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Wahltag ist Zahltag |
Heute ist Wahltag in Deutschland. Es ist keine Wahl wie die anderen zuvor. In den letzten Regionalwahlen im Osten des Landes haben die Rechtsextremen enorme Zuwächse erlebt. Ich weiß, wie sie sprechen, was sie schreiben. Als Dolmetscherin habe ich mich, als ich für Journalisten aus Frankreich tätig wurde, länger damit befasst.
Ich kenne den Osten gut. Ich weiß, mit welcher Arroganz und Verachtung nach 1990 viele aus dem Westen dorthin gegangen sind, um schnell Karriere und Geld zu machen. Garantiert nicht alle, aber zu viele. Menschen, die im Westen etabliert und in soziale Gefüge eingebunden waren, blieben meistens im Westen — auch solche, die ursprünglich aus dem Osten stammten. Das weiß ich aus erster Hand: Mein Vater, in Sachsen geboren und von dort vergrault, bekam für die letzten fünf bis zehn Berufsjahre eine interessante Stelle in Sachsen angeboten. Meine Geschwister waren damals Teenager.
Er hatte schon einmal miterlebt, was es macht, wenn Teenager aus ihrem angestammten Umfeld gerissen werden. Das wollte er nicht wiederholen.
Ich kürze ab. Eine Generation später gehören die meisten Liegenschaften in der ehemaligen DDR Westlern. Das hat mehrere Gründe. Der Westen kaufte, Steuersparmodelle lockten, Geld war angespart, der gutdotierte Job, der einen Kredit ermöglich hat, vorhanden. Die anderen Westler sind zwar dort sozialisierte Menschen, die aber mangels Perspektive über die Jahre den Osten verlassen haben.
Ich kenne den Osten gut. Ich weiß, mit welcher Arroganz und Verachtung nach 1990 viele aus dem Westen dorthin gegangen sind, um schnell Karriere und Geld zu machen. Garantiert nicht alle, aber zu viele. Menschen, die im Westen etabliert und in soziale Gefüge eingebunden waren, blieben meistens im Westen — auch solche, die ursprünglich aus dem Osten stammten. Das weiß ich aus erster Hand: Mein Vater, in Sachsen geboren und von dort vergrault, bekam für die letzten fünf bis zehn Berufsjahre eine interessante Stelle in Sachsen angeboten. Meine Geschwister waren damals Teenager.
Er hatte schon einmal miterlebt, was es macht, wenn Teenager aus ihrem angestammten Umfeld gerissen werden. Das wollte er nicht wiederholen.
Ich kürze ab. Eine Generation später gehören die meisten Liegenschaften in der ehemaligen DDR Westlern. Das hat mehrere Gründe. Der Westen kaufte, Steuersparmodelle lockten, Geld war angespart, der gutdotierte Job, der einen Kredit ermöglich hat, vorhanden. Die anderen Westler sind zwar dort sozialisierte Menschen, die aber mangels Perspektive über die Jahre den Osten verlassen haben.
Damals kamen viele westliche Unternehmer in den Osten, ich kürze weiter ab, vermeintlich mit viel Geld und besten Verbindungen, investierten vielleicht sogar, schlimmstenfalls nur in eine "Pinselsanierung", trennten Firma und Patente von Grund und Boden, verkauften weiter. Das Wort asset stripping habe ich damals gelernt. Der Osten war an Köpfen so klein, dass er mit der zuvor ungenutzten Produktivitätsmarge spielend mitversorgt werden konnte.
Eine Zeitlang wurden Arbeitsplätze "gesichert", die Folgekosten trägt die Allgemeinheit bis heute. Ich vereinfache. Aber dieses Schema wurde zu oft angewandt, als dass es nicht die Befindlichkeit geprägt hätte. Gute Projekte, Kauf und Übernahme durch die Belegschaft, Investitionen in Neues, echter Aufbau Ost, wird vor dem Hintergrund als Ausnahme wahrgenommen. Leider gibt es auch im Westen viele, die um ihre soziale Lage, ihren kleinen Wohlstand und die (bitter nötigen) Reformen besorgt sind und befinden: Es soll alles wieder so werden, wie es "früher" mal war.
Und also jetzt die "Rache" der kleinen Leute, die mit dem Fuß aufstampfen und jenen ihre Stimme schenken, die ihnen ein neues Selbstbewusstsein geben und große Versprechungen machen. Ich habe die Prospekte selbst gesehen – was da gedruckt steht, widerspricht zu 90 Prozent dem Parteiprogramm. (Wäre künftig nicht auch hier anzusetzen? Wahlwerbung muss mit dem Programm übereinstimmen. Wahldiskussionen werden voraufgezeichnet, die Faktenchecker machen sich sofort an die Arbeit und senden leicht zeitversetzt mit Untertiteln bzw. kurzen Erklärfilmen, die eingeblendet werden. Dann müssten sich alle Parteien am Riemen reißen.)
Dass weder die Ostzeit noch die Wendejahre nicht gut aufgearbeitet wurden, ist der Boomerang, der uns heute einholt. Viele Ost-Westler, Intellektuelle und Psychologen haben gewarnt. (Auch ich habe versucht, meine Erfahrungen als WOssi mit einzubringen. Aber wer glaubt in diesem Land jenseits von Fragen der Mode schon jungen Leuten?)
Befindlichkeiten spielen eine große Rolle in Deutschland, außerdem Ressentiments, die schwerer wiegen als Fakten.
Politische Bildung bei Erwachsenen und bei Menschen, die ohne große Berufsperspektiven in strukturell vernachlässtige Gegenden hineingeboren wurden, ist schwer zu machen, zumal diese Leute aufgrund ihrer Erfahrung immer gleich "Indoktrination" mutmaßen, wenn man ihnen andere Perspektiven aufzeigt. Hier ging es von Anfang an um die oft lang nicht gemachten Erfahrungen mit Menschen aus anderen Ländern, was Fremdenfeindlichkeit wachsen ließ. (… besonders hohe Ablehnungswerte haben Regionen, in denen fast niemand oder keiner zugezogen ist.) Dieses Misstrauen gegenüber dem Andersein hat sich rasch ausgeweitet. Es fokussiert sich inzwischen auf andere Weltanschauungen oder Orientierungen, auf eine gewisse Weltläufigkeit, auf andere Lebensweisen und Einflüsse.
Aus Misstrauen wurde Angst, aus Angst Wut, aus Wut Hass. Das Ganze ist und bleibt mit einer großen Portion Selbstmitleid grundiert. Gefühle sind leicht zu manipulieren, und der verdrängte kollektive Minderwertigkeitskomplex wird umgedreht und als spitze Pfeile nach außen gerichtet.
Dann sind plötzlich Schicksale "selbst gemacht" und "verdient". In den USA hat sich, so schaut es inzwischen aus, ein ebenfalls emotionsgestörter, verurteilter Mafiosi mit IT-Unterstützung an die Macht geputscht. Er akzeptiert die Gewaltenteilung zwar nicht, hat aber schon per Gesetz vorgesorgt, dass die USA-Wählerschaft so bald kein zweites Mal an die Wahlurnen gerufen wird. Und was höre ich von so einer deprivierten Ostseele? Sätze wie: "Da sind die Amis selbst dran schuld, hätten sie mal nicht Jahrzehntelang die Welt mit ihrem Imperialismus und ihren Kriegen überzogen." (Da scheint sogar noch der ML-Unterricht durch.)
Ähnliche Kommentare gibt es zur Ukraine und zu Israel. Details erspare ich uns jetzt hier.
Die Kiste ist verfahren. Mir machen da inzwischen auch bürgerliche Politiker Angst, die selbst hetzen, denn wenn sie in dieses Wuthorn blasen, verbarrikadieren sie aus Wahlkalkül für länger den Weg der emotionalen Aufarbeitung – die natürlich auch mit kollektiven, materiellen Entscheidungen verbunden sein muss. Milliardäre tun demokratischen Gesellschaften nicht gut, auch zu hohe Milionenvermögen sind schon kontraproduktiv. Allein die Tatsache, dass keine Statistik mehr über die Reichen und Ultrareichen geführt wird, seit unter Helmut Kohl die Vermögenssteuer abgeschafft wurde, ist mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar.
"Vom Tellerwäscher zum Millionär" war mal ein amerikanisches Versprechen, das dort aufgrund der schieren Bevölkerungsgröße bei zündenden Ideen manchmal noch aufgeht ist. Bei uns, im kleinteiligen, kulturdiversen Europa, sieht es anders aus. Wir müssen bei uns anfangen. Wir brauchen einen neuen Gesellschafts- und Generationsvertrag. Unklar, wann wir so weit sind.
Jetzt droht erstmals ein absolutistischer Tech-Feudalismus mit orwellschen Kontrollmechanismen, gesteuert aus Übersee.
Was derzeit in den USA stattfindet sind so gravierend wie das deutsche 1989. Damals habe ich alles in einer Art schlafwanderischem Taumel erlebt, dabei mit ständiger Angst vor den letzten Schlägen der Stasi. Heute ist Wahltag. Mir sitzt ein Kloß im Hals. Ungut für eine Dolmetscherin.
Eine Zeitlang wurden Arbeitsplätze "gesichert", die Folgekosten trägt die Allgemeinheit bis heute. Ich vereinfache. Aber dieses Schema wurde zu oft angewandt, als dass es nicht die Befindlichkeit geprägt hätte. Gute Projekte, Kauf und Übernahme durch die Belegschaft, Investitionen in Neues, echter Aufbau Ost, wird vor dem Hintergrund als Ausnahme wahrgenommen. Leider gibt es auch im Westen viele, die um ihre soziale Lage, ihren kleinen Wohlstand und die (bitter nötigen) Reformen besorgt sind und befinden: Es soll alles wieder so werden, wie es "früher" mal war.
Und also jetzt die "Rache" der kleinen Leute, die mit dem Fuß aufstampfen und jenen ihre Stimme schenken, die ihnen ein neues Selbstbewusstsein geben und große Versprechungen machen. Ich habe die Prospekte selbst gesehen – was da gedruckt steht, widerspricht zu 90 Prozent dem Parteiprogramm. (Wäre künftig nicht auch hier anzusetzen? Wahlwerbung muss mit dem Programm übereinstimmen. Wahldiskussionen werden voraufgezeichnet, die Faktenchecker machen sich sofort an die Arbeit und senden leicht zeitversetzt mit Untertiteln bzw. kurzen Erklärfilmen, die eingeblendet werden. Dann müssten sich alle Parteien am Riemen reißen.)
Dass weder die Ostzeit noch die Wendejahre nicht gut aufgearbeitet wurden, ist der Boomerang, der uns heute einholt. Viele Ost-Westler, Intellektuelle und Psychologen haben gewarnt. (Auch ich habe versucht, meine Erfahrungen als WOssi mit einzubringen. Aber wer glaubt in diesem Land jenseits von Fragen der Mode schon jungen Leuten?)
Befindlichkeiten spielen eine große Rolle in Deutschland, außerdem Ressentiments, die schwerer wiegen als Fakten.
Politische Bildung bei Erwachsenen und bei Menschen, die ohne große Berufsperspektiven in strukturell vernachlässtige Gegenden hineingeboren wurden, ist schwer zu machen, zumal diese Leute aufgrund ihrer Erfahrung immer gleich "Indoktrination" mutmaßen, wenn man ihnen andere Perspektiven aufzeigt. Hier ging es von Anfang an um die oft lang nicht gemachten Erfahrungen mit Menschen aus anderen Ländern, was Fremdenfeindlichkeit wachsen ließ. (… besonders hohe Ablehnungswerte haben Regionen, in denen fast niemand oder keiner zugezogen ist.) Dieses Misstrauen gegenüber dem Andersein hat sich rasch ausgeweitet. Es fokussiert sich inzwischen auf andere Weltanschauungen oder Orientierungen, auf eine gewisse Weltläufigkeit, auf andere Lebensweisen und Einflüsse.
Aus Misstrauen wurde Angst, aus Angst Wut, aus Wut Hass. Das Ganze ist und bleibt mit einer großen Portion Selbstmitleid grundiert. Gefühle sind leicht zu manipulieren, und der verdrängte kollektive Minderwertigkeitskomplex wird umgedreht und als spitze Pfeile nach außen gerichtet.
Dann sind plötzlich Schicksale "selbst gemacht" und "verdient". In den USA hat sich, so schaut es inzwischen aus, ein ebenfalls emotionsgestörter, verurteilter Mafiosi mit IT-Unterstützung an die Macht geputscht. Er akzeptiert die Gewaltenteilung zwar nicht, hat aber schon per Gesetz vorgesorgt, dass die USA-Wählerschaft so bald kein zweites Mal an die Wahlurnen gerufen wird. Und was höre ich von so einer deprivierten Ostseele? Sätze wie: "Da sind die Amis selbst dran schuld, hätten sie mal nicht Jahrzehntelang die Welt mit ihrem Imperialismus und ihren Kriegen überzogen." (Da scheint sogar noch der ML-Unterricht durch.)
Ähnliche Kommentare gibt es zur Ukraine und zu Israel. Details erspare ich uns jetzt hier.
Die Kiste ist verfahren. Mir machen da inzwischen auch bürgerliche Politiker Angst, die selbst hetzen, denn wenn sie in dieses Wuthorn blasen, verbarrikadieren sie aus Wahlkalkül für länger den Weg der emotionalen Aufarbeitung – die natürlich auch mit kollektiven, materiellen Entscheidungen verbunden sein muss. Milliardäre tun demokratischen Gesellschaften nicht gut, auch zu hohe Milionenvermögen sind schon kontraproduktiv. Allein die Tatsache, dass keine Statistik mehr über die Reichen und Ultrareichen geführt wird, seit unter Helmut Kohl die Vermögenssteuer abgeschafft wurde, ist mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar.
"Vom Tellerwäscher zum Millionär" war mal ein amerikanisches Versprechen, das dort aufgrund der schieren Bevölkerungsgröße bei zündenden Ideen manchmal noch aufgeht ist. Bei uns, im kleinteiligen, kulturdiversen Europa, sieht es anders aus. Wir müssen bei uns anfangen. Wir brauchen einen neuen Gesellschafts- und Generationsvertrag. Unklar, wann wir so weit sind.
Jetzt droht erstmals ein absolutistischer Tech-Feudalismus mit orwellschen Kontrollmechanismen, gesteuert aus Übersee.
Was derzeit in den USA stattfindet sind so gravierend wie das deutsche 1989. Damals habe ich alles in einer Art schlafwanderischem Taumel erlebt, dabei mit ständiger Angst vor den letzten Schlägen der Stasi. Heute ist Wahltag. Mir sitzt ein Kloß im Hals. Ungut für eine Dolmetscherin.
Illustration: pixlr.com (Zufallsfund)
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