Mittwoch, 24. April 2013

Kleines Loblied auf das Buch

Will­kom­men beim ersten Weblog Deutschlands, der in der Dolmetscherkabine entsteht. Hier oder am Übersetzerschreibtisch denke ich öffentlich über die Grundlagen unseres Berufs nach, stets unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse.

Wow! Schon wieder so ein Jubiläumstag, der fast spurlos an mir vorübergegangen ist: Der gestern begangene Welttag des Buches. Ich habe es vermutlich deshalb nicht bemerkt, weil ich jedes Jahr 365 Weltbuchtage feiere.

Buchrücken alter Wörterbücher aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert
Bis heute je nach Textform in Gebrauch
Allein schon der Klang des Wortes "Buch"! Es geht los mit sinnlich geschürzten Lippen, die ein weiches "B" erzeugen, dann kommt ein tiefes, das Zwerchfell massierendes "U", gefolgt von einem gutturalen "CH", bevor das Wort in der Kehle verschwindet. Und der Nachhall erst! Wie der Abgang eines im Fass gelagerten, guten Rotweins! Hhhmm, lecker!

In meinem Kerngehäuse leben ca. 5000 Bücher und ich mit ihnen. Viele sind trau­rig, weil ich sie nicht täglich, ja nicht mal wöchentlich zur Hand nehme. Andere wandern von Zimmer zu Zimmer, selbst in den Nebengelassen finden sich welche an. Das schönste aber an der gemeinsamen Behausung ist der 16 Meter lange Flur, der bald zur Hälfte eine Regalwand ist.

Bücher haben immense Vorteile. Niemand kann sie hacken oder nachträglich ver­ändern, sie können nicht ab­stürzen, und wenn ich die mobile Technik wechsele, sind die Worte weiter unverändert entzifferbar. Bücher sind immer greifbar, er­zäh­len Geschichten, ermöglichen einem das Reisen ohne CO2-Verbrauch und erlauben spätere Verständigung mit anderen Wissenden. Wir heavy reader sind gar nicht so viele, und die beste Art, sich über Lieblingsbücher zu verständigen ist, Exemplare davon an liebe Menschen zu verschicken. Gerade kam erst wieder eins bei mir an, danke, Holger!

Manche Editionen machen besonders viel Freude. Der Buchblock aus feinem Papier ist manchmal besonders schön gebunden, den Ledereinband macht eine Gold­prä­gung perfekt, wenn nicht Marmorpapier das Deck- und Rückenblatt ziert und Leder die Kanten vor Abstoßungen schützt. Ach ja, und was sehr alte Bücher dieser Art angeht, da liebe ich besonders die Anmerkungen früherer Leser. Ich kann so fast in etwas wie einen Dialog mit Unbekannten eintreten, wenn ich meine Blei­stift­kom­mentare zu alten Bleistiftnotizen hinzuschreibe. Es sind bekannte Unbekannte, deren Reaktionen ich in vielen französisch- und englischsprachigen Büchern ver­fol­gen kann, denn ich habe die Bände von meinen Vorfahren geerbt.

Ihre Grenzen haben Bücher allerdings da erreicht, wo Wasser, Sonne und Sand droht, die begrenzte Haltbarkeit von Ferienschmökern ist meistens kein ästhe­tisches Erlebnis, auch nicht die traurigen Wiederbelebungsversuche, die zum Beispiel einem unfreiwillig in die Badewanne eingetauchter Schmöker zuteil werden. 


Vokabelnotiz: Heavy reader — Vielleser (Marktforschungsbegriff. Irgendwo las ich mal, wer mehr als 30 Bücher im Jahr liest, zähle schon zu dieser Gruppe.)
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Foto: C.E. (Archiv)

2 Kommentare:

Heiner hat gesagt…



Wie sind die Bücherbenutzer einzuordnen, die nicht nicht das ganze Buch lesen, sondern nur einen Aufsatz, und auch oft den nicht mal ganz? Leser, die nur in einer Spezialfrage belehrt werden wollen?

Sie blättern ein bißchen rum und sind sehr schnell fertig mit dem Buch, und dann haben sie schon das nächste am Wickel. Bücherbenutzer schreiben meistens selber Texte, aber wiederum keine ganzen Bücher, sondern nur Aufsätze. Die werden dann von anderen Bücherbenutzern benutzt. Es kommt aber vor, daß ein Bücherbenutzer auch noch den nächsten Aufsatz liest und dann noch einen usw.

"Das hätte ich gar nicht gedacht" sagen die dann, "daß es so einen Spaß macht, das ganze Buch zu lesen!"

Dann werden die Bücherbenutzer richtige heavy reader.
DH

caro_berlin hat gesagt…

Das sind dann wohl Bibliotheksbenutzer ;-)
Dazu folgt nächste Woche ein Schmunzeleintrag.

Bonne soirée,
C