Mittwoch, 2. Mai 2012

Schlimmer geht's immer

Hallo beim Weblog einer Spracharbeiterin. Sie interessieren sich für Dolmetschen und Übersetzen in Berlin, Paris und anderswo? Dann sind Sie hier richtig. Wie Sie uns erreichen, steht in der Spalte rechts. Hier unten denke ich in möglichst kurzweiliger Form und unter Wahrung der Berufsgeheimnisse über unseren Alltag nach. Gestern war der internationale Tag der Arbeit. Und ich kann mich manchmal nur wundern, wohin sich unsere Arbeit hinentwickelt. 

Wimpel aus der DDR: 1. Mai
Gesehen im Schöneberger Café "Sorgenfrei"
Was hatten wir in den letzten Monaten nicht alles für Anfragen! Dolmetscher, die nebenbei das Auto steuern, in dem die Kunden reisen, Einsätze mit Treffpunkt 6.15 Uhr am Magdeburger Bahnhof, die bis 22.15 Uhr an Magdeburg Bahnhof dauern sollten — "damit Sie im eigenen Bett übernachten können" —, das bedeutet 4.22 Uhr ab Berlin-Hauptbahnhof bzw. 0.35 Uhr zurück. ("Wären Sie mit 10 % Preisaufschlag für diesen zeitlichen Mehraufwand einverstanden?")

Und der ganze Stress nur, um dann am nächsten Tag um 11.00 Uhr wieder in Madgeburg anzutreten ... Naja, Hotels sind ja einfach zu teuer ...

Es wurden angefragt: Dolmetscher, die parallel zur Arbeit eine Kamera oder gleich ein ganzes Büro führen können (erwarteter Bildungsabschluss: Mittlere Reife. Aus den Anforderungen: "Sie übersetzen fast zeitgleich bei Verkaufsgesprächen und der Begriff 'Terminologiedatenbank' ist für Sie kein Fremdwort".)

Ein anderer potentieller Kunde hätte gerne, dass ich ein Spieler wäre: "Wenn Sie Französisch und Deutsch auf Muttersprachniveau beherrschen, lassen Sie uns bitte Ihre Bewerbung zukommen. Weitere Voraussetzungen sind: Sehr gute Englischkenntnisse, Erfahrungen im Bereich Spiele, idealerweise verbringen Sie ein Großteil Ihrer freien Zeit in sozialen Netzwerken und mit Computerspielen."

Wegen Feiertag geschlossen ... Hinaus zum 1. Mai!!!
An einem Buchladen mit historischer Literatur
DDR-Tafel 1. Mai
Schaufenster "Café Sorgenfrei"
Sonst noch was? Ach ja, schön auch der da: "Sie reisen gern und sind Feinschmecker. In Berlin kennen Sie sich aus wie in Ihrer Westentasche. Sie übersetzen mit flotter Schreibe und können im Bedarfsfall auch ergänzende Zeilen verfassen. (...) Parallel zu Ihrer Übersetzung des Berlinführers wäre es äußerst wünschensert, wenn Sie einige von der Redaktion gesondert ausgewiesene Gastronomiebetriebe einer erneuten Prüfung unterziehen und auch die fehlenden Fotos schießen könnten. ("Eine gesonderte Honorierung dieser Arbeit/Spesen können wir Ihnen leider nicht anbieten.")

Closed - gone to throw rocks
Schaufenster am Maybachufer (Neukölln)
Der vielzitierte Spruch "schlimmer geht's nimmer!" hat sich in den letzten Jahren also leider verändert, siehe Titel. Den Bruch würde ich Ende 2008 ansetzen, mit dem Beginn der Finanzkrise (die uns ja heute noch beutelt. Die Staatsschulden entstanden doch durch die Bankenrettungen und Konjunkturprogramme, oder hab' ich da was falsch mitgekriegt?)

Ich fasse zusammen: Die meisten Jobanfragen hat derzeit die lukullisch gebildete, "relevant motorisierte", passionierte Computerspielerin, die nicht nur mit wenig Schlaf auskommt, sondern auch mit Fotoapparat und Filmkamera umgehen und nebenbei aus der Lamäng noch ein fremdes Büro führen kann. Und die logischerweise damit einverstanden ist, dass ihr Honorar/Gehalt (Unzutreffendes bitte streichen) auf dem Niveau einer Realschulabsolventin liegt. Ich schreib das mal in der weiblichen Form, denn manchmal beschleicht mich der Eindruck, dass Männern so manches "Angebot" gar nicht auf den Tisch flattert.

Hier soll keinesfalls ein falscher Eindruck entstehen, die meisten Kunden sind höchst korrekt und wollen von uns nur, dass wir für sie dolmetschen, außerdem erstatten sie uns die Reise zum Arbeitsort, Hotelkosten, Spesen usw., versorgen uns mit Präsentkörben und, ganz wichtig, sie senden sogar immer (immer!) rechtzeitig das Material zur Vorbereitung des betreffenden Einsatzes! Naja, oder fast.

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Foto: C.E. (1. Mai-Nachtrag)

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