Freitag, 26. Juli 2024

Mediendolmetschen (8)

Guten Tag oder gu­‍ten Abend! Sie le­‍sen in ei­‍nem Ar­‍beits­ta­ge­‍buch, das den The­men Spra­‍che, Dol­‍met­schen, Über­‍set­zen und Kul­‍tu­ren ge­‍wid­‍met ist. Als frei­‍be­‍ruf­li­‍che Sprach­‍mitt­le­‍rin ar­‍bei­te ich dort, wo ich ge­‍braucht wer­de, oft in der Dol­‍met­‍sch­ka­‍bi­ne, di­‍rekt bei Kun­den oder am Film­‍set.

Ob ich dem Nach­wuchs emp­feh­len wür­de, Über­set­zen und Dol­met­schen zu stu­die­ren mit dem Ziel, für Me­dien und Film zu ar­bei­ten? Da­rauf ein ganz kla­res Nein.

Dolmetscherin, Funkgerät, Mikro (Mobiltelefonie), 1. Rechner: Material, 2. Rechner: Ton vom Dreh, manchmal Kamerabild
Dolmetschen beim Dreh (vom Nebenzimmer aus)
Die­se Ar­beit geht nicht mit TV-Li­ve­shows los, dort lan­den nur sehr we­ni­ge, wer das ist, hängt letzt­lich vom Wohn­ort, von Zu­fäl­len und per­sön­li­chen Be­kannt­schaf­ten ab. Und na­tür­lich vom Ta­lent, der Flüs­sig­keit der Ar­beit, der Qua­li­tät der Stim­me. Zu­vor ist aber jahr­zehn­te­lan­ge Ba­sis­ar­beit nö­tig, auch auf nor­ma­len Kon­fe­ren­zen, die Gründe sind Geld und Trai­ning. Am häu­figs­ten ist im Be­reich Me­dien­dol­met­schen Ar­beit am Set ge­fragt.

Zu­min­dest war das bis­her so.

Vor­re­de: Vor ei­ni­ger Zeit wa­ren mir be­reits im Ar­te-Pro­gramm Deut­sche auf­ge­fal­len, die bei of­fen­sicht­lich in Deutsch­land ge­mach­ten Film­auf­nah­men Eng­lisch ge­spro­chen ha­ben. Nun wur­de mir ein Dreh­tag mit Dol­met­schen ab­ge­sagt. Die Re­dak­teurin ha­be es für lo­gi­scher ge­hal­ten, dass der Protagonist aus Deutsch­land die fran­zö­si­sche Re­gis­seu­rin in der Spra­che des bis­he­ri­gen Mail­ver­kehrs an­spricht. Pa­ra­dox und neu: Der Protagonist ei­nes Do­ku­men­tar­films, der mit Team und Ka­me­ra durch sein Vier­tel läuft und al­les zeigt, soll Eng­lisch spre­chen. Nur für die In­ter­view­se­quen­zen sei noch Ver­dol­met­schung nö­tig.

Sol­cher Sprach­misch­masch mit dop­pel­tem Fremd­sprach­ge­brauch ist meis­‍tens häss­lich und höl­zern. Hin­zu kommt, dass in bei­den Ver­sio­nen des Do­ku­men­tar­films, der fran­zö­si­schen und der deut­schen, in der je­wei­li­gen Sprach­fas­sung über den Ori­gi­nal­ton drü­ber­ge­spro­chen wer­den wird.

Das ist ein No­vum für den be­lieb­ten deutsch-fran­zö­si­schen Kul­tur­sen­der, bei dem bis­lang die Re­gel galt: Je­de(r) spricht in der Mut­ter­spra­che. Der Vor­gang ist Aus­druck des Miss­trau­ens ge­gen­über uns Dol­met­scher ­nen. Un­ser Ziel und Stolz ist es, das Ge­sag­te auf na­tür­li­che Wei­se zu ver­mit­teln, ei­nen ma­xi­ma­len Fluss zu er­rei­chen, so dass der Aus­tausch di­rekt und so na­tür­lich wird, dass wir als „Stim­me“ ver­ges­sen wer­den. Am En­de ist der Aus­tausch tie­fer und fühlt sich für die Be­tei­lig­ten 'nor­mal' an. Wir sind am bes­ten, wenn nie­mand un­se­re Ar­beit be­merkt.

Viel­leicht hat die Re­dak­teurin auch schlech­te Er­fah­run­gen mit Lai­en ge­macht. Das kommt nicht von un­ge­fähr. Die Sen­der ha­ben Pro­duk­ti­ons­bud­gets ge­kürzt. Heu­te jon­glie­ren vie­le Pro­duk­ti­ons­fir­men mit 70 Pro­zent des­sen, was vor zehn Jah­ren üb­lich war, und al­les wird teu­rer. Die­se Fir­men bie­ten un­se­rem­ei­nen in der lo­gi­schen Kon­se­quenz 20 Pro­zent mehr als die 100 Dol­lar an, die zur Zeit des Mau­er­falls üb­lich wa­ren. Wenn wir am En­de bes­ser be­zahlt wer­den, dann ist das das Er­geb­nis müh­sa­mer Ver­hand­lun­gen.

Wer kei­ne Pro­fis be­zah­len will, be­kommt auch kei­ne. Sehr oft wird auf Lai­en zu­rück­ge­grif­fen, die fünf Mi­nu­ten vor­zeig­bar durch­hal­ten. Dann er­schre­cken sie über das, was sie tun, die Hin­win­dun­gen wer­den zu ei­nem Sa­lat, in dem sie her­um­sto­chern. Oder die Men­ge des pro take Ge­sag­ten ist zu viel. Bei ge­film­ten In­ter­views lässt sich eben nicht Satz für Satz ar­bei­ten.

Dann steht die Sprach­bar­rie­re un­über­seh­bar im Raum. Sie wird auch im ge­dreh­ten Ma­te­ri­al sicht­bar.

Ich bin nicht über­rascht, ich bin scho­ckiert. Die Re­dak­teurin weiß nicht, wie wir Dol­met­scher:in­nen ar­bei­ten. Die Un­wis­sen­heit wird durch haus­ge­mach­te Pro­ble­me ver­schärft, das Bud­get! Da­raus er­gibt sich ei­ne wei­te­re "Er­fah­rung". In Sum­me sind bei ge­na­uem Hin­se­hen aber kei­ne Fach­kennt­nis­se, son­dern lai­en­haf­te Mei­nung. Nur: Wer sagt es ihr?

Vor al­lem aber wur­den Re­geln ge­bro­chen, die im Kul­tur­aus­tausch lan­ge selbst­ver­ständ­lich wa­ren. Es ist ein Akt der Di­plo­ma­tie und der Frei­heit, Men­schen ih­re ei­ge­ne Spra­che spre­chen zu las­sen. Ich muss an Genscher (*) den­ken, den ich 2010 ver­dol­met­schen durf­te. Zi­tat: „Auf Eng­lisch sa­ge ich, was ich sa­gen kann, aber in mei­ner Mut­ter­spra­che sa­ge ich, was ich sa­gen will.“

Und wo wol­len die An­stal­ten in ein paar Jah­ren den gut aus­ge­bil­de­ten, fach­lich spe­zia­li­sier­ten Nach­wuchs her­neh­men, wenn ihm nie­mand mehr die Chan­ce gibt, sei­ne Fä­hig­kei­ten am Set zu ver­tie­fen und zu ver­fei­nern?

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Foto: C. Weißgerber (Archiv)
*:
Hans-Diet­rich Genscher, dienst­äl­tes­ter
deut­scher Au­ßen­mi­nis­ter (1974 bis 1992)

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