Donnerstag, 28. August 2025

Angestrengt aufwärts!

Hal­lo! Wie auch im­mer Sie hier ge­lan­det sind, Sie le­sen auf den Sei­ten mei­nes vir­tu­el­len Ar­beits­ta­ge­buchs. Ich bin Kon­fe­renz­dol­met­sche­rin und ar­bei­te mit den Spra­chen Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Deutsch ist mei­ne Mut­ter­spra­che. Heu­te ei­ne No­tiz zu mei­nem All­tag.

Das An­stren­gungs­pa­ra­do­xon: Da­mit et­was mü­he­los wirkt, müs­sen wir uns um­so mehr an­stren­gen. Hin­ter Ele­ganz und Ein­fach­heit stecken Ar­beit, viel Ar­beit! Pro­fis ha­ben lan­ge stu­diert, dann fol­gen Übung, Flei­ß, Wie­der­ho­lung. Am En­de soll die Ar­beit aus­sehen, als sei es leicht, fast selbst­ver­ständ­lich. Die Ita­lie­ner ha­ben da­für ein schö­nes Wort: Sprez­za­tura.

Bal­das­sare Cas­ti­glione be­schrieb die­sen Be­griff schon 1528 in sei­nem Cor­te­gia­no. Er meint ei­ne Art stu­dier­te Un­be­küm­mert­heit, bei der die Müh­e da­hin­ter un­sicht­bar bleibt. Ei­ne Kunst der an­trai­nier­ten Läss­ig­keit, die al­les wir­ken lässt, als sei es na­tür­lich ent­stan­den, oh­ne An­stren­gung.

Ge­nau das brau­chen wir Über­set­zer:in­nen, Dreh­buch­lek­to­ren, Un­ter­titel­ma­cher:in­nen – und na­tür­lich auch Dol­met­scher:in­nen. Beim Schluss­lek­to­rat von Un­ter­titeln geht es häu­fig um Kür­zen, Zu­sam­men­fas­sen, Ver­ein­fa­chen. Heu­te war das mein Job.

„Die Ar­beit ist nur dann sicht­bar, wenn sie nicht gut ge­macht ist.“ — das ha­be ich mir ein­mal no­tiert. Es stimmt: Kun­d:in­nen se­hen das Er­geb­nis, aber nicht die Ar­beits­schrit­te da­hin­ter. Ho­nor­are wir­ken des­halb oft schwer ein­schätz­bar. Ich rech­ne nach Stun­den ab.

Wie Tie­re nei­gen wir Men­schen da­zu, An­stren­gung zu ver­mei­den, und wir mi­ni­mie­ren auch den Auf­wand, den an­de­re be­trei­ben (... ob aus Em­pa­thie oder aus Geld­gier, weil sie die Kund:in­nen sind, sei da­hin­ge­stellt).

Aus einem Frühstücksbrettchen gebastelte Halterung für eine Papierrolle für die Einkaufslisten
2023 restauriert
Ei­ge­ne An­stren­gungen wer­den da­ge­gen oft über­schätzt. Als Bei­spiel da­für wird ger­ne der IKEA-Ef­fekt ge­nannt: Men­schen brin­gen Mö­beln, die sie selbst zu­sam­men­ge­schraubt ha­ben, spon­tan mehr Wert­schät­zung ent­ge­gen als wirk­lich wert­vol­lem Mo­bi­liar. (Das gilt, ich schaue mir selbst über die Schul­tern, auch für meine Up­cyc­ling-Ob­jek­te oder ge­ret­te­te Mö­bel.)

Der Ge­sell­schaft ist zu em­pfeh­len, um­zu­ler­nen, wie wer­tvoll An­stren­gun­gen sind. Beim Ler­nen und bei geis­ti­gen Mü­hen wer­den die glei­chen Hirn­re­gio­nen ak­ti­viert wie beim Sex. In einem Um­feld, das Wis­sen und An­stren­gun­gen po­si­tiv be­setzt und Fort­schritt wahr­nimmt, kann zu einer Auf­wärts­spi­ra­le füh­ren, un cercle ver­tu­eux.

Er­folg reiht sich oft an Er­folg, wenn sich Men­schen be­wusst für an­spruchs­vol­le­re Auf­ga­ben ent­schei­den. Hand­rei­chun­gen und Un­ter­stüt­zung sind dabei wich­tig! Und durch die Er­fah­rung der Selbst­wirk­sam­keit schüt­tet der Körper Se­ro­to­ni­ne aus. Glücks­ge­füh­le!

Heu­te blei­ben mei­ne Müh­e wei­ter im Ver­bor­ge­nen. Die Leich­tig­keit darf glän­zen. Also un­an­ge­strengt auf­wärts!

Vo­ka­belnotiz
cercle vi­cieux — Ab­wärts­spi­ra­le
cercle ver­tu­eux — Auf­wärts­spi­ra­le

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Fo­to: C.E. / mein Ge­burts­tags­ge­schenk
für mei­ne Mum, als ich sie­ben war

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