Die KI verändert das Berufsfeld. Übersetzer:innen sehen sich häufig vor die Herausforderung gestellt, nur noch von der KI vorübertragene Texte "korrigieren" zu müssen, heute vor einer Woche habe ich darüber geschrieben. Und jetzt sitze ich an ebendieser Drehbuchübersetzung!
So sieht mich die KI |
Hier die Kurzfassung: Jede Kultur prägt ihre Sprache, ihre Moden und ihre Begriffe, die nicht allein im Raum stehen, wie die Meister der KI anzunehmen scheinen, sondern ein kulturelles Hinterland haben. Dieses Hinterland ist von Sprachraum zu Sprachraum, von Region zu Region, von Generation zu Generation, ja sogar von Familie zu Familie möglicherweise anders. Wir Menschen machen uns kundig, erkennen auch das eigene Nichtwissen, recherchieren und finden Worte, bei denen das Hinterland mit hindurchscheint, zumindest für viele Menschen der aktuell lebenden Generationen.
Sie können sich nur schwer vorstellen, was ich meine? Denken Sie einfach kurz einmal an folgende Begriffe: Rote Grütze, Sachertorte, Apfelkuchen. Schauen Sie mal auf die Bilder, die jetzt vor Ihrem inneren Auge auftauchen. Denken Sie sich kurz in Situationen hinein, in denen Sie das gegessen haben.
Glauben Sie, dass es viele Menschen gibt, die hier bei allen drei Begriffen an das Gleiche denken?
Für mich wären das: Sommerferien in Sachsen, Beerenlese im Eins-zu-eins-Modus (ein Teil Mund, ein Teil Schale), die alte Puddingform, die bis heute "die Wild-Großmutter" heißt, weil eine "Oma Wild" in Florenz vor etlichen Generationen ein ähnlich rundes Gesicht hatte. (Hier habe ich etwas ähnliches im Online-Museum Rheinland-Pfalz gefunden: klick!) Oder: Wien, Pferdemist auf den Straßen, Hufgeklapper, Regen, die Wohnung einer alten Nenntante, die aus einer Zimmerflucht und Museumsmöbeln bestand. Oder: gedeckter Apfelkuchen mit Vanilleeis unter Bäumen, auf dem Land, mit einer Reisedelegation aus der Sahelzone im Auftrag des Auswärtigen Amtes, das war gefühlt erst "neulich".
Das ist jetzt mein ureigenes Hinterland. Malerei, Fernsehserien, Lyrik und Romane sorgen landesweit für das jeweilige Hinterland. Ein berühmtes Beispiel stammt vom französischen Schriftsteller Marcel Proust (1871 bis 1922).
Er hat die "Madeleine" verewigt, ein fluffiges, saftiges, bauchiges Löffelbiskuit, das vorzugsweise in Kräutertee zu tauchen ist, vermutlich Lindenblüte. Zum Assoziationsfeld gehören Teetasse, Dorfkirche mit gedrungenem Kirchlein, das einer Henne gleicht, unter deren Dach oder Flügeln sich die Häuser oder Küken eng aneinanderkuscheln.
Das war jetzt weit ausgeholt. Meistens geht es einfacher. Aber es sind genau diese Hinterländer von Wörtern, die uns "Humanübersetzer", wie eine Agentur neulich schrieb, in der Wortauswahl beeinflussen. Wir denken und arbeiten langsam, also nicht dieses eine Wort, hm, das ist zu neutral, ich benötige eines, das dem dieses und jenes anklingen lässt ... was natürlich jeweils vom Sinnzusammenhang des Textes abhängt.
Die KI "kann" Kontext nur bedingt, sie denkt meistens von Satzende zu Satzende, manchmal von Textende zu Textende (das ist zum Beispiel bei der Bearbeitung von "Prompts" durch ChatGPT der Fall). Schon Überschriften und Bildunterschriften liegen aufgrund der Programmierung von Online-Texten derzeit oft außerhalb des "Blickfelds". Und jüngere Publikationen zum gleichen Thema, die wir Menschen mit einem Klick im Netz finden, tauchen im KI-Algorithmus derzeit gar nicht auf.
Der Wandel des Übersetzungsmarktes ist also weniger eine Herausforderung für die eigene Arbeitsweise als vielmehr für unsere Direktkundinnen und -kunden. Damit fällt er allerdings auf uns zurück: Wir müssen ja, damit es zum Auftrag kommt, Dinge geraderücken. Dafür brauchen wir erst erstmal eine Gelegenheit, um Argumente auszutauschen. Wir brauchen die Chance, erklären zu dürfen, dass es eine großen Diskrepanz gibt zwischen vollmundigen PR-Versprechen und harter Wirklichkeit. Kurz: Wir müssen uns überlegen, wo wir noch diese "Nachhilfe" in Sachen Möglichkeiten und Grenzen der KI noch platzieren können.
Erklären, was an der Basis los ist, müssen auch viele Arbeitnehmer:innen, die sich von ihrer Chefetage aufgrund der Verheißungen der neuen Technik vor Aufgaben und Zeitvorgaben gestellt sehen, die nicht immer erfüllbar sind. Die Jobvermittlungsplattform "Upwork" hat gerade Studienergebnisse dazu veröffentlicht: "Mehr als drei von vier (77 %) geben an, dass KI-Tools ihre Produktivität verringert und ihre Arbeitsbelastung (...) erhöht haben." 47 Prozent der Befragten meinten, sie hätten keine Ahnung, wie sie die von ihren Arbeitgebern erwarteten Produktivitätssteigerungen erreichen sollten.
Madeleines mit Lavendel |
Das war jetzt weit ausgeholt. Meistens geht es einfacher. Aber es sind genau diese Hinterländer von Wörtern, die uns "Humanübersetzer", wie eine Agentur neulich schrieb, in der Wortauswahl beeinflussen. Wir denken und arbeiten langsam, also nicht dieses eine Wort, hm, das ist zu neutral, ich benötige eines, das dem dieses und jenes anklingen lässt ... was natürlich jeweils vom Sinnzusammenhang des Textes abhängt.
Die KI "kann" Kontext nur bedingt, sie denkt meistens von Satzende zu Satzende, manchmal von Textende zu Textende (das ist zum Beispiel bei der Bearbeitung von "Prompts" durch ChatGPT der Fall). Schon Überschriften und Bildunterschriften liegen aufgrund der Programmierung von Online-Texten derzeit oft außerhalb des "Blickfelds". Und jüngere Publikationen zum gleichen Thema, die wir Menschen mit einem Klick im Netz finden, tauchen im KI-Algorithmus derzeit gar nicht auf.
Der Wandel des Übersetzungsmarktes ist also weniger eine Herausforderung für die eigene Arbeitsweise als vielmehr für unsere Direktkundinnen und -kunden. Damit fällt er allerdings auf uns zurück: Wir müssen ja, damit es zum Auftrag kommt, Dinge geraderücken. Dafür brauchen wir erst erstmal eine Gelegenheit, um Argumente auszutauschen. Wir brauchen die Chance, erklären zu dürfen, dass es eine großen Diskrepanz gibt zwischen vollmundigen PR-Versprechen und harter Wirklichkeit. Kurz: Wir müssen uns überlegen, wo wir noch diese "Nachhilfe" in Sachen Möglichkeiten und Grenzen der KI noch platzieren können.
Erklären, was an der Basis los ist, müssen auch viele Arbeitnehmer:innen, die sich von ihrer Chefetage aufgrund der Verheißungen der neuen Technik vor Aufgaben und Zeitvorgaben gestellt sehen, die nicht immer erfüllbar sind. Die Jobvermittlungsplattform "Upwork" hat gerade Studienergebnisse dazu veröffentlicht: "Mehr als drei von vier (77 %) geben an, dass KI-Tools ihre Produktivität verringert und ihre Arbeitsbelastung (...) erhöht haben." 47 Prozent der Befragten meinten, sie hätten keine Ahnung, wie sie die von ihren Arbeitgebern erwarteten Produktivitätssteigerungen erreichen sollten.
So viel zu den Fehleinschätzungen der Chefebenen. In dem Beitrag ist übrigens von der "häufig geäußerten Erwartung des Managements" die Rede, dass die KI "eine magische Lösung für die organisatorische Katastrophe ist, die der Trend zu Massenentlassungen darstellt."
Hier der Link zur Publikation: klick! Im Umfragezeitraum 16.4.-5.5.2024 wurden 2.500 Arbeitnehmer:innen vor allem aus dem englischsprachigen Raum befragt, darunter auch 625 Freiberufler:innen.
Nächste Woche folgt hier am Mittwoch, dem Tag für längere Stücke, ein Versuch zum Thema Dolmetschen und KI.
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Illustrationen: Pixlr und "Madeleines au miel
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Illustrationen: Pixlr und "Madeleines au miel
de lavande", crayonmonkey, Wikicommons
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