Dienstag, 24. September 2024

Das Versandhauslabyrinth

Aus dem Ar­beits­all­tag ei­ner Dol­met­sche­rin kön­nen Sie auf die­sen Sei­ten ei­ni­ges er­fah­ren. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te haupt­säch­lich mit Fran­zö­sisch, ein we­nig mit Eng­lisch. Wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen ha­ben un­se­re Haupt­spra­chen, da­bei ist die A-Spra­che die Mut­ter­spra­che, B steht für die Haupt­ar­beits­spra­che, C für die so­ge­nann­te pas­si­ve Spra­che. Heu­te fol­gen ei­ni­ge Zei­len über Pri­vat­kun­den­ar­beit.

Ka­tas­tro­phe! Ich bin rück­fäl­lig ge­wor­den und am En­de wird das Pferd mit mir durch­ge­hen! Al­so, ich ha­be ent­ge­gen mei­ner Vor­sät­ze die KI um ei­ne Il­lus­tra­ti­on ge­be­ten. Na­ja, nicht ganz so dra­ma­tisch. Mir ging's hier erst­mal um Auf­merk­sam­keit. Lustig wird's am En­de trotz­dem noch.

Also, wie von mir er­war­tet, hat die KI das Prin­zip des La­by­rinths nicht ver­stan­den und war nicht ein­mal da­zu im­stan­de, die Fo­to­vor­la­ge, die ich mit­ge­schickt hat­te, rich­tig zu in­ter­pre­tie­ren. KI-au­to­ma­ti­sier­te Vor­gän­ge im Wirt­schafts­le­ben stel­len auch zu­neh­mend ein Pro­blem dar, das an La­by­rin­the er­in­nert.

Ein ver­meint­li­ches La­by­rinth mit di­rek­tem Weg zum Ziel
Ach, wenn La­by­rin­the so ein­fach wä­ren, "lie­be" KI :-)
Es fühlt sich an, als wür­de ich im­mer wie­der in die He­cke ge­schickt oder im Kreis lau­fen. Doch der Rei­he nach.

Eines Frei­tag­abends steht zur bes­ten Fa­mi­li­en­zeit ei­ne jun­ge auf­ge­lös­te Frau vor mei­ner Tür. Ich ha­be kei­ne Bü­ro­sprech­stun­den. Hier wur­de ei­ne Kü­chen­sprech­stun­de dar­aus.

Denn die jun­ge Frau hat bei einer Re­kla­mat­ion of­fen­bar nur mit der KI zu tun ge­habt, sich dann in ei­nem La­by­rinth ver­lau­fen, das nicht so über­sicht­lich war wie die Il­lus­tra­ti­on hier.

Es geht um ein klas­si­sches Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men im Be­reich Ver­sand­han­del. Da kom­men jetzt nicht vie­le in­fra­ge, denn die meis­ten ha­ben die Di­gi­ta­li­sie­rung ver­schla­fen und sind vom Markt ver­schwun­den. Die Dol­met­sch­kun­din hat­te dort vor zwei Ja­hren ei­nen klei­nen Tisch be­stellt, der nicht so recht den Er­war­tun­gen oder der Be­schrei­bung ent­spro­chen hat und da­her zu­rück in die Post ging. So­weit, so gut. Das Gan­ze kommt je­de Wo­che mil­lio­nen­fach vor.

Die­se Kun­din, ei­ne Fran­zö­sin, be­kam den Kauf­preis er­stat­tet. Dann hat sie ei­ne Zeit lang nichts mehr vom Ver­sand­haus ge­hört.

Bis sie Post von ei­nem In­kas­so­un­ter­neh­men be­kam, das die Zah­lung ge­nau die­ses Kauf­prei­ses ein­for­der­te. Mei­ne Kun­din hat dar­auf ge­ant­wor­tet, wie es sich ge­hört, frist­ge­recht, höf­lich, in kla­ren Wor­ten. Als das In­kas­so­un­ter­neh­men ihr wei­te­re Nach­rich­ten ge­schickt hat, er­bat sie beim Ver­sand­haus ei­ne Be­stä­ti­gung dar­über, dass al­le For­de­run­gen be­gli­chen wa­ren. Sie er­hält das Schrift­stück und reicht es wei­ter an das In­kas­so­un­ter­neh­men. 

Zeit­sprung. Die Kun­din muss aus fa­mi­liä­ren Grün­den für ei­ni­ge Zeit nach Frank­reich zu­rück. Als sie nach der Som­mer­pau­se wie­der in Ber­lin ein­trifft, fin­det sie ei­nen Mahn­be­scheid und ei­nen Voll­stre­ckungs­be­scheid in ih­rer Post. Völ­lig auf­ge­löst steht sie al­so ei­nes Abends vor mei­ner Tür. Ich sor­tie­re mit ihr die Post, te­le­fo­nie­re am nächs­ten Werk­tag mit Ver­sand­haus und In­kas­so­fir­ma, set­ze ein Wi­der­spruchs­schrei­ben auf, sen­de die­ses per Ein­schrei­ben so­wie als Fax ans Ge­richt.

Ein­schub: Ein Fax ab­zu­schi­cken ist heut­zu­ta­ge ein ech­tes Pro­blem, es gibt kaum noch Fax­ge­rä­te, selbst die Post­fi­lia­len, die laut In­ter­net den Ser­vice noch an­zu­bie­ten schei­nen, ha­ben ihn ein­ge­stellt. Ich fand zwei Lö­sun­gen: Lu­xus­ho­tels und den per­fek­ten Co­py­shop. Ein­schub­en­de.

Kaum ist der Wi­der­spruch bei Ge­richt ein­ge­gan­gen und das In­kas­so­un­ter­neh­men dar­über in­for­miert, sen­det Letz­te­res ei­ne wei­te­re Mail mit Zah­lungs­an­wei­sung an mei­ne Kun­din und for­dert den of­fe­nen Be­trag ein, denn das Ver­sand­haus ha­be es nicht dar­über in­for­miert, dass der Be­trag nicht mehr of­fen sei.

Hal­lo?! Sind Sie noch da­bei? Das Gan­ze liest sich sehr kryp­tisch, lang­wei­lig, ener­viert, auf Deutsch: ge­nervt. Das bin ich auch. Gleich ge­he ich ein wei­te­res Mal zur Post, sen­de zwei Be­schwer­de­brie­fe an die bei­den In­sti­tu­tio­nen, denn te­le­fo­nisch ist er­neut kein Durch­kom­men und die "Warte­mu­si­ken" sind un­er­träg­lich schrä­pig. Das Wa­ren­haus be­kommt zum The­ma "Pro­to­koll bei feh­ler­haf­ter Be­ar­bei­tung von Re­tou­ren" von mir ei­ne Un­ter­neh­mens­be­ra­tung, da­zu die Rech­nung über vier Ar­beits­stun­den in der An­ge­le­gen­heit mei­ner Kun­din, es sind jetzt 3 Stun­den und 15 Mi­nu­ten auf­ge­lau­fen, da­von ha­be ich über ei­ne Stun­de lang ein Fax­ge­rät ge­sucht.

Ich kann nicht nur die Pa­nik mei­ner Kun­din gut nach­voll­zie­hen, son­dern mir auch manch' an­de­re Per­son vor­stel­len, die sich kei­ne Hil­fe holt und ent­nervt zahlt. Ich er­wä­ge kurz, Ross und Rei­ter zu nen­nen, las­se das dann aber sein. Doch ei­nen klei­nen Hin­weis als Kno­be­lei ge­be ich doch, und da­bei darf das Pferd mit mir durch­ge­hen! 

Das Ver­sand­haus hat ei­nen Na­men, der auf­grund sei­ner Be­son­der­heit in die Sprach- und Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft ein­ge­gan­gen ist. Ich se­he hier jetzt kei­ne Pa­ke­te, die von A nach B und manch­mal wie­der zu­rück­ge­schickt wer­den, son­dern Rech­nung, Mah­nung, Zah­lungs­er­in­ne­rung etc., hin und her, vor und zu­rück. Hier dreht sich et­was wie im Krei­se, tritt auf der Stel­le, bleibt da­bei lei­se, stets ein- und das­sel­be, in kla­rer Wei­se — die Ant­wort blieb kühl, wie ma­schi­nell ge­sandt, doch wer da­hin­ter­steht, bleibt un­be­nannt.

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Il­lus­tra­ti­on: pixlr.com

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