Willkommen auf den Seiten einer bloggenden Konferenzdolmetscherin. Hier schreibe ich, was diesen Sprachberuf ausmacht ... und was er mit uns anstellt.
Okay, ich geb's zu: Wer solche Überschriften schreibt, arbeitet hart an der Kante. Die Vielfalt der Aufträge mag ich, eine gute Auftragslage auch, aber derzeit erinnere ich mich kaum noch an meine Hobbies.
Telefonat mit einer Beinahe-Kollegin, die im Studium früh ihr Kind bekommen hat.
Sie arbeitet heute festangestellt in der Verwaltung. Als ich ihr
meinen Ritt durch die Themen andeute, seufzt sie tief und sagt: "Und bei
mir ist jeden Tag das gleiche Programm angesagt." Ja, das kann ich
verstehen, durch zwei Rahmenvertragskunden habe auch ich repetitive
Momente, Déjà-vus und Routinen, die vor allem Zeit kosten.
Gerade kombiniere ich kraftraubende Stressroutine mit anspruchsvollen,
vorbereitungsintensiven Dolmetscheinsätzen. Freizeit? Fehlanzeige.
Aktuelles Kinoprogramm? Nicht im Blick. Die zu lesenden Bücher stapeln sich. Mit Freunden telefoniere ich gerade nur.
Dabei hat der Tag doch 24
Stunden und die Nacht dazu ...
Ich muss mich kritisch selbst befragen: Habe ich zu viele Leider-leider-Kunden
mit den berühmt niedrigen Sätzen "im Portfolio", wie das auf Neudeutsch
heißt? Die machen immer dann Sinn und Spaß, wenn ich dazu beitragen
darf, dass etwas bewegt, weitergegeben, gestaltet werden kann. Ist das
nicht der Fall, bekomme ich meine Zweifel — und klinke mich über kurz
oder lang aus.
Schluss mit dem Lamento-Anflug, weiter mit Parlando. Ab der 3.
Aprilwoche habe ich noch einige Termine frei, am besten für anspruchs-
und sinnvolle und gerne zugleich auch gut dotierte Jobs. Mitte Juni
setzt es Schulferien, ich freue mich schon.
Bis dahin beruhigt mich, dass ich auch im Halbschlaf sicher dolmetschen
kann. Automatismen sind in unserem Beruf wichtig. Diese Wochen lege ich nochmal
eine neue Turbostufe ein und bin erleichtert, denn auf die Birne ist
Verlass. Das Gefühl gibt Sicherheit. Und ich sehe, wie alles mit allem
zusammenhängt.
Außerdem: Wer hat schon wie wir Dolmetscher die Möglichkeit, ständig
Neues hinzuzulernen, mit den spannendsten Menschen ins Gespräch zu
kommen und für unseren Wissensdurst an so ziemlich allem, was die Welt
bewegt, bezahlt zu werden? Und wenn es die Liegebindung von Büchern,
verschlungene Wege bei klandestinen Waffenexporten oder die
Infrarotsortierungsmaschinen verschiedener Plastikarten sind.
Nachts schlafe ich tief und fest, morgens geht's frisch weiter. Das Wort "Matschbii-e-ne" ist bitte mit Ruhrpottakzent zu lesen.
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Fotos: C.E. & Team (Rechte geschützt)
Vokabelnotiz für fremdsprachige Leser:
Die Birne (ugs) — der Kopf
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