Freitag, 31. Januar 2020

Klickworker

Bonjour, welcome, guten Tag! Hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin. Was wir arbeiten, wie das geschieht und wie wir anzusprechen sind, ist für Au­ßen­ste­hen­de oft ein Buch mit sie­ben Sie­geln. In meinem Blog gebe ich kurze Ein­- und Drauf­blicke. 

So richtig geht die Saison erst im April oder Mai los. Wir erleben derzeit einen kleinen Saisonstart, und so hatte ich nach meinem Grippewochen denn auch die ersten beiden öffentlichen Einsätze.

Laptops, Mikros und Kopfhörer auf eienm Tisch vor einer Glasscheibe
Gleich geht's los
Am Don­ners­tag­abend ging es um "Klick­worker" und damit um die zuneh­men­de Tendenz in der Ar­beits­welt, Aufga­ben in immer klei­ne­re Teile zu zer­tei­len, um sie auf immer mehr Men­schen zu über­tra­gen, denen sich die Firmen immer weniger verpflichtet fühlen. Diese Klickworker erledigen sogenannte "Micro-Jobs", Kleinstaufträge, und erhalten dafür "kleines Geld".

Die Vergü­tun­g dieser prekären Arbeit rei­cht weder zum Leben noch zum Ster­ben. Manche Berufe laufen Gefahr, in die Hände derartiger "Ar­beit­ge­ber" zu fallen, die eigentlich "Ar­beit­weg­neh­mer" sind: Fahr­rad­ku­rierin, Rei­ni­gungs­kraft, Nachhil­fe­leh­rer und Lektorin, um nur einige Bei­spie­le zu geben.

Soziologen sprechen von der "Uberisierung (*) der Wirtschaft", sie beschreiben ei­ne regelrechte "Plattform­ökonomie", bei der sich die Geldströme zu den im Netz prä­sen­ten An­bie­tern bewegen, die ihrerseits dann jene, die die Arbeit machen, mit Cent­beträgen abspeisen. Hier entsteht ein neues Proletariat, das Cybertariat.

création de valeur — Wertschöpfung | cybertariat — Cybertariat | cybertravail — e-work | dare-dare — schnurstracks | dégradation des conditions de travail — Verschlechterung der Arbeitsbedingungen | détenteurs des algorithmes — Eigentümer der Algorithmen | distribution très inégalitaire des revenus — höchst ungleiche Verteilung des Einkommens | éboueur du net — Müllwerker des Internet | économie collaborative, l’économie du partage ou l’économie circulaire — kollaborative Wirtschaft [+++], die Wirtschaft des Teilens [+++] oder die Kreislaufwirtschaft | emploi formel —offizielle Beschäftigung | enceintes connectées — angeschlossene Lautsprecher (ans Internet) || enquêtes empiriques approfondies — vertiefte empirische Untersuchungen | entériner —  befürworten
Ransprung an den Monitor (in ein zweites Fenster laden)
Die Fran­zo­sen haben sogar ei­nen Ober­be­griff für die Vor­gänge geprägt, la tâ­che­ron­ni­sa­tion du monde du tra­vail, was wir mit "die Ver­ta­ge­löh­ne­rung der Arbeitswelt" wie­der­ge­ben könnten. Wir su­chen noch ei­nen Begriff, der ein­gän­gi­ger ist. Auch in der Lexik rechts sind einige Be­grif­fe nur Platz­hal­ter (mit +++ be­zeich­nen wir, was vor­läu­fig ist).

Dabei beobachten wir immer wieder mit großem Interesse, wie Begriffe entstehen, und damit Ent­wick­lun­gen durch die Möglichkeit, sie zu benennen, überhaupt erst an­greif­bar wer­den. In Frankreich gibt es auch einen zusammenfassenden Begriff für die großen Internet­firmen, die meistens in den USA beheimatet sind, und die sich durch die Kom­bi­nation bestehender Steuer­tricks groß­teils bis gänz­lich um die Entrichtung von Steuern drücken. Auf Französisch, diese Sprache liebt Ab­kür­zun­gen, werden sie les GAFAM genannt, manchmal auch nur les GAFA, die Firmen à la Google-Amazon-Facebook-Apple-Microsoft. Auf deutschen Konferenzen haben wir "Big Five der IT" gehört.

Wir Übersetzer- und Dolmetscher/innen kennen übrigens die Be­dro­hung durch mo­dernes Tagelöh­nerwesen auch. Letzten Don­ners­tag habe ich wie in einem schlech­ten Film auf dem Weg in die Dolmet­scher­kabine nicht nur die Fachtermini me­mo­riert, son­dern gleich ver­wendet. Es geht um einen ziemlich krassen Fall von Platt­form­öko­no­mie, wo Übersetzern im Rahmen von Film­her­stellung verglichen mit dem, was Sender direkt zahlen, an die 96 % des Honorars vom Flaschenhals "Agen­tur" gestoh­len werden.

Ich kann das nur mit diesem eindeutigen Begriff des Diebstahls be­le­gen; dem­je­ni­gen, der die Arbeit macht, nur noch Krüm­el vom Brot an­zu­bieten, ist tatsächlich nichts anderes, hier liegt kein Fall von kas­ka­dier­ter Un­ter­ver­ga­be vor. Der An­ge­le­gen­heit werde ich weiter nach­gehen. Da ich an einem früheren Be­rufs­le­ben Jour­na­lis­tin war, schreibe ich ein Film­ex­po­sé dazu. Und habe jetzt auch den Vergleich: vier Prozent sind fast noch gut, verglichen mit den 0,5 Prozent, die eine Näherin in Bangladesh für die Arbeit bekommt. Achtung, Ironie! (Wir akade­mi­schen Klick­wor­ker mit ei­ge­ner Tech­nik ...)

Und der etwas alter­tümliche Begriff vom Tage­löhner be­kommt hier sein Pen­dant: Sol­che Fir­men, die ei­nen nicht un­er­heb­li­chen An­teil ihrer so ent­stan­de­nen Ge­win­ne in aggres­si­ves Mar­ke­ting und Wer­bung stecken, um z.B. bei den GA­FAM gut da­zu­ste­hen, sind di­gi­ta­le We­ge­la­ge­rer. (Ich weiß, das sind jetzt schon Kampf­be­grif­fe.)

Der zweite Dolmetscheinsatz war nicht weniger brisant, es ging um die Kli­ma­ka­tas­tro­phe und wie am besten damit um­zu­gehen ist.

Licht, Technik, Wasserflasche und Gläser, Dolmetscherin
Konzentrierte Vorbereitung
Zu einzelnen Teilen dieser Ver­an­stal­tung plane ich in der nächsten Zeit noch etwas zu schrei­ben. Ich denke noch nach. Wir saßen bei dem Ein­satz nicht in einer Dol­met­scher­ka­bine, sondern am Ran­de der Bühne, wo wir prompt vor Fotoobjektive geraten sind.

Hier sitze ich hoch­kon­zen­triert (noch blass und mit Augenringen von der Grippe) und stu­diere die letzten Stich­punkte von Redebeiträgen.

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Foto 30.1.:
C.E.
Foto 31.1.: WRB 2020-01
(*) nach dem Fahrdienstanbieter "Uber"

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