Ob ich dem Nachwuchs empfehlen würde, Übersetzen und Dolmetschen zu studieren mit dem Ziel, für Medien und Film zu arbeiten? Darauf ein ganz klares Nein.
Dolmetschen beim Dreh (vom Nebenzimmer aus) |
Zumindest war das bisher so.
Vorrede: Vor einiger Zeit waren mir bereits im Arte-Programm Deutsche aufgefallen, die bei offensichtlich in Deutschland gemachten Filmaufnahmen Englisch gesprochen haben. Nun wurde mir ein Drehtag mit Dolmetschen abgesagt. Die Redakteurin habe es für logischer gehalten, dass der Protagonist aus Deutschland die französische Regisseurin in der Sprache des bisherigen Mailverkehrs anspricht. Paradox und neu: Der Protagonist eines Dokumentarfilms, der mit Team und Kamera durch sein Viertel läuft und alles zeigt, soll Englisch sprechen. Nur für die Interviewsequenzen sei noch Verdolmetschung nötig.
Solcher Sprachmischmasch mit doppeltem Fremdsprachgebrauch ist meistens hässlich und hölzern. Hinzu kommt, dass in beiden Versionen des Dokumentarfilms, der französischen und der deutschen, in der jeweiligen Sprachfassung über den Originalton drübergesprochen werden wird.
Das ist ein Novum für den beliebten deutsch-französischen Kultursender, bei dem bislang die Regel galt: Jede(r) spricht in der Muttersprache. Der Vorgang ist Ausdruck des Misstrauens gegenüber uns Dolmetscher nen. Unser Ziel und Stolz ist es, das Gesagte auf natürliche Weise zu vermitteln, einen maximalen Fluss zu erreichen, so dass der Austausch direkt und so natürlich wird, dass wir als „Stimme“ vergessen werden. Am Ende ist der Austausch tiefer und fühlt sich für die Beteiligten 'normal' an. Wir sind am besten, wenn niemand unsere Arbeit bemerkt.
Vielleicht hat die Redakteurin auch schlechte Erfahrungen mit Laien gemacht. Das kommt nicht von ungefähr. Die Sender haben Produktionsbudgets gekürzt. Heute jonglieren viele Produktionsfirmen mit 70 Prozent dessen, was vor zehn Jahren üblich war, und alles wird teurer. Diese Firmen bieten unseremeinen in der logischen Konsequenz 20 Prozent mehr als die 100 Dollar an, die zur Zeit des Mauerfalls üblich waren. Wenn wir am Ende besser bezahlt werden, dann ist das das Ergebnis mühsamer Verhandlungen.
Wer keine Profis bezahlen will, bekommt auch keine. Sehr oft wird auf Laien zurückgegriffen, die fünf Minuten vorzeigbar durchhalten. Dann erschrecken sie über das, was sie tun, die Hinwindungen werden zu einem Salat, in dem sie herumstochern. Oder die Menge des pro take Gesagten ist zu viel. Bei gefilmten Interviews lässt sich eben nicht Satz für Satz arbeiten.
Dann steht die Sprachbarriere unübersehbar im Raum. Sie wird auch im gedrehten Material sichtbar.
Ich bin nicht überrascht, ich bin schockiert. Die Redakteurin weiß nicht, wie wir Dolmetscher:innen arbeiten. Die Unwissenheit wird durch hausgemachte Probleme verschärft, das Budget! Daraus ergibt sich eine weitere "Erfahrung". In Summe sind bei genauem Hinsehen aber keine Fachkenntnisse, sondern laienhafte Meinung. Nur: Wer sagt es ihr?
Vor allem aber wurden Regeln gebrochen, die im Kulturaustausch lange selbstverständlich waren. Es ist ein Akt der Diplomatie und der Freiheit, Menschen ihre eigene Sprache sprechen zu lassen. Ich muss an Genscher (*) denken, den ich 2010 verdolmetschen durfte. Zitat: „Auf Englisch sage ich, was ich sagen kann, aber in meiner Muttersprache sage ich, was ich sagen will.“
Und wo wollen die Anstalten in ein paar Jahren den gut ausgebildeten, fachlich spezialisierten Nachwuchs hernehmen, wenn ihm niemand mehr die Chance gibt, seine Fähigkeiten am Set zu vertiefen und zu verfeinern?
______________________________
Foto: C. Weißgerber (Archiv)
*: Hans-Dietrich Genscher, dienstältester
deutscher Außenminister (1974 bis 1992)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen