Bonjour, guten Tag! Was uns Spracharbeiter so umtreibt, ist
seit mehr als neun Jahren Gegenstand dieses Blogs. Ich bin
Dolmetscherin und Übersetzerin, allerdings nur in Ausnahmefällen von amtlichen
Dokumenten!, und arbeite mit den Sprachen Französisch und Englisch.
Heute schauen wir nach Paris.
Wir wissen nicht, was Herr C. heute Morgen gefrühstückt hat. Wir wissen nur, dass in Frankreich der Brotpreis wiederholt der Funken war, der die Lunte entfacht hat. Daher war er auch bis vor einigen Jahrzehnten staatlich festgelegt.
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Preis von 2011 (Blois) |
Jean-François Copé sitzt am Montagmorgen im schicken Anzug im Studio des Radioprogramms
Europe 1 und wird nach dem Preis eines
Pain au chocolat gefragt, das sind diese Dinger, die auf Deutsch oft fälschlicherweise "Schokocroissant" genannt werden, obwohl sie nichts von einem
Croissant (Halbmond) haben (siehe:
Die Geschichte des Croissants).
Copé zählt derzeit zu den Bewerbern um die Position des französischen Präsidentschaftskandidaten.
Die erfrischend ehrliche Antwort des Konservativen war:
Je ne sais pas, ich weiß es nicht. Und dann macht er einen riesigen Fehler, als der Mann aus gutem Hause,
50 something, mit der langsam hochwachsenden Stirn weiterspricht:
Aux alentours de 10 ou 15 centimes, ca. zehn bis 15 Centimes.
Vermutlich sollte ihm mal jemand zuflüstern, dass wir heute den Euro in der Tasche haben, der sich in kleinteiliger Form Cent nennt. OK, geschenkt, Nostalgiker und alte Menschen ab 39, also so Leute wie ich und mein großer Bruder, bleiben gerne bei
Centimes und sagen dann eben
Centimes d'Euro, was auch als Euro-Hundertstel gelesen werden kann. (In meinen Rechnungen schreibe ich das so.)
Der Abgeordnete Copé, der auch Bürgermeister von
Meaux (Seine-et-Marne) ist, ich habe dort vor längerer Zeit mal für Arte in den Vorstadtsiedlungen als Second-Unit-Regisseurin gedreht, meinte auf den Hinweis, dass derlei einen Euro bis 1,20 oder 1,30 kostet:
Je ne vais pas en acheter souvent, c’est un peu calorique. Ich kaufe derlei nicht oft, ist ziemlich kalorienhaltig.
Frankreich hat jetzt einen neuen Sport. Preisfragen werden getwittert, die aussehen wie Schulaufgaben. Frage an Herrn C.: "Wie hoch ist der Mindestlohn in Frankreich?" 1000 Euro, "richtige Antwort!" "Was kostet die U-Bahn-Fahrt in Paris?" 1,80 Euro (durchschnittlich), dazu das Lob: "Sehr gut herausgefunden".
Andere fragen: "Was kostet zehn oder 15 Cent?" Das wird dann fotografiert und geht als Nachhilfe an Politiker, die Franzosen können so großzügig sein. Ein Bonbon, ja. Ein Päckchen Lakritz, nein. Eine Schraube ja, eine Zigarette nein, dafür ein Päckchen Streichhölzer, um diese anzuzünden. Eine 10-Cent-Briefmarke, die Postkarte liegt allerdings bei einem Euro aufwärts, und um die Karte in den Postkasten zu tun, fehlen auch noch einige
Centimes. Andere fotografieren ihr Frühstück und schreiben den Preis daneben.
Copé war drei Jahre lang beigeordneter Minister für den Haushalt
(ministre délégué au budget).
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Ich gebe zu, stark auf meine Figur zu achten. Um ehrlich zu sein, esse ich seit langem keine "Chocolatines" mehr. |
Außerdem ist er bekannt für dubiose Parteienfinanzierungssachen, wegen denen er mal zurückgetreten ist. Nein, Marie-Antoinette hat nicht gesagt: "Wenn das Volk kein Brot hat, so soll es
Pain au chocolat zu zehn
Centimes essen."
Und Copé hat auch nicht gesagt: "Wenn die Menschen sich kein Obst leisten können, sollen sie halt Kuchen essen."
Im Südwesten Frankreichs heißen die Dinger übrigens
Chocolatine. Klingt gleich viel kleiner. Und der Mann wird recht haben. In irgendeinem
Hypermarché findet sich sicher ein Beutel mit vielen, kleinen industriell gefertigten
Chocolatinechen an, voller Geschmacksverstärker, Palmöl und garantiert nicht mit cholesterintriefender Butter gefertigt, die einzeln 15 Cent kosten. Aber gelten die in einem Land, das so viel Wert aufs Essen legt?
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Foto: C.E. / Twitter