Montag, 22. November 2021

COVIDiary (431)

Bonjour und guten Tag! Hier bloggt ei­ne Dol­met­sche­rin. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer machen, na­tür­lich auch wir Frau­en im Be­ruf, wie sie bzw. wir ar­beiten, ist hier seit 2007 re­gel­mä­ßig Thema, derzeit unter be­son­de­rer Be­rück­sich­ti­gung der all­ge­mei­nen Gesundheits­lage.

Fische im Aquarium
Something is fishy mit den Coronahilfen
Eine Konferenz­dol­metscherin ist in einer Pandemie wie ein Fisch, der auf ei­nem Camping­tisch Trocken­schwimm­übun­gen macht.

Naja, nicht ganz richtig, dieses Bild. Für den Fisch geht es böse aus. Wir Dol­met­scher und Dol­met­sche­rin­nen haben zum Glück mehr als Kiemen und au­ßer­dem meis­tens noch weitere Talente. 

Wie überleben so man­che Kol­legen und Kol­le­ginnen, wo doch die Regie­rung vor allem große Firmen, Banken und Ver­mieter absichert mit ihren Hilfen und uns aufs Hartz-IV-Amt für Grund­si­cherung schickt? (... von mir gerne H-IV und GruSi abgekürzt, da­mit ist klar, was ich davon halte.) Hier folgen einige Beispiele in kurzer Zu­sammen­fas­sung.


Kollegin A steht vier Mal in der Woche auf dem Markt und verkauft Bio-Le­bens­mit­tel. Da ihre große Tochter ausge­zogen ist, vermietet sie das freige­wordene Zimmer an eine Malerin, die ihr Atelier im Zuge der Berliner Im­mo­bi­lien­spe­ku­lation ver­lo­ren hat. Das Gäste­klo der Wohnung wurde dem neuen Atelier zu­ge­schlagen, im Bad ist noch eine Toilet­te. Die Kollegin lässt sich außer­dem ab und zu von einer Agentur mit Fern­dol­metsch­ein­sätzen aus­beu­ten. Diese Agentur bezahlt jenen, die die Arbeit machen, 350 Euro für einen ver­kür­zten Tag, und sie wird sicher den End­kun­den nicht unter 650, 700 dafür be­rech­nen.

Kollegin B kümmert sich um die Schul­auf­ga­ben ihrer Kinder, strickt wieder, macht bei Online­sport­kursen mit oder geht in den Park, wenn das Wetter es zu­lässt, nimmt einmal in der Woche vom Schlaf­zim­mer aus am "virtuellen Großraum­büro" teil, wenn wir mit einem wieder­holt unge­nutzten Zoom-Account eines Partners ein wenig Norma­lität simulieren, sie übersetzt und beglaubigt dann Urkun­den. Ihr Mann sichert sie wirt­schaf­tlich ab.

Kollegin C sitzt alle drei, vier Wochen im Zug und fährt auf eine deut­sche Bau­stel­le mit franzö­sischem Bau­herrn. Zu Beginn der Pan­demie reiste sie noch öfter, um ihren Vater zu pflegen. Sie hat einige Direkt­kunden, die sie zusätz­lich digital (und ohne Flasch­enhals, der Pro­zen­te kostet) beschäftigen. Lücken werden mit dem Re­ser­ve­budget für schwere Zeiten überbrückt.

Kollege D würde jetzt eigentlich zwei Kinder mit dem Dol­met­schen mit­er­nähren. Als junger Mann hat er oft als Fern­fahrer ge­ar­beitet, ihm blie­ben die Kontak­te, er sitzt nun wieder auf dem Bock und ist daran beteiligt, dass alle zu essen haben und woh­nen kön­nen. Seine Frau ist nicht glück­lich als de facto-al­lein­er­zie­hende Berufs­tätige.

Kollegin E hat einen of­fi­ziel­len Erstberuf. Sie ist an die Schule zurück­ge­kehrt bzw. unterrichtet online. Dane­ben bildet sie sich fort in Sachen Di­gi­ta­li­sie­rung der Leh­re. In zwei Jah­ren wird sie ir­gen­dwo (Details vergessen) ein Zerti­fikat er­werben und damit ein zweites Stand­bein haben.

Kollegin F hat schon immer Deutsch un­ter­rich­tet, an Sprach­schu­len auf ihren Welt­reisen, später In­te­gra­tion­skurse ge­ge­ben, dann auch mal Jour­na­lis­ten und Schau­spie­le­rin­nen. Sie sitzt auf Bali und gibt zwei Stunden täglich Online­kur­se. Ihre Woh­nung in Ber­lin hat sie an ein amerikanisches Wis­sen­schaft­ler­paar unter­richtet, die US-Hoch­schule zahlt, also hat sie den Mie­tpreis mal eben verdop­pelt.

Kollege G hat seine Woh­nung auf­ge­ge­ben, ist zu seiner de­men­ten Mutter gezogen, die er jetzt pflegt. Da­ne­ben hat er ein Fern­stu­dium im Fach Psy­cho­logie auf­ge­nom­men.

Das sind nur ei­ni­ge Bei­spie­le unter vielen.

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Illustration: C.E.

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