Manche Berufe nötigen einen zu viel bis sehr viel Planung. Entsprechend überrascht war ich dermaleinst, als mein Lebenspartner schon im März beiläufig fallen ließ: „Das Jahr ist zuende!"
Das Dolmetschjahr 2025 ist noch nicht fertig verplant, und nach der Planung folgt ab September das Abarbeiten der Projekte. Die Themen Bio-Landbau, Windenergie, Wasser und Fake News stehen bereits auf dem Zettel.
Wir Dolmetscher:innen sind diejenigen, die bei Konferenzen, Delegationsreisen und Fachgesprächen dafür sorgen, dass nicht wortwörtlich „rübergeschubste“ Wörter ankommen, sondern möglichst genau vor allem Sinn und Bedeutung in der richtigen Sprache in den jeweils richtigen Ohren landen.
Ich selbst feiere diesen Herbst mein 20-jähriges Berufsjubiläum als hauptberuflich tätige Konferenzdolmetscherin. Meine Arbeit besteht zu 80 Prozent aus Vorbereitung. Das ist oft entbehrungsreich. Auch außerhalb der Saison muss ich am Ball bleiben. Dolmetschen ist mehr als ein Beruf, es ist ein Lebensstil. (Oder übertreibe ich, liebe Kolleg:innen?)
![]() |
| In der Kabine |
Einer meiner Lieblingsmomente aus 20 Berufsjahren ist der hier: Vor etlichen Jahren saß ich in der Kabine, als ein Moderator sagte: „Wer schreibt, der bleibt“ und mit einem Buch in der Hand dem Publikum zuwinkte. Ich war mit dem Dolmetschen ins Französische dran. Die Kollegin neben mir, eine Französisch-Muttersprachlerin, sah mit aufgerissenen Augen zu mir und deutete ein Augenrollen an. Da sprach der Schreck über die besondere Herausforderung stumm aus ihr.
Witze, lange Originalzitate, die besonderen Namen von Schlachten und internationalen Verträgen, religiöse Begriffe und Zitate sowie Sprichwörter sind immer der Moment, in dem wir am liebsten kurz die Zeit anhalten möchten, um etwas im Internet zu suchen. Gerade Sprichwörter lassen sich selten eins zu eins übertragen. In diesem Moment hörte ich mich völlig gelassen sprechen, erst den Anfang: Celui qui écrit ... — Lippen und Kopf machten eine Pause, dann purzelte es wie von alleine aus mir heraus: reste dans les esprits.
Das ist eine Formulierung, die sich nicht nur reimt, sondern so vertraut klingt, als wäre sie schon immer Teil der französischen Sprache gewesen: Die Kollegin machte ihr zweites Überraschungsgesicht angesichts dieses Glückstreffers, bei dem das ungleiche Paar Fortuna und Mihály Csíkszentmihályi, der Erfinder des „Flow“, gemeinsam Pate gestanden haben. (Sie murmelte später etwas von, diese Redewendung habe sie auf Französisch noch nicht gehört, und sie beglückwünschte mich zu meinen hervorragenden Sprachkenntnissen.)
Adrenalin und der Genius loci waren auch beteiligt. Die Arbeit in der Box macht uns klüger, als wir sonst sind. Es ist, als arbeite noch etwas anderes mit. Das ist so wie beim Malen, wenn der Pinsel den Weg kennt, oder in der Fotografie, wenn das Licht im entscheidenden Moment passt und der Wind auch noch mitarbeitet.
Im kommenden Herbst werde ich wieder solche Einsätze haben und hoffe auf diese besondere Wachheit, die sich nicht erzwingen lässt. Die Euphorie, die anschließend entsteht, ist eine große Belohnung und Kompensation für die mühsame, kleinteilige Vorbereitung auf die Einsätze.
Ein bisschen eitle Hoffnung auf Weltruhm ist bei meiner Beschreibung dieses ebenso unscheinbaren wie glorreichen Moments mit dabei, das gebe ich gerne zu. Ähnlich wie Buchautor:innen hoffe ich auch auf meine seconds of fame, denn Geschriebenes hat eine längere Lebensdauer und eine größere Reichweite als das gesprochene Wort. Geschriebene Wörter und übersetzte Sprichwörter ermöglichen es, Erfahrung und Geschichten über Zeit und Raum hinweg weiterzugeben. Sie tragen zum kollektiven Gedächtnis bei.
Vokabelnotiz
Wer schreibt, der bleibt (deutsches Sprichwort) — Celui qui écrit, reste dans les esprits. (Caroline Elias)
______________________________
Foto: privat (Archiv)
Witze, lange Originalzitate, die besonderen Namen von Schlachten und internationalen Verträgen, religiöse Begriffe und Zitate sowie Sprichwörter sind immer der Moment, in dem wir am liebsten kurz die Zeit anhalten möchten, um etwas im Internet zu suchen. Gerade Sprichwörter lassen sich selten eins zu eins übertragen. In diesem Moment hörte ich mich völlig gelassen sprechen, erst den Anfang: Celui qui écrit ... — Lippen und Kopf machten eine Pause, dann purzelte es wie von alleine aus mir heraus: reste dans les esprits.
Das ist eine Formulierung, die sich nicht nur reimt, sondern so vertraut klingt, als wäre sie schon immer Teil der französischen Sprache gewesen: Die Kollegin machte ihr zweites Überraschungsgesicht angesichts dieses Glückstreffers, bei dem das ungleiche Paar Fortuna und Mihály Csíkszentmihályi, der Erfinder des „Flow“, gemeinsam Pate gestanden haben. (Sie murmelte später etwas von, diese Redewendung habe sie auf Französisch noch nicht gehört, und sie beglückwünschte mich zu meinen hervorragenden Sprachkenntnissen.)
Adrenalin und der Genius loci waren auch beteiligt. Die Arbeit in der Box macht uns klüger, als wir sonst sind. Es ist, als arbeite noch etwas anderes mit. Das ist so wie beim Malen, wenn der Pinsel den Weg kennt, oder in der Fotografie, wenn das Licht im entscheidenden Moment passt und der Wind auch noch mitarbeitet.
Im kommenden Herbst werde ich wieder solche Einsätze haben und hoffe auf diese besondere Wachheit, die sich nicht erzwingen lässt. Die Euphorie, die anschließend entsteht, ist eine große Belohnung und Kompensation für die mühsame, kleinteilige Vorbereitung auf die Einsätze.
Ein bisschen eitle Hoffnung auf Weltruhm ist bei meiner Beschreibung dieses ebenso unscheinbaren wie glorreichen Moments mit dabei, das gebe ich gerne zu. Ähnlich wie Buchautor:innen hoffe ich auch auf meine seconds of fame, denn Geschriebenes hat eine längere Lebensdauer und eine größere Reichweite als das gesprochene Wort. Geschriebene Wörter und übersetzte Sprichwörter ermöglichen es, Erfahrung und Geschichten über Zeit und Raum hinweg weiterzugeben. Sie tragen zum kollektiven Gedächtnis bei.
Vokabelnotiz
Wer schreibt, der bleibt (deutsches Sprichwort) — Celui qui écrit, reste dans les esprits. (Caroline Elias)
______________________________
Foto: privat (Archiv)

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen