Sonntag, 17. August 2025

Augenblicke (1)

Der Be­rufs­all­tag von Über­set­ze­rin­nen und Über­set­zern, Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­schern ist Ge­gen­stand die­ses Web­logs. Mei­ne Ar­beits­spra­chen sind Deutsch (Mut­ter­spra­che), Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Mei­ne Bü­ro­kol­le­gin ar­bei­tet nur schrift­lich mit Eng­lisch als Ziel­spra­che. Nach 18 Jah­ren des Blog­gens star­tet ei­ne neue Rei­he. Sonn­tags wer­de ich pri­vat, heu­te mit Sonn­tags­fo­tos oh­ne Ka­me­ra.

Auf dem Wald­fried­hof: Ei­ne Frau steht am Grab ei­nes Be­kann­ten am vor kur­zer Zeit auf­ge­stell­ten Grab­stein. Sein Na­me und sei­ne Le­bens­da­ten sind dort in der Ty­po "Fu­tu­ra" aus­ge­führt. Er war Lek­tor, was ich zu­fäl­lig weiß. Ih­re Brau­en stau­nen auch oh­ne ihr Zu­tun. Sie hat sich um­ge­dreh­te Ni­ke-Strei­fen über die Au­gen ge­malt, wie es ge­ra­de Mo­de ist. Ei­ne Sport­le­rin?

Im Schlaf­zim­mer: Die Haus­häl­te­rin und As­sis­ten­tin ei­ner be­hin­der­ten An­ge­hö­ri­gen ist so alt wie ich und ähn­lich zu­pa­ckend. Wir hel­fen der An­ge­hö­ri­gen beim An­zie­hen. Ich schimp­fe über den BH. Ich emp­feh­le ihr, ein Bus­tier zu tra­gen. "Was ist ein 'Bus­tier'?", lau­tet die Ge­gen­fra­ge auf mei­nen Vor­schlag. Die As­sis­ten­tin und ich zie­hen in der ex­akt glei­chen Se­kun­de mit ex­akt der­sel­ben Be­we­gung un­se­re T-Shirts hoch und zei­gen un­se­re Bus­tiers.

Im Zug: Am Fens­ter sit­zen, der sich ver­spä­tet ei­nem Bahn­hof nä­hert und wei­te­re Ver­spä­tung ein­fährt. Die mit­tel­al­te Frau vis-à-vis vom Tisch hat ei­ne ova­le Ge­sichts­form mit pro­tu­be­ran­tem Kinn, da­zu ei­ne Stups­na­se und ei­nen be­son­ders mar­kan­ten Amor­bo­gen so­wie dun­kel­brau­ne Haa­re. Der Platz ne­ben mir ist leer.
Ich bin die Ein­zi­ge hier im Zug, die se­hen kann, dass ein jun­ges Mäd­chen von viel­leicht zwölf Jah­ren, das in mei­ner Sicht­ach­se im Gang steht und aufs Aus­stei­gen war­tet, die ex­akt glei­chen Ge­sichts­zü­ge trägt wie die Frau mir ge­gen­über, nur eben 40 Jah­re jün­ger. Ich schau­e hin und her und kann es kaum fas­sen. Sa­ge ich es ih­nen? Bit­te ich das Mäd­chen, sich für ein Fo­to kurz auf den eben­falls lee­ren Gang­sitz ge­gen­über zu set­zen? Wür­de die Frau sich selbst als Jün­ge­re in ihr er­ken­nen, die Klei­ne in der an­de­ren in die Zu­kunft se­hen kön­nen? Wann fährt der Zug wei­ter und wie lan­ge brau­chen wir noch bis zum Bahn­hof?

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Fo­tos: ent­fal­len

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