Mails aus den USA lassen mich erschaudern. Eine amerikanische Kollegin berichtet von ihrer Angst: Was passiert, wenn die Behindertenrente für ihr Kind und die Rente der Großmutter plötzlich nicht mehr ausgezahlt werden? Der reichste Mensch der Welt ist in die Zentrale der US-amerikanischen Finanzen eingedrungen. Und nicht nur dort.
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Haudraufkerle en vogue |
Doch genau das passiert gerade: Junge, unerfahrene Leute, die nicht einmal eine Sicherheitsprüfung durchlaufen haben, erhalten Zugriff auf das zentrale Zahlungssystem des US-Finanzministeriums, das für die Auszahlung von Renten, Sozialhilfe und anderen staatlichen Transfers zuständig ist. Klingt grotesk? Es wird noch irrer. Musk lässt derzeit Verwaltung für Verwaltung „kapern“, heute sollen sie, der SZ zufolge, beim Bildungsministerium angelangt sein.
Die Nachrichtenflut aus den USA erzeugt das Gefühl, in einen Strudel hineingeraten zu sein. Ich verarbeite Informationen von Berufswegen recht schnell, aber Tempo und Ausmaß der Entwicklungen dort gab es bislang noch nicht. Hier noch etwas genauer.
Musk hat sich mit seinen Leuten strategisch in zentrale Regierungsbehörden eingeklinkt, darunter das Zahlungssystem der US-Regierung, eine Infrastruktur, die für Millionen von Menschen essenziell ist. Das geschieht ohne demokratische Legitimation und ohne jegliche Aufsicht.
CNN und Wired zufolge werkeln vor Ort junge Männer, Praktikanten, College-Absolventen, rekrutiert von SpaceX, Palantir, Neuralink und Thiel-nahen Netzwerken. Sie sind zwischen 19 und 24 Jahre alt, haben keinerlei offizielle Sicherheitsfreigabe – aber nun die vollen Codes und Daten einer der wichtigsten Finanzbehörden der USA.
Gerade hat Musk mal eben per Knopfdruck die gesamte US-Entwicklungshilfe abgeschafft. Die USA standen an der Spitze sämtlicher Geberländer. Die dafür zuständige Behörde wird dichtgemacht. Aus dem Feld der Entwicklungszusammenarbeit erreichen mich jetzt andere Notrufe.
Musk kontrolliert neben den Zahlungssystemen jetzt auch die Immobilienverwaltung, die IT und die Personalbehörde der Regierung, die für alle staatlichen Anstellungen zuständig ist. Offiziell soll er die Verwaltung „verschlanken“. Das Tempo und die Durchschlagskraft seiner Aktionen sind wahnsinnig. Hier wird eine Selbstbedienungs-Oligarchie in Rekordzeit errichtet. Ein digitaler Coup d'État, in wenigen Stunden durchgezogen.
Das oben verlinkte Interview mit Katie Drummond, der Chefredakteurin von Wired, beleuchtet das Ganze eindringlich. Sie und ihr Team dokumentieren, was hier passiert. Wer das mit einem lapidaren "Lasst ihn doch mal machen" kommentiert, begreift nicht, was gerade passiert: die komplette Demontage demokratischer Kontrolle durch nicht gewählte Individuen. Das steckt also hinter den Rufen nach "Bürokratieabbau": weniger demokratische Kontrolle, mehr Macht für jene, die bereits an den Hebeln sitzen.
Selbst in den USA, wo viele an Chaos gewöhnt sind, sorgt das für Schockstarre. Doch langsam kippt die Stimmung. Ein CNN-Journalist brachte es auf den Punkt. Die Leute seien wütend, berichtet er; wenn das um sich greife, drohe eine Eskalation.
Dann aber hat Musk bereits die volle Kontrolle, alle Macht, alle Daten. Ein digitaler Putsch, eiskalt durchgezogen. Und es ist nur wenige Wochen her, dass hierzulande jemand von "mehr Milei und Musk wagen" geschwärmt hat.
Und nicht nur in Sachen Datenschutz hat sich die FDP, die in Zeiten einer "Schnarre" (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger) ja zuverlässig dieses Thema auf dem Schirm hatte, ja in den letzten Jahren selbst zerlegt. Ich hoffe, derzeit bekommen genügend künftige Bundestagswählerinnen und -wähler mit, was derzeit in den USA passiert. Es muss uns eine Warnung sein.
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Bild: Pixlr.com
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