Samstag, 19. November 2016

5. Arbeitsplatz der Woche: Irgendwo nirgendwo

Kleine Wo­chen­über­sicht, wobei ich vor lau­ter Ar­bei­ten gar nicht die Ar­beits­or­te in der Rei­­hen­­fol­ge ihres An­steu­erns zeigen kann, da kommt noch was im De­zem­ber. Hier schreibt und denkt eine Übersetzerin und Dolmetscherin für die französische Sprache.

Passend zu den Retro-Gedanken ...
Eine wunderbare englische Orts­be­schrei­bung lautet In the middle of nowhere, inmitten von nirgendwo, wobei mir die Mitte hier auch schon zu konkret vor­kommt, siehe Titel.

Einstmals hatten die Menschen die Ei­sen­bahn erfunden, sie lief gut und um­welt­schäd­lich. Als sie dann vom Koh­le­ver­feu­ern abgekommen sind, wurde sie leiser, schneller und weniger giftig. Auf der Höhe der Diskussion um die Einsparung kli­ma­schäd­li­cher Emissionen hat die Bahn die Nachtzüge abgeschafft, mein Reisemittel der Wahl.
Und das nicht etwa mangels Erfolg, son­dern wegen zu guten Zuspruchs.

Früher, also bis vor zwei Jahren: So gegen halb acht Uhr abends Abfahrt ab Berlin Hauptbahnhof, Ankunft im Herzen von Paris etwas mehr als zwölf Stunden später zur besten Frühstückszeit in ausgeschlafenem Zustand, der Abend hat einem Buch und/oder einem Film gehört. Dann war ein Tag Ak­kli­ma­ti­sie­rung, Freunde sehen, Museen besichtigen, Ausruhen und Lernen angesagt. Oder ich hätte meinen Coach treffen können, der in Paris lebt. Und abends mit Freun­den kochen und bei ihnen übernachten.

Heute: Der Coach ist oft in Berlin, also 9.30 bis 11.00 Uhr Coaching, eine Stunde zum Flughafen, eine Stunde Check-In und Warten, 100 Minuten Flug, dann Warten im Flugzeug, Warten am Gepäckband, Warten auf den RER-Vorortzug, Umsteigen in die Métro, 17.00 Uhr alle Viere von sich strecken im echten Hotelzimmer, denn als Hotelier will ich meine Freunde nicht missbrauchen. Zur Stunde, in der die Kellner essen, das Foto ist ein Suchbild, ins Restaurant, vor dem Essen noch einige Vor­la­gen studieren, ab 19.30 Uhr im Hotelzimmer lernen für den nächsten Tag.

Ich hätte heute auch in Hinterposemuckl oder Trifouilly-les-Oies ankommen kön­nen, in meinen beiden Hauptländern gibt es für dieses Nirgendwo echte Orts­na­men, sehen werde ich |außer morgen bei einem einstündigen Spaziergang vor Ar­beits­be­ginn| (gestrichen, es gießt aus Kübeln) nichts von Paris, dann folgt die nächste Konferenz.

Etwa 13 Stunden mit der Bahn, gut unterhalten oder lächelnd im Schlaf oder mit dem einfachen Gefühl, die Zeit verstreichen zu lassen und morgens frisch für den Tag zu sein ... versus sechs Stunden lang irgendwo nirgendwo mit ständigen Un­ter­bre­chun­gen, im Stehen, beim "Anschlangen" oder Runterfahren der Technik zu ver­brin­gen — "Computer müssen bei Start und bei Landung ausgeschaltet sein", mit Gedrängel, schreienden Kindern und ständigen Durchsagen, um am Abend richtig müde zu sein — Leute, Euer blöder Fortschritt bringt ganz viel Verlust von Le­bens­qua­li­tät mit sich!

Und früher, ja, ganz früher, hätte dieser Nachtzug wohl auch noch bis ein Uhr mor­gens einen Speisewagen "mitgeführt", wie das auf Bahnerdeutsch hieß. Das war erst ein Luxus!

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Foto: C.E., Restaurant Le Chantefable,
20. Arrondissement

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