Aus Zuhörerinnen werden Leserinnen |
Von den ganzen Hightech-Granden in der Bay Area (USA) ist bekannt, dass deren Kinder maximal einige Minuten pro Tag an das randürfen, was die Eltern entwickeln, ab Grundschulalter für den einen oder anderen Kurzfilm, sonst im Waldkindergarten mit Ästchen und Steinen spielen oder in der Waldorfschule ein analoges Leben führen.
Kurz: sehr strenge Begrenzung der Nutzung von Hightech inklusive Fernseher ist eine der goldenen Regeln. Die Nichtchen (und andere mir bekannte Gören) dürfen beim Inhalieren was sehen, and that's it. Der Ziehsohn hat in Grundschuljahren die Kindernachrichten verfolgt ... und Wissensbasiertes sehen dürfen, vorzugsweise in Begleitung einer großen Person, damit darüber gesprochen werden konnten.
Die zweite, historisch gesehen erste Goldene Regel: vorlesen, vorlesen, vorlesen! Kinderbücher, Gören ins Gespräch verwickeln, Sachen aufzeigen, wenn sie die Geschichten auswendig kennen: variieren, Witze machen, das Gegenteil dessen behaupten, was da drinsteht, bald auch Bücher "ohne viele Bilder" auswählen, darum geht's.
Im Grunde ist es egal, was vorgelesen wird, außer natürlich die gröbsten Gewalt- und Gemeinheiten, schon bei den Grimm'schen Märchen haben wir in der Familie seit Generationen 'zensiert', also radikal abgeschwächt. Als mein Vater über den Schriftsteller Wilhelm Hauff geforscht hat, las er meinen Geschwistern Hauffs Märchen vor (mit Zensurstellen und Zusammenfassungen).
Auch eine bei den Großen beliebte Sache (und totaaaal nervig für Kids), ich erinnere mich bestens (wollte schnell wissen, wie's weitergeht): Mit Fragen unterbrechen. "Weißt du, was ein Nickelchen ist?" Kind nickt (weiterlesen, ist sooo spannend!), großer Mensch fragt: "Kannst du mir das erklären?" Kind versucht sich in einer Antwort oder redet Blödsinn. Egal. Gemeinsam finden Groß und Klein eine Erklärung. Beim Nickelchen musste auch ich das Wörterbuch zu Rate ziehen für die Überprüfung, denn ... siehe unten. (In der Regel werden einfachere Dinge gefragt, die noch nicht oder gerade zum Weltwissen von Kindergarten- oder Schulkindern gehören.)
In Zweifelsfällen oder um die Kulturtechnik zu zeigen: gemeinsam mit den Kids nachschlagen. Wichtig ist diese Lektion: Niemand kann alles wissen und Unwissenheit ist keine Schande sondern normal, banal. "Ich muss nicht alles wissen, muss aber wissen, wo's steht", war der Satz unseres Vaters. Das ist der erste Schritt, später kommt die Quellenkritik.
Kersti im Arbeitszimmer, Carl Larsson (1909) |
Die aktuelle Version des Buchs dieses Titels, in Abkürzung heute nur noch "der Kluge", wird vollständig als kostenpflichtige App für Android angeboten. Studierende haben kostenlosen Zugriff auf die Webversion: klick.
Vorgelesen wurde bei uns bis in höheres Schulalter, wenn der Papa von der Arbeit kam und vor dem Schlafengehen. Heute wird den Fräuleins vorgelesen. Die Kleine braucht den Körperkontakt, sitzt auf dem Schoß, die Große legt sich immer früh in ihr Bett und schläft rasch ein.
Neulich sind wir auf dem Nachhauseweg an einem hell erleuchteten Wohnzimmerfenster vorbeigekommen, hinter dem ein sehr, sehr großes Bücherregal zu sehen war. Das kleine Fräulein, es war genau zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage alt, sagte mit Blick auf das Fenster: "Schau da, die vielen schönen Bücher!"
Deutsch für Profis
Nickelchen, Nickelein — anderes Wort für Kind (aus der Zeit der Brüder Grimm)
Nickeligkeit — Starrsinn, Egoismus oder das Ergebnis desselben (Wikipedia)
Nickerchen — kleines Schläfchen, Synonym: Siesta
... und nein, ich kann in keiner TV-Quizsendung zur Millionärin werden, mir fehlt viel Populärwissen wie Schlager, Sportfacts, Auto- und anderer Markenkrempel.
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Foto: Archiv Elias Lossow
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