Brief nach kleiner Korrektur |
Nur eins saß stumm vor der Tastatur, ein kleiner, schmaler, blonder Junge. Er hat “Liebe Mama” geschrieben und das war’s dann. Die anderen Kinder waren schon beim zweiten Satz.
Er schaut mich mit großen Augen an und fragt: “Was soll ich jetzt schreiben?” — “Was du deiner Mama sagen willst”, sage ich. Er bleibt nachdenklich sitzen. Ich werde an einen anderen Tisch gerufen. Kurz darauf komme ich wieder an seinem Platz vorbei. Fragender Blick. Ich schlage vorsichtig vor: "Du kannst ja schreiben 'Danke, dass du morgens da bist und mich in die Schule bringst'”. Er darauf: “Das macht mein Papa.” Ich darauf: “... 'oder dass du für mich kochst'” ... Er darauf: “Das macht mein Papa” ... Es folgen zwei weitere Schleifen dieser Art, ich werde immer vorsichtiger. Ich: “Was macht deine Mutter denn so?” Er: “Sie ist immer weg”.
Der Junge schaut rüber, was sein Nachbar aufschreibt: "alalipste mama ich hap dich gants dolelib."
Vor dem Unterricht hatte ich den fragenden Jungen mit anderen spielen sehen, fantasievoll und voller Lebensfreude. Da sage ich: “Du warst ja mal in Mamas Bauch, und du kannst auch sagen: Danke, dass ich auf der Welt bin.” Daraufhin schreibt er: “Liebe Mama, danke, dass du mich geboren hast.” (Seine exakte “Schreibweise” weiß ich nicht mehr, bei den Kleinsten zählt das Erfolgserlebnis, etwas notiert zu haben, aber es war überraschend gut lesbar.)
Ich bekam eine ziemliche Gänsehaut. Die andere mögliche Antwort fiel mir wie oft erst zu spät ein: Es hätte auch ein Brief an den Vater werden können. Auch er scheint an seine Grenzen zu stoßen, da wäre ein Briefchen vielleicht gut gewesen. Die Schreibstunde war in der ersten Klasse, das Kind hatte nicht nur sehr, sehr schmutzige Hände, sondern auch ... wobei ... gegen einen ungekämmten Schopf darf ich wegen des weltbesten Patensohns nichts sagen, ich nenne ihn morgens manchmal scherzhaft “Samson” (könnt ja eins ausfallen).
Bei den Mädchen: Kopfmassageninflation |
Fotos: C.E. (Namen geändert)
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