Mittwoch, 27. März 2024

Der Kreuzweg

Bon­jour, hier bloggt ei­ne Lin­gu­istin. Ich ar­bei­te mit Deutsch (Mut­ter­spra­che), Franz­ö­sisch und Eng­lisch. In die Spra­che Shakes­pea­res über­setzt die Bü­ro­kol­le­gen, al­so ge­schrie­be­ne Tex­te, denn Über­set­zen ist Hand­werk, Dol­met­schen ist Mund­werk. Doch es gibt Über­schnei­dun­gen.

Red­ne­rin am Pult (KI-Bild "im Stil von Ma­tisse")
Eine Nicht-Mut­ter­spra­chler­in hält auf Deutsch ei­ne Re­de. Dann folgt, was auf Neu­deutsch eine "QNA-Ses­sion" heißt, ques­tions and ans­wers.

Sie be­schreibt eine kom­plexe La­ge als ech­ten Kreuz­weg. Nur noch we­nige Ta­ge tren­nen uns von Os­tern. Die be­rich­tende Dol­metsch­erin ist, was Re­li­gi­ons­din­ge an­geht, im All­ge­mei­nen nur "in der Schnell­blei­che" dar­über in­stru­iert, al­so rasch, in gro­ben Zü­gen, un­voll­stän­dig. Aber na­tür­lich ver­mag sie den Kreuz­weg als Begriff der Pas­sion Je­su ein­zu­ord­nen.

Auf Fran­zö­sisch ist der Be­griff für "Kreuz­weg" häu­fig auch in nicht­re­li­gi­ö­sen Kon­tex­ten zu hö­ren, das Wort le cal­vaire zu­min­dest wird oft im Sinne von "lan­ge Durst­strecke", "Lei­dens­weg", "ent­behr­ungs­rei­che Zeit" oder "schwe­re Prü­fung" ver­wen­det. Dann gibt es noch le che­min de croix, die wört­li­che Ent­spre­chung des deut­schen Worts 'Kreuz­weg', aber auch la cor­vée.

Fach­leu­te ken­nen le cal­vaire auch auf Deutsch, den "Kal­va­ri­en­berg", ein Wort, das auf Deutsch aus­schließ­lich im re­li­gi­ö­sen Kon­text vor­kommt.

Wenn ge­dol­metscht und über­setzt wer­den muss, ist es gut, dass wir Men­schen (an­ders als Ma­schi­nen) Vor­wis­sen ha­ben, Zu­sam­men­hän­ge er­ah­nen und be­sten­falls ein­schät­zen kön­nen, das Wis­sen um Mehr­fach­be­deu­tun­gen und auch um po­ten­zi­elle Fehler ha­ben und (beim Dol­metschen) im Zweifel­sfall ein Syno­nym wäh­len und dann, wenn die La­ge klar ist, den ein­deu­ti­gen Be­griff in ei­nen Neben­satz mit ein­flech­ten, also hin­ter­her­schie­ben.

Hier sind Dol­metschen und Über­setzen ähn­li­cher, als man­che an­neh­men. Bei der schrift­li­chen Über­tra­gung for­dert manch­mal die Lo­gik der Spra­che oder ei­ner Re­dewen­dung ei­ne klei­ne Ver­schie­bung; in der Sum­me aber müs­sen sich Vor­lage und Er­geb­nis ent­spre­chen, die Waag­scha­len aus­ge­gli­chen sein, und zwar bei bei­den Auf­ga­ben.

Die KI hätte ver­mut­lich schnell Nä­gel mit Köp­fen ge­macht. Ei­ne Per­son oh­ne den nö­ti­gen Kon­text in der Kar­wo­che mög­li­cher­wei­se auch. Zum Glück konn­te ich in der Vor­be­rei­tung einige Auf­sätze der Vor­tra­gen­den le­sen, kann­te al­so das ge­dank­li­che und ar­gu­men­ta­ti­ve Hin­ter­land un­se­rer Re­fe­ren­tin — was mir half, die Klip­pe ele­gant zu um­schif­fen.

Ich blieb so et­was län­ger im Va­gen bei mei­ner Ver­dol­metschung. Lei­der ha­be ich kein To­nauf­nah­me­ge­rät da­beige­habt (was auch schwi­erig ist, denn zwei Ton­spu­ren pa­ral­lel zeich­net wohl kein Con­su­mer­ge­rät auf), da­her blieb un­do­kumen­tiert, wie lan­ge ge­nau. Man­che Aus­gangs­begrif­fe ha­ben ei­ne ge­wis­se Un­schar­fe, die das Er­geb­nis ih­rer Viel­deu­tig­keit ist ... oder auch nicht, dann rührt das viel­leicht so­gar von se­man­ti­schen Fel­dern her, die in Aus­gangs- und Ziel­spra­che nicht im­mer die glei­chen Be­rei­che ab­decken. Und nein, das War­ten war kein cal­vaire/Lei­dens­weg.

Da schil­ler­te et­was in der Re­de mit, was even­tu­ell Er­geb­nis ei­nes eben­so ge­kon­n­ten wie kunst­vol­len Ge­brauchs der deut­schen Spra­che war oder aber ein Feh­ler. Wie oben er­wähnt, spricht die Red­ne­rin Deutsch nicht als Mut­ter­spra­che. Mit der Zeit wurde mir klar, dass hier "Weg­ga­be­lung" ge­meint war und nicht "Kreuz­weg". Sprach­lich ist das eine Her­aus­for­de­rung, denn an ei­ner Weg­ga­be­lung kreu­zen sich die We­ge, hier ha­ben wir ja fast das Wort "Kreuz­weg", und manch­mal ent­schei­den sich so wich­tige Din­ge für den wei­te­ren Le­bens­weg, wenn wir falsch ab­bie­gen.

Spra­che lebt von Nu­an­cen, Hin­ter­grund­wis­sen und kul­tu­rel­lem Kon­text, au­ßer­dem von Ge­füh­len, Kom­mu­ni­ka­tions­stra­te­gien und Zu­ge­hö­rig­kei­ten. Das al­les ver­mag die kal­te KI nicht, um das zu über­tra­gen braucht es Men­schen, die den­ken kön­nen.

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Illustration:
Dall:e

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