Samstag, 23. August 2025

„Wir leben in einer Lüge“

Aus dem Be­rufs­all­tag von Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zern, Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­schern be­rich­te ich hier in kur­zen Epi­so­den. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­sche­rin mit Mut­ter­spra­che Deutsch, dol­met­sche manch­mal auch aus dem Eng­li­schen. Die Bü­ro­kol­le­gin ar­bei­tet nur als Über­set­ze­rin (= schrift­lich), mit Eng­lisch als Ziel­spra­che. Hier Zi­tat, Link und Buch der Wo­che.

Nach ex­akt 178 Ta­gen im Orbit, wo­bei er die Erde 2842 um­kreist und mehr als 71 Mil­lio­nen Flug­mei­len zu­rück­ge­legt hat, kehr­te As­tro­naut Ron Ga­ran als ver­än­der­ter Mann zu­rück. Als er die ISS ver­las­sen hat, sah er nur noch die at­men­de, ver­letz­li­che Erde mit ih­rer hauch­dün­nen At­mo­sphä­re als zen­tra­lem, Le­ben spen­den­dem Mo­ment.

Al­le an­de­ren Din­ge, ein Wirt­schafts­sys­tem, das stets im Wett­be­werb um hö­he­re Zah­len steht, vor al­lem Wachs­tum um je­den Preis und blin­der Fort­schritts­glau­be, wa­ren in sei­nen Au­gen nur noch ei­ne Far­ce. Und er sag­te: We’re li­ving a lie. Ein All­tag, in dem wir die Öko­lo­gie als Glied der Wirt­schaft be­han­deln und nicht an­der­s­her­um, ist ein grund­le­gen­der Irr­tum, auf den wir uns selbst ein­las­sen. Ga­ran sah, wie ab­surd die­se Ein­stel­lung aus der Per­spek­ti­ve des Alls ist.

„Ei­ne dün­ne, blaue Le­bens­li­nie, die ei­nen zer­brech­li­chen Pla­ne­ten um­schließt.“ (Ga­ran)

Auch an­de­re Men­schen im All ha­ben sol­che und ähn­li­che Er­fah­run­gen ge­macht. Mi­cha­el Col­lins stau­ne­te über die Zer­brech­lich­keit des klei­nen blau­en Punk­tes. Ed­gar Mit­chell spür­te förm­lich ei­ne „Ex­plo­si­on des Be­wusst­seins“. Und Wil­liam Shat­ner war nach sei­nem Flug so emo­tio­nal er­schüt­tert, dass er an­ge­sichts der kal­ten Lee­re des Alls und der nährend war­men Erde in ih­rer Zer­brech­lich­keit von ei­ner über­wäl­ti­gen­den Trau­rig­keit sprach.

Was dür­fen, nein: müs­sen wir dar­aus ler­nen?

Die Erde ist kei­ne un­er­schöpf­li­che Res­sour­ce, sie ist der Bo­den, auf dem al­les be­ruht und, im wahrs­ten Wort­sinn, der Grund un­se­rer Exi­stenz. Öko­no­mie ist nichts an­de­res als ein Mit­tel zum Le­ben und kein Selbst­zweck. 

"Die Grenzen des Wachstums" (1972)
Es ist al­les wie­der­holt ana­ly­siert wor­den
Sie muss im Dienst der Le­bens­grund­la­gen al­ler ste­hen, nicht sie do­mi­nie­ren. Die­se Er­kennt­nis­se sind kei­ne eso­te­ri­sche Spin­ne­rei: Sie stam­men aus dem Orbit, aus ei­ner be­deu­ten­den Per­spek­ti­ve.

Oft gibt uns ein Per­spek­tiv­wech­sel den Kick in die Rich­tung, die wir brau­chen. Ein Blick von au­ßen ver­än­dert oft al­les. Die größ­te Lü­ge ist zu glau­ben, dass Wirt­schaft und Wachs­tum wich­ti­ger sind als un­se­re Le­bens­grund­la­gen. Und selbst wenn wir nur ein biss­chen von die­sem Über­blick in un­se­ren All­tag über­tra­gen, wä­ren wir schon wei­ter. Der ganz oben zi­tier­te Ga­ran nennt es nicht Re­fle­xi­on, son­dern Evo­lu­ti­on. Viel­leicht soll­ten wir zu­hö­ren.

______________________________
Dennis Mea­dows, Die Gren­zen des
Wachs­tums
, 1972

Keine Kommentare: