![]() |
Säulenordnung mit Lerntipp |
Den Fußboden müssen sie in den letzten Jahren erneuert haben. Die Säule darunter wurde im Fußbodenbereich einige Zentimeter tief eingeschnitten und hängt in der Luft. Das Ganze wirkt wie ein Symbol der Lage: Viel Deko, viel Schein, aber an Standfestigkeit mangelt's. Was nach Kultur aussieht, ist renditeoptimierter Billigbau mit zu viel drangeklatschtem Ornament.
Kultur zur Umsatzsteigerung
Ich versenke meine Nase in meine Unterlagen: Sichtungsnotizen, Recherchen zum Filmteam, Vokabeln, Produktionshintergründe, politische Aspekte und Konflikte.
Zwei Kellner bewegen sich maximalverhuscht durch die Gänge, balancieren Tabletts auf den Armen, die Silberlöffel klirren leise an zartem Porzellan, jede Bewegung sitzt.
Es riecht nach Parfüm. Über allem liegt ein gleichförmiger Klang aus klassisch anmutenden Tonfolgen, die sich nicht aufdrängen, nicht existieren, aber doch präsent sind. Musak heißt dieser Soundtrack von Hotellobbys, Fahrstühlen und Kaufhäusern, große Beliebigkeit, in Noten gegossen.
Millimeterarbeit
Neben mir der Teewagen, darauf Petit fours und Schnittchen, passend zum Ambiente – klein, millimetergenau kariert, wie aus einem Kulinarik-Stockfoto. Den Kellnern und den Bäckern fühle ich mich gerade am nächsten, reelles Handwerk. Ich warte auf die Gäste. TV-Leute, für die wichtig ist, dass jedes Wort sitzt. Sie arbeiten für die News, alles eilt.Drinnen wartet der Filmstar, der gleich interviewt werden wird. Die Pressedame ist nicht aufgetaucht. Ich bin gespannt, ob die Fragen der TV-Leute überraschend sind oder das Pressehaft spiegeln. Ich kenne den roten Faden leider nicht, obwohl ich im Vorfeld freundlich darum gebeten hatte.
Berlinale im Wandel
Das Team verspätet sich. Die Berlinale war einmal ein Ort, an dem viele Sprachen auf der Bühne gesprochen worden sind, aber auch bei den Presseterminen, bei der Kulturen und Unterschiede selbstverständlich ihren Raum hatten. Das galt als unvermeidlich, war schön, manchmal ein wenig chaotisch. Heute erlebe ich einen Rest davon.
Denn meistens wird inzwischen vereinfacht und verflacht. Fast alle Gespräche finden inzwischen auf simplified English statt – was zunächst international klingt, zerstört in der Praxis aber die Komplexität. Fragen sind verschlichtet, Antworten kürzer, die Gespräche verlieren an Tiefe. Es beteiligen sich auch nicht mehr so viele Menschen wie früher. Großartige Fragen stellen noch einige Muttersprachler (oder Leute, die so klingen) – aber es sind weniger geworden. Die Zurückhaltung vieler, die ihre eigenen Sprachkenntnisse als unzureichend einstufen, ist nachvollziehbar.
Ich erlebe das jedes Jahr aufs Neue. Die Q&A-Runden nach den Filmen sind kürzer, sie finden nach den Wiederholungen nicht mehr systematisch statt. Es ist, als hätte niemand aus der Pandemie gelernt: Live und vor Ort eröffnet ein Festival Gelegenheiten, die digitale Kommunikation einfach nicht bieten kann.
Solange sich zu wenige beschweren, läuft das munter so weiter; die Hinweise Einzelner werden munter weggelächelt.
Qualität, die niemand will
Die einzigen, die sich heute für Exaktheit interessieren, sind eben die TV-Leute und etliche andere Journalisten. Sie brauchen klare Infos, eindeutige Übersetzungen, Zählerstände (Timecodes). Das Team heute hat kaum Zeit für den Schnitt, vor Ort wird das Gedrehte gleich ausgewertet, ich darf unterstützen.Heute ist auch wieder ein guter Honorartag. In Zeiten der geopolitischen Konflikte, der neuen Prioritäten und des Machtvakuums, das uns das vorzeitige Ende der Koalition beschieden hat, herrscht harter Konkurrenzkampf um die wenigen Dolmetscheinsätze. Die Honorare wurden gedrückt, die Kundschaft nutzt unsere Not aus, und ja, auch da schrumpfen Budgets, und "Nehmen Sie das bitte nicht persönlich!" ...
Grundsätzlich in Wartehaltung
Jenseits der Berlinale scheinen viele Programme, für die wir sonst dolmetschen, eingefroren zu sein, bis es wieder neue Fachminister und -ministerinnen gibt. Almost everything is on hold.Dass an dem Ganzen Menschen hängen, die davon leben, scheint ähnlich wie in der Pandemiezeit, in der wir Solo-Selbständigen überwiegend von Luft und Liebe (und den Rücklagen fürs Alter) leben durften, kaum zu interessieren.
Alles chic, von außen betrachtet
Was sichtbar ist: Große Namen, roter Teppich, zu dünne Kleidchen fürs Winterwetter, Kameras, Licht. Was nicht sichtbar ist: Die Substanz bröckelt. In altmodischen Begriffen: Das Kulturverständnis ist im Kern angegriffen, wie diese Säule, die hier vor meinen Augen in der Luft schwebt.
Was ich oben schrieb, gilt für die Publikumsgespräche nach den Filmen. Inzwischen greift das „Wir machen alles auf EN und brauchen keine Profis mehr“-Prinzip an einigen Stellen leider auch auf die Pressearbeit über, besonders bei den jungen Presseleuten. Ich hoffe, sie lernen in der Praxis hinzu!
Und jetzt? Neue Chancen ...
Was macht das mit mir? Ich bin ungeduldig und warte nicht gerne. Ab und zu scrolle ich zuhause oder im Zug durch Stellenanzeigen. Eine halbe Stelle wäre ideal. Ich muss flexibel sein, Angehörigenpflege lässt sich nicht immer planen.
Ich habe mir meine Kundschaft schon bewusst weit gestreut ausgesucht: Entwicklungszusammenarbeit, Kultur, Bildungsreisen, Agrar-Ökologie, Urbanismus, Diplomatie. Und doch wächst die Furcht, dass diese Themen bald als "Schönwetterluxus" definiert zusammengestrichen werden könnte, Krise und Populismus haben Folgen. (Ich beobachte, was in den USA passiert.)
Die Furcht ist das eine. Zum Glück habe ich viel gelernt, studiert und eine breite Berufserfahrung. Ich müsste verschiedene Optionen haben. Bald gehe ich zur Berufsberatung. Ich fühle mich zwischendurch wie mit zarten 17 Lenzen. Ich bin neugierig und offen und hoffe, dass diese deutsche Mentalität, dass die Bewerberin zu 100 Prozent 'passgenau' sein muss, endlich passé ist. Wir haben Fachkräftemangel. Das Wort "überqualifiziert" möchte ich nie wieder hören.
Ich habe mir meine Kundschaft schon bewusst weit gestreut ausgesucht: Entwicklungszusammenarbeit, Kultur, Bildungsreisen, Agrar-Ökologie, Urbanismus, Diplomatie. Und doch wächst die Furcht, dass diese Themen bald als "Schönwetterluxus" definiert zusammengestrichen werden könnte, Krise und Populismus haben Folgen. (Ich beobachte, was in den USA passiert.)
Die Furcht ist das eine. Zum Glück habe ich viel gelernt, studiert und eine breite Berufserfahrung. Ich müsste verschiedene Optionen haben. Bald gehe ich zur Berufsberatung. Ich fühle mich zwischendurch wie mit zarten 17 Lenzen. Ich bin neugierig und offen und hoffe, dass diese deutsche Mentalität, dass die Bewerberin zu 100 Prozent 'passgenau' sein muss, endlich passé ist. Wir haben Fachkräftemangel. Das Wort "überqualifiziert" möchte ich nie wieder hören.
Kaltstart, wie oft
Ich blicke erneut auf die Uhr. Dann wieder auf den Gang zum Fahrstuhl. Endlich kommt das TV-Team mit seiner ganzen Technik angeschleift, leicht außer Atem. Das Interview geht in wenigen Minuten los. Drei, vier Worte mit dem Redakteur gewechselt, dann los! Kein Problem. Kaltstart kann ich.______________________________
Foto: Lehrbuchseite (mit Mnemotrick)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen