Samstag, 20. Juli 2024

Elite ist kein Fruchtjoghurt

Bon­jour und herz­lich will­kom­men! Hier bloggt eine Sprach­ar­bei­te­rin. Fran­zö­sisch in Ber­lin, Deutsch in Frank­reich, so geht mit mei­ner Sprach­kom­bi mei­ne De­fi­ni­ti­on für Dol­met­scher los. Wir müs­sen uns im­mer wie­der mit gro­ßer Leich­tig­keit an die Um­ge­bung an­pas­sen, die wir ver­to­nen. Heu­te: Lieb-Link der Wo­che!

Hans Sachs,  Holzschnitt von Michael Ostendorfer (1545)
Der his­to­ri­sche Hans Sachs (Holz­schnitt von 1545)
Schon als Schü­le­rin ha­be ich un­ter­schied­li­che Mi­lieus stu­diert, al­ler­dings eher un­frei­wil­lig. Ein­ge­schult wur­de ich in ei­ner mit­tel­hes­si­schen Uni­stadt, be­such­te die Grund­schu­le in der Nach­bar­schaft mit ei­nem ge­walt­tä­ti­gen Ex-Na­zi als Leh­rer. Als Freun­des­grup­pe wech­sel­ten wir im ers­ten Schul­halb­jahr ge­schlos­sen in ei­ne Grund­schu­le am Stadt­rand. 

Hier, im Neu­bau­ge­biet, lei­te­te ein al­ter, hu­ma­nis­tisch ge­präg­ter Di­rek­tor die Schu­le. Er war in den letz­ten zwei Jah­ren un­ser Klas­sen­leh­rer, er hieß Hans Sachs, ich ver­eh­re ihn bis heu­te.


Er präg­te das Kli­ma in der Schu­le, in der ge­stal­te­ri­sche Früh­er­zie­hung eben­so an­ge­bo­ten wur­de wie Chor­ge­sang. Sol­che kul­tu­rel­len Leucht­tür­me braucht je­der Stadt­teil. Die Nach­bar­schu­le war ei­ne neue Ge­samt­schu­le mit jun­gen Leh­rern, wir wech­sel­ten spä­ter wie­der als Grup­pe, und al­les in al­lem ein­fach toll. Es gab ein Sprach­la­bor, ei­ne Schul­kü­che, Holz- und Me­tall­werk­stät­ten, ein Fo­rum, das für de­mo­kra­ti­sche Pro­zes­se ge­nutzt wur­de und ei­ne sehr gro­ße Sport­hal­le. An der Schu­le tra­fen sich Kin­der aus den un­ter­schied­lichs­ten Schich­ten.

Dann, nach ei­nem Um­zug aufs Land und nach Ba­den-Würt­tem­berg: An ei­nem Pro­vinz­gym­na­si­um traf ich auf al­te Leh­rer­in­nen und Leh­rer mit zum Teil merk­wür­di­gen Me­tho­den. Ei­ner von pre­dig­te uns stän­dig, wir sei­en die Eli­te. Den Be­griff kann­te ich da­mals nur als Mar­ke ei­nes Frucht­jo­gurts, der spä­ter zur Haus­mar­ke ei­nes Dis­coun­ters wur­de.

Heu­te: Ge­dan­ken zu ei­nem um­strit­te­nen Be­griff und der Link zu ei­nem Zei­tungs­ar­ti­kel, der mir aus dem Her­zen spricht. Es fol­gen die Kern­the­sen von "Hilfe, ich bin eli­tär" aus der Fe­der von Georg Se­eß­len, die ta­ges­zei­tung, 17.7.2024. 

Der Be­griff „Eli­te“ wird oft miss­ver­stan­den und miss­braucht. Kei­ne Ge­sell­schaft kann oh­ne Eli­ten aus­kom­men, aber es ist ho­he Zeit, die Eli­ten zu de­mo­kra­ti­sie­ren und gleich­zei­tig der De­mo­kra­tie eli­tä­re Zü­ge zu ver­lei­hen.

Ei­ne Eli­te be­steht aus Men­schen, die über­durch­schnitt­li­che Fä­hig­kei­ten oder Kennt­nis­se ha­ben. Es gibt ver­schie­de­ne Ar­ten von Eli­ten, dar­un­ter be­ruf­li­che, wis­sen­schaft­li­che, po­li­ti­sche und kul­tu­rel­le Eli­ten. Je­de Be­rufs- und Wis­sens­ge­mein­schaft hat ih­re ei­ge­nen Eli­ten, und der ge­gen­wär­ti­ge Fach­kräf­te­man­gel kann auch als ein Man­gel an Eli­ten ver­stan­den wer­den.

Eli­ten sol­len Wis­sen, Macht und Ei­gen­tum kon­trol­lie­ren, aber nicht zu selbst­re­fe­ren­ti­el­len, macht­be­ses­se­nen Sub­sys­te­men wer­den. Rech­te Be­we­gun­gen rich­ten sich nicht ge­gen Eli­ten per se, son­dern nur ge­gen de­mo­kra­ti­sche Eli­ten.

Eli­ten soll­ten mit ih­ren Pri­vi­le­gi­en und ih­rer Macht ver­ant­wor­tungs­voll um­ge­hen und ih­re Ar­beit der Ge­sell­schaft zu­gu­te kom­men las­sen. Die Ge­sell­schaft braucht Eli­ten, aber sie müs­sen de­mo­kra­tisch kon­trol­liert wer­den und ihr En­ga­ge­ment muss al­len zu­gu­te kom­men.

Ei­ne der ers­ten For­de­run­gen muss des­halb lau­ten: Die bes­te Bil­dung für al­le!  Wo­mit ich wie­der bei Hans Sachs wä­re, nicht bei dem his­to­ri­schen Mann, son­dern bei dem Schul­di­rek­tor, über den im Netz lei­der nichts zu fin­den war.

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Il­lus­tra­ti­on (Wi­ki­me­dia): Hans Sachs, 

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