Dienstag, 8. Juli 2025

Charles Dickens

Wie wir Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher ar­bei­ten, ist im 19. Jahr das The­ma die­ses Web­logs. Mei­ne Mut­ter­spra­che ist Deutsch, ich ar­bei­te über­wie­gend mit Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Die Bü­ro­kol­le­gin über­setzt in die eng­li­sche Spra­che. Neu­lich: Ein kurz­fris­tig an­be­raum­ter Ter­min im Kran­ken­haus.

Was ich dort am Rand ei­nes Not­fall­ein­sat­zes mit­er­lebt ha­be, geht mir seit Ta­gen nicht aus dem Kopf: die er­schüt­tern­de Ar­mut ei­ner Fa­mi­lie. Kei­ne De­tails! 

Lesendes Mädchen, Blumenwiese
Lesefähigkeit ist lebensentscheidend
Auch wir Dol­met­scher:in­nen ha­ben ei­ne Schwei­ge­ver­pflich­tung. Doch es ist kaum aus­zu­hal­ten, wie vie­le Kin­der im Jahr 2025 in einem der reichs­ten Län­der der Welt tag­täg­lich Ar­muts­er­fah­run­gen ma­chen müs­sen.

Da­bei ist vie­len Er­wach­se­nen heute Charles Dic­kens noch ein Be­griff, der Au­tor hat das Le­ben von Kin­dern in bit­ters­ter Ar­mut be­schrie­ben.
Nun hat die bri­ti­sche Kin­der­schutz­be­auf­trag­te Rachel de Souza die­se Er­in­ne­rungen bei vie­len ak­ti­viert, da sie die La­ge vieler Kinder in ih­rem Land da­mit ver­gleicht: Die Not vie­ler Kin­der dort ha­be stel­len­wei­se ein „Dickens’sches Aus­maß” an­ge­nom­men, schreibt sie.

De Souza, ehe­mals Leh­re­rin und Schul­lei­te­rin, be­rich­tet von un­fass­bar schlech­ten Wohn­ver­hält­nis­sen, man­geln­der Pri­vat­sphä­re, feh­len­den Lern­or­ten, Hun­ger, über­lan­gen Schul­we­gen, ab­we­sen­den Orten für die Frei­zeit.

Der Be­richt, den sie vor­legt, ist das Er­geb­nis von vie­len Be­fra­gun­gen. Vie­le Kin­der spre­chen da­bei von der Scham, die ihr Le­ben prägt. Sie be­kom­men mit, wie schwer es ih­re El­tern ha­ben „Er­wach­se­nen­pro­ble­me” blei­ben ih­nen nicht er­spart.

De Sou­za for­dert nun ko­or­di­nier­tes Han­deln, um­fas­sen­de Hil­fen, Chan­cen­ge­rech­tig­keit, schnelles Ein­grei­fen und na­tür­lich mehr Geld für Kin­der. Dass hier die Be­trof­fe­nen selbst be­fragt wur­den, fin­de ich sehr gut, denn so ist ein ehr­li­ches, un­ver­zerr­tes Bild ent­stan­den. Auch in an­de­ren po­li­ti­schen Be­rei­chen wä­re es sinn­voll, mehr MIT den Men­schen zu spre­chen statt ÜBER sie. (Hier geht's zum Down­load des Re­ports: klick!)

Ich den­ke an Mar­ga­ret That­cher und ihr be­rüch­tig­tes there's no such thing as so­cie­ty, „so et­was wie Ge­sell­schaft gibt es nicht”. Sie hat da­mals nicht nur die Exis­tenz der Ge­mein­schaft ge­leug­net, son­dern auch je­de Ver­ant­wor­tung ge­gen­über an­de­ren ab­ge­lehnt. In den 1980er-Jah­ren hat sie den Grund­stein für die um­fas­sen­de Durch­set­zung des Neo­li­be­ra­lis­mus ge­legt. Doch wir wis­sen aus der Evo­lu­ti­ons­ge­schich­te der Mensch­heit, dass wir oh­ne Zu­sam­men­ar­beit nie so weit ge­kom­men wä­ren.

Auch bei uns ist Um­den­ken nö­tig. Der Markt re­gelt nicht al­les. Das soll­ten wir mitt­ler­wei­le ge­lernt ha­ben. (Man­che Po­li­ti­ker:in­nen mer­ken es spä­testens dann, wenn die ei­ge­nen Kin­der flü­g­ge wer­den.)

Hier ein Link zu einer Mel­dung da­zu von Spi­egel On­line. Mö­gen die Me­dien hier nach­fas­sen.

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Bild: pixlr.com (Zu­falls­fund)

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