Dienstag, 4. Februar 2025

It's a coup!

Als Kon­fe­renz­dol­metscher­in ar­bei­te ich mit Fran­zö­sisch als Haupt­spra­che und dol­met­sche in beiden Rich­tun­gen – sel­te­ner auch aus dem Eng­li­schen ins Fran­zö­si­sche. Deutsch ist mei­ne Mut­ter­spra­che und da­her häu­figs­te Ziel­spra­che für Über­set­zun­gen. Ak­tu­ell pla­ne ich Ter­mi­ne für die Ber­li­na­le. Heu­te ein The­ma, das mich mit mei­nen in­ter­na­tio­na­len Kon­tak­ten sehr be­wegt.

Mails aus den USA lassen mich er­schau­dern. Eine ame­ri­ka­ni­sche Kol­le­gin be­rich­tet von ihrer Angst: Was pas­siert, wenn die Be­hin­der­ten­ren­te für ihr Kind und die Ren­te der Groß­mut­ter plötz­lich nicht mehr aus­ge­zahlt wer­den? Der reichs­te Mensch der Welt ist in die Zen­tra­le der US-ame­ri­ka­ni­schen Fi­nan­zen ein­ge­drun­gen. Und nicht nur dort.

Boxer im Dunkeln
Haudraufkerle en vogue
Was er da treibt, lässt sich als di­gi­ta­len Staats­streich be­zeich­nen. Wäh­rend der Prä­sident in ab­we­gi­gen Ka­te­go­ri­en denkt und da­von spricht, den Ga­za­strei­fen zu ei­nem US-Ter­ri­to­ri­um zu ma­chen – Mar-a-La­go Over­seas, ich sehe die Wer­be­broschü­re schon vor mir –, stürmt der reichs­te Mann der Welt die Fi­nan­z­zen­tra­le der Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Dort lässt er Prak­ti­kan­ten und Be­rufs­anfän­ger "auf­räu­men". Hätte je­mand die­ses Sze­na­rio vor ein paar Jah­ren als Dreh­buch vor­ge­schla­gen, es wäre als ab­sur­de Dys­to­pie ab­ge­lehnt wor­den.

Doch ge­nau das pas­siert ge­ra­de: Jun­ge, un­er­fah­re­ne Leute, die nicht ein­mal eine Si­cher­heits­prü­fung durch­lau­fen haben, er­hal­ten Zu­griff auf das zen­tra­le Zah­lungs­sys­tem des US-Fi­nanz­mi­nis­te­ri­ums, das für die Aus­zah­lung von Ren­ten, So­zi­al­hil­fe und an­de­ren staat­li­chen Trans­fers zu­stän­dig ist. Klingt gro­tesk? Es wird noch ir­rer. Musk lässt der­zeit Ver­wal­tung für Ver­wal­tung „ka­pern“, heute sol­len sie, der SZ zu­fol­ge, beim Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um an­ge­langt sein.

Die Nach­rich­ten­flut aus den USA er­zeugt das Ge­fühl, in ei­nen Stru­del hin­ein­ge­ra­ten zu sein. Ich ver­ar­bei­te In­for­ma­tio­nen von Be­rufs­we­gen recht schnell, aber Tem­po und Aus­maß der Ent­wick­lun­gen dort gab es bis­lang noch nicht. Hier noch et­was ge­nau­er.

Musk hat sich mit sei­nen Leu­ten stra­te­gisch in zen­tra­le Re­gie­rungs­be­hör­den ein­ge­klinkt, dar­un­ter das Zah­lungs­sys­tem der US-Re­gie­rung, ei­ne In­fra­struk­tur, die für Mil­lio­nen von Men­schen es­sen­zi­ell ist. Das ge­schieht ohne de­mo­kra­ti­sche Le­gi­ti­ma­tion und ohne jeg­li­che Auf­sicht.

