Willkommen auf den Seiten eines digitalen Logbuchs aus der Dolmetscherkabine. Was ich beruflich anbiete, Dolmetschen und Übersetzen, beschäftigt mich täglich, auch an den auftragsfreien Tagen. Da ich mich neben Politik, Wirtschaft und Soziales auf Kultur und Medien spezialisiert habe, bin ich nebenberuflich auch in diesem Feld tätig. Am meisten beschäftigt mich aber die Spracharbeit — und dass ich manchmal unseren Auftraggebern möglichst vorsichtig die Grundlagen unseres Geschäfts erklären muss. Manöverkritik.
Vor vielen, vielen Jahren durfte ich mal für eine große Berliner Kultureinrichtung einen Filmstar dolmetschen. Oder besser: Es war geplant, dass ich ihn dolmetschen würde. Ich bereitete mich wie immer vor, paukte Filmtitel und Erscheinungsjahre, wobei die beste Vorbereitung darin bestanden hatte, dass ich den Betreffenden gut kannte.
Ich hatte das Glück gehabt, diesen Herrn schon wiederholt verdolmetschen zu dürfen, zum Beispiel für Deutschlandradio Kultur. Und so hatte mich eines Tages sogar Ulrich Gregor von den Freunden der Deutschen Kinemathek Günter Rohrbach (damals Bavaria) mit den Worten vorgestellt: "Das ist Frau E., die Dolmetscherin von Claude Lanzmann". Gut, jetzt ist der Name des direkten Kunden "raus", nicht aber der des Auftraggebers. Es handelt sich um eine Berliner Institution, mehr werde ich hier nicht sagen, discrétion oblige.
Mein Einsatz war für einen Samstag geplant, der Auftrag wurde schriftlich bestätigt. Es kamen verschiedene Kulturleute zusammen, auch Lanzmann sollte darunter sein. Ich steckte gerade mitten in einem anderen Projekt und habe mir für den Tag eine Kollegin organisiert, deren Arbeit ich natürlich bezahlt habe.
So saß ich also überpünktlich, schick gekleidet und gut vorbereitet im betreffenden Kulturhaus auf einem Stühlchen und wartete ... bis die Auftraggeberin den Kopf zur Tür reinsteckte und mich etwas zerknirscht ansah. Sie sei ohne Nachrichten meines Klienten, er verspäte sich wohl, ich möge warten. Ich wartete. Nach einer Stunde kam sie zurück: Er habe nun abgesagt, irgend etwas mit dem Flug. Er komme auch später nicht mehr hinzu. Ich durfte gehen.
Anschließend stellte ich ein Ausfallhonorar in Rechnung. Natürlich. Natürlich? Madame, die festangestellt ist, fand das nicht. Die Sache ist ein Jahrzehnt her.
Ja, auch vor einem Jahrzehnt wussten Festangestellte eigentlich schon, wie Freiberufler arbeiten. Ich stellte 100 % in Rechnung. Sie bot 10 % an, Zitat: "Sie hatten außer dem Weg ja keinen Aufwand, während der Wartezeit konnten Sie lesen". Ich erklärte ihr, dass das nicht branchenüblich sei und dass ich mich vorbereitet hatte. Darauf die Dame: "Wir haben Sie engagiert, weil Sie den Star gut kennen, damit eben keine Vorbereitungszeit anfällt!"
Ich sagte ihr, dass ich an diesem Tag für einen anderen Job jemanden anheuern musste, der meine Aufgabe bei einem anderen Projekt übernommen hatte. Madame wollte es nicht glauben, Aufträge an einem Samstag seien doch höchst selten. Ich erklärte mich: Es war das Catering bei meiner eigenen kleinen Filmproduktion. Alle zwei Jahre produziere ich einen Film zusammen mit anderen, in diesem Fall war unser Beitrag, eben auch morgens um fünf Brötchen zu schmieren ... (Salate zu machen, auszuliefern, zu servieren und zu spülen), da unsere finanzielle Beteiligung kein externes Catering erlaubt hat. Sie darauf: "Ich erstatte Ihnen, was diese Person gekostet hat!"
Ich war mit diesem Vorschlag gar nicht zufrieden. Ich muss mit den Honoraren nicht nur die Anfahrts- und Arbeitszeit finanzieren, sondern auch die Vorbereitung (und es liegt in meinem Ermessen, wie intensiv ich vorab lese und lerne; am Ende erwarten alle doch, dass ich die jeweiligen Zahlen, Daten, Fakten und Begriffe aus dem Effeff kann).
Außerdem habe ich diverse betriebliche Ausgaben, meine "Gestehungskosten". Sozialabgaben, Kranken-, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kommen bei mir nicht vom festen Arbeitgeber, auch Fortbildungen zahle ich selbst, nicht zu vergessen meine Entnahmen für die privaten Lebenshaltungskosten.
