Es war einmal eine Kassiererin in Berlin, die beging einen unglaublichen Betrug. Sie löste zwei Leergutbons ein, die ihr nicht gehört haben. Es ging um Pfandgeld in der Höhe von 48 und 82 ... Cent. Das war 2009, der Fall ging durch die Presse.
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| Kommentar des Tages, am Wegesrand |
2021, ein anderes Presserauschen: Ein amtierender Bundesgesundheitsminister leistet sich in der Hochphase der Pandemie und ohne ausreichendes Eigenkapital eine millionenschweren Villa. Die Herkunft der Mittel blieb bis heute ungeklärt. Außerdem unterliefen ihm „handwerkliche Fehler“ beim Einkauf von medizinischer Schutzausrüstung.
Inzwischen kennen wir mehr Details zum Maskenskandal. Übermengen auch nachweislich schlechter Waren wurden trotz Warnungen von ihm persönlich auch im eigenen Umfeld bestellt, eine Politikertochter bekam für einige Telefonate mehr als 48 Millionen Euro „Prämie“, andere Lieferanten wurden zurückgepfiffen. Der Gesamtschaden ist wegen laufender Prozesse noch nicht bezifferbar, sechs Milliarden sind bestätigt, es könnte zweistellig werden. (Hier der ungeschwärzte Bericht bei FragDenStaat.)
Konsequenzen gab es kaum. Der Minister blieb im Amt und hat anschließend weiter Karriere gemacht.
Nur eine knappe Viertelmilliarde Schaden löste 2019 einer seiner Parteikollegen aus, als er trotz Warnungen, die auch ein Erstsemester im Jurastudium hätte geben können, einen Mautvertrag unterschrieb, und das, obwohl dazu auch ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof lief. Auch hier: kein Karriereknick.
Alle kennen die Namen dieser Herren. Im Lichte dieser Ereignisse irritieren andere Fehlgriffe: Ein Vizekanzler gab sein Amt auf, weil er auf offiziellem Briefpapier für die Einkaufswagenchips eines Verwandten warb (Jürgen Möllemann, 1993). Ein Bundestagsabgeordneter trat zurück, weil er dienstlich gesammelte Bonusmeilen privat genutzt hat (Cem Özdemir, 2002). Andere Politiker sind wegen der Privatnutzung von Dienstwagen oder der Flugbereitschaft der Luftwaffe zurückgetreten.
Springen wir wieder in die Pandemiezeit zurück. Ich bin freiberufliche Konferenzdolmetscherin. Als wegen Covid-19 alles stillstand, war ich über Monate faktisch arbeitslos, auch außerhalb der Lockdownphasen, weil keine Planungssicherheit da war. Konferenzen und Delegationsreisen fielen aus, Präsenztermine wurden abgesagt. Meine Hauptauftraggeber, Ministerien, Forschungseinrichtungen, Parlamente, blieben formal geöffnet. Und genau deshalb bekam ich (nach einem ersten „Schlag aus der Gulaschkanone“) keine Hilfen. Am Telefon erklärte mir ein Sachbearbeiter der KfW in gönnerhaftem Ton: „Ihre Auftraggeber haben nicht pandemiebedingt geschlossen.“ Das war sachlich korrekt, aber praktisch zynisch.
Ich konnte mich glücklich schätzen, denn die Ersthilfezahlungen hatte ich ja bekommen. Sie haben einigen Euro täglich entsprochen, mit dem ich mein Büro weiterunterhalten, die schon bestelle Modernisierung und die damit zusammenhängenden laufenden Kosten bezahlen konnte. Für den Eigenbedarf (wohnen, essen, versichern, ...) durfte ich an meine Rücklagen fürs Alter gehen, denn genau diese haben mich „reich“ gemacht.
Ich sollte, so der KfW-Mann, alles bis auf 60.000 Euro „abschmelzen“ (als würde es sich hier um einen natürlichen Vorgang handeln); dann könnte auch ich Unterstützung bekommen. In anderen Worten: Aus meinen Altersrücklagen wurden mir für ca. 20 „Erlebensjahre“ im Rentenalter monatlich 250 Euro zugestanden. Ein Witz. Ich war nicht allein, musste improvisieren, wie immer.
Ich hatte und habe Glück im Unglück. Da ich im fünften Jahr in Teilzeit Angehörigen pflege, komme ich bis heute nicht wirklich dazu, das alles zu durchdenken. Immer, wenn ich zur Ruhe komme, spüre ich die Risse.