CNN und Wired zufolge wer­keln vor Ort jun­ge Män­ner, Prak­ti­kan­ten, Col­le­ge-Ab­sol­ven­ten, re­kru­tiert von SpaceX, Pa­lan­tir, Neu­ra­link und Thiel-na­hen Netz­wer­ken. Sie sind zwi­schen 19 und 24 Jah­re alt, ha­ben kei­ner­lei offi­zi­el­le Si­cher­heits­frei­ga­be – aber nun die vol­len Codes und Da­ten ei­ner der wich­tigs­ten Fi­nan­z­be­hör­den der USA.

Ge­ra­de hat Musk mal eben per Knopf­druck die ge­sam­te US-Ent­wick­lungs­hil­fe ab­ge­schafft. Die USA stan­den an der Spit­ze sämt­li­cher Ge­ber­län­der. Die da­für zu­stän­di­ge Be­hör­de wird dicht­ge­macht. Aus dem Feld der Ent­wick­lungs­zusam­men­ar­beit er­reichen mich jetzt an­de­re Not­rufe.

Musk kon­trol­liert ne­ben den Zah­lungs­sys­te­men jetzt auch die Im­mo­bi­li­en­ver­wal­tung, die IT und die Per­so­nal­be­hör­de der Re­gier­ung, die für al­le staat­li­chen An­stel­lun­gen zu­stän­dig ist. Of­fi­zi­ell soll er die Ver­wal­tung „ver­schlan­ken“. Das Tem­po und die Durch­schlags­kraft sei­ner Ak­tio­nen sind wahn­sin­nig. Hier wird eine Selbst­be­die­nungs-Oli­gar­chie in Re­kord­zeit er­rich­tet. Ein di­gi­ta­ler Coup d'État, in we­ni­gen Stun­den durch­ge­zo­gen.

Das oben ver­link­te In­ter­view mit Ka­tie Drum­mond, der Chef­re­dak­teu­rin von Wi­red, be­leuch­tet das Gan­ze ein­dring­lich. Sie und ihr Team do­ku­men­tie­ren, was hier pas­siert. Wer das mit ei­nem la­pi­da­ren "Lasst ihn doch mal ma­chen" kom­men­tiert, be­greift nicht, was ge­ra­de pas­siert: die kom­plet­te De­mon­ta­ge de­mo­kra­ti­scher Kon­trol­le durch nicht ge­wähl­te In­di­vi­du­en. Das steckt also hin­ter den Ru­fen nach "Bü­ro­kra­tie­ab­bau": we­ni­ger de­mo­kra­ti­sche Kon­trol­le, mehr Macht für jene, die be­reits an den He­beln sit­zen.

Selbst in den USA, wo vie­le an Cha­os ge­wöhnt sind, sorgt das für Schock­star­re. Doch lang­sam kippt die Stim­mung. Ein CNN-Jour­na­list brach­te es auf den Punkt. Die Leute sei­en wü­tend, be­rich­tet er; wenn das um sich grei­fe, dro­he eine Es­ka­la­ti­on.

Dann aber hat Musk be­reits die vol­le Kon­trol­le, alle Macht, alle Da­ten. Ein di­gi­ta­ler Putsch, eis­kalt durch­ge­zo­gen. Und es ist nur we­ni­ge Wo­chen her, dass hier­zu­lan­de je­mand von "mehr Mi­lei und Musk wa­gen" ge­schwärmt hat.

Und nicht nur in Sa­chen Da­ten­schutz hat sich die FDP, die in Zei­ten ei­ner "Schnar­re" (Sa­bi­ne Leut­heus­ser-Schnar­ren­ber­ger) ja zu­ver­läs­sig die­ses The­ma auf dem Schirm hat­te, ja in den letz­ten Jah­ren selbst zer­legt. Ich hof­fe, der­zeit be­kom­men ge­nü­gend künf­ti­ge Bun­des­tags­wäh­le­rin­nen und -wäh­ler mit, was der­zeit in den USA pas­siert. Es muss uns eine War­nung sein.

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Bild: Pixlr.com

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