In solchen Situationen, in denen mein Gegenüber nicht weiß (oder nicht wissen will), wie wir Freiberufler rechnen, fällt es manchmal schwer, die richtigen Argumente vorzubringen, ohne belehrend zu wirken. Was "viel Geld" für eine Angestellte sein kann, muss es nicht notwendigerweise auch für mich sein. Die Chose erfuhr leider noch eine ziemlich peinliche Steigerung: Die Ansprechpartnerin rechnete mir alsdann vor, was ihre Mitarbeiter im Haus pro Tag verdienen würden. Es ist schlicht unfair, Zwanzigstel eines Festgehaltes mit Tagesgagen zu vergleichen, siehe oben.
Und ich muss außerdem noch einplanen, dass es immer wieder Wochen gibt, in denen ich nur mit "Freelancer-ABC" zu tun habe: Akquise, Buchhaltung, Computerupdates, Datenbankpflege, Eigenwerbung, Fachtermini ... Gerade die Sache mit der Kundenpflege ist manchmal nicht so einfach. In Zeiten, in denen ich viel zu tun habe, kann passieren, dass ich hier nachlässig werde. Das ist gefährlich, denn unsereiner droht schnell in Vergessenheit zu geraten. Qualität allein setzt sich nicht durch.
"Wer seine Zukunft nicht plant, hat keine", sagte mir ein Unternehmensberater mal. Ganz so hart sehe ich es nicht, aber auch ich muss mir in auftraglosen Zeiten Gedanken machen, wie ich neue Kunden finden und alte dauerhaft für mich begeistern kann. Die größten Schwierigkeiten bereiten mir aber unklare Auftragsvergaben, die so typisch sind für den "Berliner Filz", zum Beispiel Ausschreibungen, bei denen der Sieger von vorneherein feststeht. Manchmal habe den Eindruck, dass Berlin zurecht die Partnerstadt von Paris ist, der Hauptstadt der méritocratie, dieser sehr französischen Art des Feudalismus, der auf (einstiger) Exzellenz beruht. (Und wenn die Exzellenz nur darin besteht, die besseren Kontakte zu haben, sehnse, det is Balin.)
Ausfallhonorare müssen 100 % des Honorars betragen, wenn kurzfristig eine Absage erteilt wird, unsereiner kann sich ja keine Ersatzaufträge aus dem Hut zaubern. Manchmal habe ich sogar, um das betreffende Datum möglich zu machen, einen anderen Termin abgesagt. Jetzt kommen AGBs ins Spiel, Allgemeine Geschäftsbedingungen, in denen gestaffelt stehen sollte, wieviel Prozente des verhandelten Honorars im Falle von Annullierungen X Tage, eine, zwei oder drei Wochen vor Termin jeweils fällig sind. Dieser Aspekt spiegelt wider, dass unsereiner für manchen Einsatz in einem Zeitraum von 14 Tagen beispielsweise jeden Morgen eine Stunde paukt. Finde ich für den fraglichen Zeitraum einen anderen, möglicherweise kürzeren oder schlechter dotierten Auftrag, verringert sich natürlich mein Anspruch auf Ausfallhonorar um die neue Honorarsumme. Natürlich? Natürlich!
Sie werden sich jetzt fragen, wie die Sache vor zehn Jahren ausgegangen ist. Ich habe auf der Honorarzahlung bestanden. Der Kunde hat mich nie wieder angefragt. Ich war nicht überzeugend genug ... und es ist mir in all den Jahren leider nicht gelungen, jemanden im gleichen Haus zu finden, der sich für mich verwendet und (für weitere Anfragen) vermittelt hätte.
P.S.: Die Institution gehört zu den Berliner "Leuchttürmen" in Sachen Kultur.
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Fotos: C.E. (Archiv)
2 Kommentare:
Und für noch eins brauchen wir Zeit, wir Freiberufler: Fürs Mutsammeln, um einfach locker mal wieder beim alten Auftraggeber anzurufen.
Nämliches Haus hat, wie ich über die Telefonzentrale erfuhr, inzwischen eine Stelle zur Auftragsvergabe eingerichtet. Die dort Angestellte erbat meine Unterlagen für die nächste Ausschreibung und sagte, als ich meine Erfahrungen nur ganz zart andeutete, dass ihr meine Erfahrungen leid täten und dass es in der Vergangenheit im Hause auch Dinge gegeben habe, die nicht gesetzlich gewesen seien, man sei, da öffentlich finanziert, jetzt zu mehr Professionalität aufgefordert worden, daher die Schaffung ihrer Stelle.
Klingt verdammt gut. Und tut auch gut (Empathiebekundung). Mal sehen, was draus wird. Ich beobachte (und berichte) weiter.
Glückwunsch! Erst Frust von der Seele schreiben, dann aktiv werden, so soll es sein. Und Du siehst: Es werden die Dinge eben doch manchmal besser! Gruß in die Kinderwohnung nach S'berg!
Es freut sich auf Samstag:
die Bine
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