Die Verhältnismäßigkeit ist verlorengegangen. Grundsätzlich sollten Politiker ehrlich sein, das Beste für die Bevölkerung anstreben, und grundsätzlich sollten wir auch Menschen in Not helfen: Leuten im Land, die kaum über die Runden kommen, Menschen außerhalb der Grenzen. Die aktuelle Regierung streicht die Mittel bei der Hochseerettung im Mittelmeer und würde am liebsten ein eisernes Tor an der Landesgrenzen hochziehen, um Geflüchtete abzuhalten, die es zuhause nicht mehr aushalten, weil dort Krieg, Bürgerkrieg, Verfolgung, Hunger herrschen.
Es werden derzeit Menschen abgeschoben, die bei Nacht und Nebel aus ihren Betten oder von den Schulbänken geholt werden. Darunter sind auch Leute, die im Gesundheits- und Pflegebereich tätig sind. Andere würden gerne arbeiten, dürfen aber nicht. Wären nicht zu viele Pflegeeinrichtungen so grauenvoll, hätten wir unsere Care-Arbeit vermutlich schon abgegeben, denn mich als eine der Hauptverantwortlichen schränkt die Lage beruflich ein. So fällt es mir schwer, das den Altersrücklagen entnommene Geld wieder aufzufüllen.
Die Deutschen würden zu wenig arbeiten, schilt uns zugleich die Politik. Ich nehme das als kollektive Ohrfeige wahr. Und ich bin geneigt, das Ganze langsam persönlich zu nehmen. Mein Vertrauensverhältnis zu manchen Politikern ist gründlich zerrüttet.
Nicht nur ich habe diese massiven Störgefühle. Das Ganze ist Wasser auf die Mühlen jener, die mit den Achseln zucken und sagen: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“ So denken inzwischen nicht nur die Emmelys dieser Welt, ich erinnere, die Dame mit den Pfandbons, sondern auch vermeintlich arrivierte Kreise. Kurz: Im Land drohen bald extremistische Mehrheiten, oder die Machtübernahme von Politikern mit extremen Ansichten innerhalb bürgerlicher Parteien, siehe USA.
Das darf, nein, das muss uns eine Warnung sein. Eine sehr laute.
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Foto: C.E. (gesehen in Neukölln)

1 Kommentar:
Liebe Frau Elias, vor Jahren durfte ich Sie in der Akademie der Wissenschaften live erleben und war schwer beeindruckt von der Souveränität, mit der Sie kurzfristig einen dreisprachigen Abend alleine gemeistert haben. Für den Herbst habe ich Sie heute ein Kostenangebot gebeten, möchte aber hier auch noch einen Kommentar hinterlassen.
Es ist gut, dass sich ein Vollprofi wie Sie nicht vom Markt verdrängen lässt! Hut ab, wie Sie sich da durchgekämpft haben.
Veranstaltern wir uns war das Dilemma gar nicht sofort klar. Wir haben dann später die Honoraranteile, die wir fälschlicherweise als Gesamtumsatz behalten durften, abzüglich des Steueranteils weitergeleitet.
Der Umgang mit Geld in der Pandemiezeit hat das Vertrauen in die Demokratie vieler erschüttert: Manche Freiberufler bekamen kaum Unterstützung, und dann oft sogar nur als zinsloser Kredit, während andere (wie zum Beispiel Galerien Galerien) nichts zurückzahlen mussten. Die Vergabe- und Rückforderungskriterien waren intransparent. Hier wäre auch ein Untersuchungsausschus nötig.
Sehr dringend muss zunächst Spahns freihändige Vergabe von Milliardenaufträgen an ihm persönlich bekannte Firmen hinterfragt werden. Auch, wie viel wo als "Vermittlungspovision" hängengeblieben ist.
Natürlich wurden in der Zeit viele Fehler gemacht. Viele können, ja müssen wir verzeihen. Aber keine Handlungen, die in den Bereich der Korruption gehen.
Hier muss Verantwortung übernommen, müssen Konsequenzen gezogen werden. Sonst sind Fälle wie dieser Wasser auf den Mühlen derjenigen, die die Demoktratie abschaffen möchten, gerne in vier Jahren mit den Spahns dieser Welt als Mehrheitenbeschaffer. Das aktuelle Herumlavieren ist verherrend, zeigt es doch allen, dass Regeln und Gesetze nur für die Wahlbürger zu gelten scheinen, nicht für die Gewählten!
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