Sonntag, 6. Januar 2008

Notizentechnik

Willkommen auf meinen Blogseiten! Französisch ist meine zweite Sprache, und ich setze sie täglich als Übersetzerin und Dolmetscherin ein. Hier berichte ich in möglichst kurzweiliger Form über diesen Berufsalltag ... und unter Wahrung dienstlicher Geheimnisse.

Im Studium lernt unsereiner, uns auf eine bestimmte Art und Weise Notizen zu machen, um das Gesprochene beim konsekutiven Dolmetschen besser wiederzugeben. Hierbei sieht die Theorie sprachunabhängige Symbole vor, ähnlich wie Verkehrsschilder beim Autofahren.
Meine Notizen sind mehr Kürzel. Wenn ich zu schnell notiere, zum Beispiel, weil ich müde bin oder verunsichert (das legt sich dann meistens recht schnell), habe ich das Gefühl, vor einem Schilderwald zu stehen. Am Ende eines Arbeitstages notiere ich auf jeden Fall immer mehr, schreibe Worte eher aus (in der Zielsprache).

Grundsätzlich schreibe ich immer etwas auf, es sei denn, es sind nur ein oder zwei Sätze hin- und her — denn selbst, wenn ich die Gewissheit oder das Gefühl habe, die Situation "im Griff zu haben", fahre ich mit Notizen besser.

Ziel ist dabei immer ein hoher Reduktionsgrad, ich lasse also viel weg, an das ich mich beim Sprechen dann wieder erinnere, und verwende immer dort, wo es möglich ist, Symbole. Viele Zeichen entstammen der Mathematik, aber auch typisch französische Kürzel sind dabei ( für -tion, pb für 'problème' etc.)
Ich lasse viel Luft zwischen den Notizen, füge das entsprechende Zeichen oder Wort hinzu, wenn etwas präzisiert wird, und zwar immer gleich an der Stelle, an die z.B. das Adjektiv 'gehört" - vorausgesetzt, dessen spätere Mitteilung ist nicht aus Gründen der Dramaturgie wichtig ist. Begriffe, über die ich während des Sprechvorgangs nochmal nachdenken muss, werden markiert. Grundsätzlich ist meist die Stelle, an der ein Wort oder Zeichen steht, aber schon eine Markierung für sich. Am Zeilenanfang mache den Sprecher oder die Sprechhaltung "klar", so steht " für Zitat oder den Bericht eines Gesprächs, I steht wie das englische "I" für die erste Person Singular. Schlüsselworte stehen frei in der Mitte, bieten Platz für Ergänzungen; das Verb steht oft leicht unterhalb des Sprechenden, hier dominiert die französische Grammatik und auch im Deutschen muss ich frühzeitig wissen, wo der Satz hinwill. Ein Strich unter dem Gesagten markiert den Beginn eines neuen Gedankens, ein Spiegelstrich (wie in der Filmuntertitelung) einen neuen Sprecher.

Wichtig sind auch Worte der Verknüpfung und Überleitung, die oft als rhetorische Marker fungieren, sie stehen allein für sich, am Anfang einer sonst leeren Zeile. Kommt ein Redner immer wieder auf einen Begriff zurück, umkringele ich ihn und zähle manchmal sogar durch kleine Strichelchen mit, wie oft das Wort fällt. In der Verdolmetschung reduziere ich das Gesagte zwar, folge also nicht sklavisch der vorgegebenen Anzahl, gebe aber durchaus diese Sprechhaltung des Betonens, Insistierens, Zurückkehrens wieder. Oder aber der Redner stellt viele Fragen, vielleicht sogar sich selbst mit infrage - hier steht alles unter dem Vorzeichen des ? ... ist er oder sie hingegen wütend, setze ich in die Marge ganz links ein oder mehrere !

Am Ende streiche ich alles, was ich schon gedolmetscht habe, durch. Auf jeden Fall schreibe ich immer mehr, als es die Hochschulregeln vorsehen.

Der Schritt der Verdichtung bei gleichzeitiger Strukturierung scheint mir übrigens das wichtigste beim Aufschreiben zu sein. Dabei ist oft das Niederschreiben der zentrale Schritt, weniger das Ablesen. Gedanken, die ich notiert, strukturiert, geformt habe, sind mir vertrauter. Schreiben erhöht die Merkfähigkeit. Das gilt auch für andere Arbeitsprozesse, zum Beispiel im Studium. Sehr gut beschreiben hat dies kürzlich Jochen Mai auf seinem "Karrierebibel"-Blog. Denn das Mitschreiben erhöht die Zahl der später gemerkten Schlüsselinformationen signifikant; die "Formgebung" der Notizen ist ein erster Schritt zur Verarbeitung.

Weitere Blogbeiträge der Autorin dieser Teilen zum Thema Notizen hier: Wirklich keine Steno, erstes Beispiel, zweites Beispiel, mnemotechnisches Wortbild und mein erklärender Text dazu.

Hier noch ein Link zu einem Erfahrungsbericht von Jana Laukovà über sprachunabhängige Notation sowie ein Aufsatz aus einer Festschrift für Henry Vernay.  Außerdem hier Informationen über die Geschichte und die Funktionsweise der Notizentechnik. Autorin: Leonie Becker

Viel Spaß beim Weiterlesen wünscht mit ღlichen Grüßen:
Caroline Elias
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2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Oha, danke für das Lob! Nur eine Kleinigkeit: "Karrierebibel"-Blog - nicht "Karriereblog"... :))

Anonym hat gesagt…

Danke, Frau Elias, für diese guten Hinweise!
M. Bernard