger­ne zu. Ähn­lich wie Buch­au­tor:in­nen hof­fe ich auch auf mei­ne seconds of fame, denn Ge­schrie­be­nes hat ei­ne län­ge­re Le­bens­dau­er und ei­ne grö­ße­re Reich­wei­te als das ge­spro­che­ne Wort. Ge­schrie­be­ne Wör­ter und über­setz­te Sprich­wör­ter er­mög­li­chen es, Er­fah­rung und Ge­schich­ten über Zeit und Raum hin­weg wei­ter­zu­ge­ben. Sie tra­gen zum kol­lek­ti­ven Ge­dächt­nis bei.


Vo­ka­bel­no­tiz
Wer schreibt, der bleibt (deut­sches Sprich­wort) — Ce­lui qui écrit, reste dans les es­prits. (Ca­ro­li­ne Eli­as)

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Fo­to: pri­vat (Ar­chiv)

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